Landeschef zu Asyl und FPÖ

Doskozil donnert: "Wir haben die falschen Politiker"

Burgenlands Landeschef wirft der ÖVP im "Heute"-Talk Versagen in der Migrationspolitik vor und gibt seiner Partei kaum noch Chancen auf den Wahlsieg.

Doskozil donnert: "Wir haben die falschen Politiker"
Burgenland-Chef Hans Peter Doskozil beim "Heute"-Interview in seinem Eisenstädter Büro
Denise Auer

Bundespolitische Ambitionen hat er keine mehr, inhaltlich zurückhalten möchte er sich aber auch nicht: Burgenlands Hans Peter Doskozil (53, SPÖ) warnt seine Partei im "Heute"-Talk vor einer Koalition mit der ÖVP und zerpflückt die Asylpolitik der Schwarzen. Platz eins für die SPÖ bei der Nationalratswahl hat Doskozil abgeschrieben ("Da müsste sehr viel passieren"); gegenüber der FPÖ plädiert er für mehr Offenheit. Das große "Heute"-Interview:

"Heute": Herr Landeshauptmann, im Juni meinten Sie: "Das Kapitel Bund ist für mich ein für alle Mal abgeschlossen." Nun haben Sie sich mit einer Asyl-Obergrenze von 10.000 Flüchtlingen und einer Koalitions-Warnung vor der ÖVP wieder zu Wort gemeldet. Wie geht das zusammen?

Hans Peter Doskozil: Es ist schon eine Chuzpe, wenn manche jetzt meinen, dass ein Landeshauptmann zu gesellschaftspolitischen Themen nichts sagen darf. Ich trage Verantwortung für die Burgenländer. Wir haben im Bereich der Migrations- und Asylpolitik tagtäglich faktische Herausforderungen zu bewältigen. Ich muss der Bevölkerung erklären, dass wir diese ernst nehmen. Genau das tue ich.

Ich lasse mir den Mund nicht verbieten.
Hans Peter Doskozil
Landeshauptmann Burgenland (SPÖ)

Das heißt, Sie werden sich weiter zu Wort melden?

Bei Themen, die die burgenländische Bevölkerung bewegen? Werde ich mir sicher nicht den Mund verbieten lassen und meine politische Meinung öffentlich machen, ja. Egal, ob das anderen gefällt oder nicht.

Aber wie trifft das auf eine etwaige Koalition zwischen SPÖ und ÖVP auf Bundesebene zu?

Vielleicht gehe ich da zu weit, ich bin da durchaus selbstkritisch. Aber es ärgert mich einfach maßlos, dass wir keine Sekunde zurückschauen und sehen, was die ÖVP alles getan hat, um ihre Macht zu sichern. Die ÖVP hat uns in den Koalitionen politisch verbraucht und jetzt stolpern wir wieder in das historisch falsche Denken "Hauptsache, wir sind in der Regierung" hinein.

Aber muss Regieren nicht das Ziel sein?

Die Frage immer: Des Regierens willen? Oder nur der Ämter willen?

Hoffentlich Ersteres.

Wenn ich mir die inhaltliche Bilanz ansehe, habe ich da Zweifel. Dabei bräuchte es gerade jetzt im Einkommensbereich, in der Pflege, in der Gesundheitsversorgung radikale Veränderungen. Das ist mit einer ÖVP unmöglich.

Das heißt, dass Sie im Burgenland die FPÖ vorziehen würden?

Zuallererst hoffe ich natürlich, dass wir in einer Koalition mit der Bevölkerung bleiben können. Sollte das nicht möglich sein, würde ich eine Koalition präferieren, wo wir inhaltlich den Weg, den wir eingeschlagen haben, weiter fortführen können – das sehe ich mit der ÖVP derzeit nicht.

Ich tue mir persönlich sehr schwer damit, 30 Prozent der Bevölkerung pauschal abzustempeln und auszuschließen.
Hans Peter Doskozil

Decken sich Ihre Vorstellungen im Sozialbereich mehr mit denen der FPÖ als mit der ÖVP?

