Politik

Faktencheck: Was ist an Racketes Aussagen dran?

Heute Redaktion
Teilen
Picture

„KZ-ähnliche" Verhältnisse in Libyen und eine erzwungene Klima-Migration: Sind die Aussagen der „Sea-Watch"-Kapitänin Carola Rackete korrekt?

In einem Interview mit der „Bild" hat die derzeit berühmteste Kapitänin der Welt zahlreiche Behauptungen über die aktuelle Situation der Menschen in Afrika und die EU-Migrationspolitik aufgestellt (Wir haben berichtet). Einige ihrer Aussagen stimmen – andere regen zumindest zur Diskussion an.

Behauptung #1: "KZ-ähnliche" Zustände in libyschen Flüchtlingslagern!

Rackete: "Die Menschen werden in Libyen in Gefängnissen gehalten oder schon in der Sahara gestoppt. Die EU bezahlt eine libysche Küstenwache, die in Menschenhandel verwickelt ist. Sie bringen die Flüchtlinge dann in Lager, in denen „KZ-ähnliche" Zustände herrschen. Wir finanzieren also Milizen und Mörderbanden mit EU-Geld."

Wie die Zeitung „Die Welt" exklusiv aus einer diplomatischen Korrespondenz der deutschen Botschaft im Transitland Niger an das Bundeskanzleramt zitierte, stimmt das. In dem Bericht aus dem Jahr 2017 wird von „allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen in Libyen" und „KZ-ähnlichen Zuständen in den sogenannten Privatgefängnissen" berichtet.

Das Spendenkonto der Africa Amini Alama
Kennwort: Worseg Vision
IBAN: AT14 1200 0518 4603 1508
BIC: BKAUATWW

Nachdem Videos von Folterungen und anderen Misshandlungen publik wurden, haben auch Länder wie Nigeria die logistische Unterstützung bei der Rückreise von Migranten aus Libyen in die Heimat verstärkt.

Behauptung #2: Europa ist verantwortlich für die Lage in Afrika!

Rackete: "Deutschland und andere europäische Staaten haben eine historische Verantwortung an den Umständen in Afrika noch aus der Kolonialzeit. Die heutigen Machtverhältnisse sind durch Europa bestimmt worden."

„Man kann durchaus noch einen leichten Hauch der Kolonialzeit spüren", bestätigt Beauty-Doc Artur Worseg eine Meinung, die in Afrika-Debatten weit verbreitet ist. Die Ausbeutung und Unterdrückung der Bevölkerung während des Kolonialismus ist ausführlich dokumentiert. Besonders Frankreich hat in vielen westafrikanischen Ländern nach wie vor erheblichen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Worseg engagiert sich seit zehn Jahren für die Hilfsorganisation Africa Amini Alama (Wir haben berichtet). 2012 eröffnete er seine Worseg Vision Academy, eine englischsprachige Grundschule für 120 Kinder in Tansania. „Es stimmt schon, dass sich die Europäer und die Chinesen am afrikanischen Kontinent üppig bereichert und einen Pappenstiel übriggelassen haben. Auch die Korruption ist dort viel offensichtlicher als bei uns. Doch die Menschen sind stark! Die Digitalisierung ist bis in den letzten Winkel Afrikas vorgedrungen, das macht es besonders jungen Afrikanern einfacher, sich mitzuteilen und etwas zu bewegen."

Behauptung #3: Wir müssen Klimaflüchtlinge aufnehmen!

Rackete: "Der Zusammenbruch des Klimasystems sorgt für Klimaflüchtlinge, die wir natürlich aufnehmen müssen. Es wird in einigen Ländern Afrikas, verursacht durch industriereiche Länder in Europa, die Nahrungsgrundlage zerstört. In der Debatte soll immer unterschieden werden zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten, aber wir kommen jetzt zu einem Punkt, wo es „forced migration" gibt, also eine durch äußere Umstände wie Klima gezwungene Migration. Und da haben wir dann keine Wahl mehr und können nicht einfach sagen, dass wir die Menschen nicht wollen."

Die Innenminister von Bayern und Hessen bezeichnen diese Forderung von Rackete als „verantwortungslos" und „weit über das Ziel hinaus". Im Gespräch mit der „Bild" sagt Bayerns Joachim Herrmann (CSU): „Ich lehne das klar ab. Bei allem Verständnis für die Aufnahme von in Seenot geratenen Flüchtlingen: Wir können nicht eine halbe Million Wirtschaftsflüchtlinge oder solche, die aus Armut nach Europa kommen, ohne weiteres bei uns aufnehmen. Mehr als 80 Prozent afrikanischer Flüchtlinge, die bei uns um Asyl bitten, haben keine Chance auf Anerkennung und ein dauerhaftes Bleiberecht in unserem Land. Weder das deutsche Asylrecht noch die Genfer Flüchtlingskonvention kennen „Klima" als Fluchtgrund", sagte Herrmann.

Behauptung #4: Flüchtlinge müssen nach Europa kommen dürfen!

Rackete: "Ihnen müssen wir sofort helfen bei einer sicheren Überfahrt nach Europa."

„Das ist ein völlig falsches Signal", sagt der Wiener Autor und Journalist Werner Reichel, der in seinem Buch „Der deutsche Willkommenswahn" die Flüchtlingssituation der Jahre 2015 und 2016 durchleuchtet. „Je mehr Menschen mit „Rettungs"-Schiffen nach Europa gebracht werden, desto mehr riskieren die gefährliche Überfahrt. Bis 2050 wird sich die Bevölkerung in Afrika auf ca. zwei Milliarden Menschen verdoppeln. Es ist für Afrika vollkommen unerheblich, ob Europa eine, fünf oder zehn Millionen Afrikaner pro Jahr aufnimmt. Es wird an der Situation, also der Armut, den Konflikten, an den strukturellen Problemen in Afrika nichts ändern. Im Gegenteil. Und ein starkes Europa kann Afrika allemal mehr helfen als ein afrikanisiertes Europa."

(jd)

;