Der Mindestlohn und die Anstellung pflegender Angehöriger wurden in einer rot-blauen Koalition beschlossen. Hier sehe ich keine Schnittmenge mit der ÖVP.

Sollte Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt werden, wenn die FPÖ stimmenstärkste Partei bei der Nationalratswahl wird?

Diese Frage wird sich der Bundespräsident stellen müssen. Ich habe tagtäglich Kontakt mit den Menschen und tue mir persönlich sehr schwer damit, 30 Prozent der Bevölkerung pauschal abzustempeln und auszuschließen. Natürlich muss man sich immer ansehen, wer als Spitzenpropenent einer Partei auftritt und wie verhält er sich, aber diesen grundsätzlichen Ausschluss des freiheitlichen Wählers halte ich demokratiepolitisch für sehr schwierig – weil auch gar nicht abschätzbar ist, was man damit auslöst. Ein anderer Aspekt ist der einer Koalitionsbildung der SPÖ mit der FPÖ auf Bundesebene: Da haben wir den von Christian Kern eingerichteten Wertekatalog – und auf dieser Basis ist für mich klar, dass eine Koalition der Sozialdemokratie mit der Kickl-FPÖ nicht möglich ist.

Platz 1 für die SPÖ? Da muss sehr viel passieren.
Burgenland-Chef
über seine Bundespartei

Ist Platz 1 für die SPÖ in Reichweite?

Ich möchte jetzt nicht wieder mit der Bundes-SPÖ in eine Diskussion gehen.

Müssen Sie ja nicht.

Dann lassen Sie es mich positiv formulieren: Erster zu werden muss das Ziel sein – aber es muss sehr viel passieren, dass man in diese Reichweite kommt. Bis zum Wahltermin im September wird das sehr knapp, weil es zu kurzfristig ist, zumal man jetzt auch die Bierpartei miteinkalkulieren muss.

Ist die Positionierung unter Andreas Babler die richtige?

Es ist sicher richtig, dass man im Bereich der Pflege und Gesundheitsversorgung mit pointierten Aussagen Aufmerksamkeit erregt. Man wird aber rasch eine systematische und strukturierte Positionierung zu allen relevanten Themen für die Wahlen erarbeiten müssen.

Hans Peter Doskozil im Interview mit den <em>"Heute"</em>-Chefredakteuren Peter Lattinger (l.) und Clemens Oistric
Hans Peter Doskozil im Interview mit den "Heute"-Chefredakteuren Peter Lattinger (l.) und Clemens Oistric
Denise Auer

Hat man das noch nicht getan?

Das weiß ich nicht. Wenn diese Ideen schon entwickelt wurden, sollte man sie schnellstmöglich auch der Bevölkerung mitteilen.

Ist der Vorstoß, den Menschen einen Arzttermin binnen zwei Wochen zu garantieren, richtig?

Natürlich, das erwarte ich mir von einem Gesundheitssystem. Aber im zweiten Schritt muss man erklären, mit welchen konkreten Maßnahmen man dieses Ziel erreichen will.

Aber jetzt konkret: Wie soll man dem Ärztemangel begegnen?

Man hat hier viel zu lange zugeschaut und der Ärztekammer zu viel Macht überantwortet. Es gibt im niedergelassenen Bereich schon mehr Wahlarzt- als Kassenvertragsordinationen. Das sind komplett falsche Entwicklungen, da muss man gegensteuern – und das kann man gesetzlich, da ist der Bund gefordert. Und wenn wir in öffentlichen Universitäten Ärzte ausbilden, dann muss man ebenfalls gesetzlich regeln, dass die dann in Österreich bleiben.

Zu sagen, wir sind nicht Asylziel Nummer 1 in Europa, ist eine besondere Frechheit.
Doskozil
zu seiner Obergrenzen-Forderung

Eine fünfjährige Behaltefrist also?

Vielleicht auch länger. Wir haben bei unserem Stipendiummodell im Burgenland beispielsweise eine zehnjährige Behaltefrist.

Es fehlen jährlich auch 3.000 Pflegekräfte ...

... aber nicht im Burgenland.

Wie viele fehlen im Burgenland?

Wir sind voll besetzt, weil wir rechtzeitig reagiert haben, etwa mit einem Anstellungsmodell samt 1.200 Euro Entschädigung in der Ausbildung. Im März werden wir außerdem eine Kooperation mit einer Partnerdiözese in Indien eingehen, wo vor Ort ausgebildet wird – mit dem Ziel, dass die Pflegekräfte später ins Burgenland übersiedeln. Philippinische Pflegekräfte, die gerade Deutsch lernen und dann eingesetzt werden, haben wir schon im Land.

Wir würden gerne noch über Ihre Asylobergrenze von 10.000 Flüchtlingen sprechen. Wie kommen Sie auf diese Zahl?

Seit 2015 hat Österreich – umgelegt auf die Bevölkerungszahl – die höchsten Asylanträge pro Kopf. Weit mehr als Italien oder Deutschland. Dann zu sagen, wir sind nicht Asylziel Nummer 1 in Europa, ist schon eine besondere Frechheit der ÖVP. Die Balkanroute war nie geschlossen und die Bevölkerung glaubt das auch nicht mehr. Aufgrund unserer hohen Belastung in den letzten Jahren braucht es jetzt eine klare Limitierung auf 10.000 Flüchtlinge pro Jahr. Eigentlich müssten wir ja überhaupt auf Jahre befreit werden.

Und was ist mit dem 10.001?

Ganz einfach: Der wird nicht zum Asylverfahren zugelassen.

Aber an der Grenze steht er ja dennoch.

Er wird auch über die Grenze kommen – weil es Schlepper gibt, weil es illegale Migration gibt. Aber wir können nicht bei jedem, der über die Grenze kommt, ein Asylverfahren starten.

Wenn Österreich zu schwach ist, sein Recht zu behaupten, dann haben wir die falschen Politiker.
SPÖ-Grande
rechnet mit der Regierung ab
Doskozil will in Asylthematik in Brüssel Druck machen.
Doskozil will in Asylthematik in Brüssel Druck machen.
Denise Auer

Ungarn wird den 10.001 Flüchtling auch nicht zurücknehmen.

Und das ist genau das, was ich einfordere: Die Dublin-Verordnung ist europäischer Rechtsbestand, gehört zum europäischen Vertragswesen. Würde diese Rechtsvorschrift eingehalten werden, kann es niemals sein, dass ein Staat wie Österreich – ohne Außengrenze mitten in Europa – pro Kopf die meisten Flüchtlinge hat. Wir müssen viel massiver auf Rücknahmeabkommen drängen!

Davon versprechen Sie sich Erfolg?

Nochmals: Wir fordern Recht, das uns zugesprochen wurde, ein. Wenn Österreich zu schwach ist, sein Recht europäisch zu behaupten, dann haben wir die falschen Politiker an der Spitze der Republik. 

Würden Sie klagen?

Würde ich, wenn wir könnten. Aber als Land sind wir nicht legitimiert, die Bundesregierung wäre es. Das Burgenland kann es lediglich anregen – ich überlege stark, dass wir das tun. 

Laut Innenminister Karner sind die Aufgriffe an der burgenländisch-ungarischen Grenze in den letzten drei Monaten stark zurückgegangen, auf im Schnitt 100 pro Monat.

Schöne Grüße an den Innenminister. Er hat es offenbar, wie Sebastian Kurz, geschafft, die Balkanroute zu schließen – auch wenn ich davon ausgehe, dass wir 2024 ähnliche Zahlen wie 2023 haben werden. Aber wenn es angeblich keine Probleme gibt, wird er auch kein Problem damit haben, wenn wir entsprechend unseres Anteils an einer Obergrenze von 10.000 Asylanträgen nur 330 Menschen im Burgenland in die Grundversorgung nehmen.

Bezahlkarte wegen 40 Euro? Reine Ablenkung!
Doskozil
ortet Scheindiskussion

Sollen Asylwerber Taschengeld bekommen?

Diese Bezahlkarten-Diskussion ist reine Ablenkung. In Wirklichkeit reden wir von 40 Euro im Monat – in Deutschland ist die Lage eine völlig andere. Für 40 Euro pro Monat eine Karte auszustellen, lohnt sich wohl kaum.

Also macht nicht das Bargeld Österreich interessant als Asylziel?

Interessant machen uns sicher die Sozialleistungen, die fließen, wenn tatsächlich Asyl gewährt wird. Diese Gelder werden teilweise in die Heimat überwiesen. Wie man das verhindern will, hat uns die ÖVP noch nicht gesagt – es würde mich aber sehr interessieren. 

Bleiben wir bei der SPÖ: Warum tut sich Ihre Partei so schwer mit dem Asylthema?

Die SPÖ ist gesellschaftspolitisch sehr breit aufgestellt. Das ist positiv. Diese Breite kann aber auch zu einer Zerrissenheit führen bei einem Thema, das die Bevölkerung komplett unterschiedlich tangiert. 

Würden Sie – wie von der Grünen Lena Schilling vorgeschlagen – Cannabis freigeben?

Cannabis ist der Einstieg in ein Suchtverhalten. Ich halte eine Freigabe daher für ein komplett falsches Signal an die Jugend. Verwendet man Marihuana für medizinische Zwecke ist es okay, aber wir dürfen nicht Amsterdam werden. Junge Menschen durch eine übertriebene "Pönalisierung" in die Illegalität zu drängen und sie zu Straftätern zu machen, ist aber vielleicht auch nicht die hundertprozentig richtige Antwort.

Welche Chancen geben Sie der Bierpartei?

Die Bierpartei hat sehr stabile Umfragewerte, mit bis zu sechs Prozent. Sie werden wohl hineinkommen. 

Herbert Kickl war sehr pferdeaffin.
Doskozil
vermisst große Leistungen

Warum haben Protestparteien Hochkonjunktur?

Bierpartei, die Kommunisten in Graz und Salzburg – all diese Phänomene entstehen, weil es eine große Unzufriedenheit mit den Regierenden gibt. Auch die guten Umfragewerte von Herbert Kickl sind damit zu erklären. Seine Performance als Innenminister kann es jedenfalls nicht sein. Ich kann mich nur erinnern, dass er über Pferde und später irgendwann über Pferde-Entwurmungsmittel philosophiert hat. Er war also sehr pferdeaffin.

Also nur Unzufriedenheit?

Und eine Schwäche der etablierten Parteien. Es birgt leider die Gefahr, dass wir eine ganze skurrile Parteienlandschaft kriegen könnten. Und die entwickelt sich, wenn ehemalige Großparteien sich davor drücken, entsprechende Antworten auf die Fragen der Zeit zu geben.

Herr Landeshauptmann, wir danken für das Gespräch.

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    Sabine Hertel, Google Maps, zVg

    Auf den Punkt gebracht

    • Burgenlands Landeschef Doskozil kritisiert im Interview mit "Heute" die ÖVP für ihr Versagen in der Migrationspolitik, gibt der SPÖ kaum Chancen auf den Wahlsieg und warnt vor einer Koalition mit der ÖVP auf Bundesebene
    • Er plädiert für mehr Offenheit gegenüber der FPÖ und betont die Problematik bei einer neuerlichen Zusammenarbeit mit der ÖVP aufgrund von inhaltlichen Differenzen
    • Doskozil tritt für eine Asyl-Obergrenze von 10.000 Flüchtlingen ein und betont die Notwendigkeit von radikalen Veränderungen in Österreich – gerade im Sozial-, Pflege- und Gesundheitsbereich, die mit der ÖVP unmöglich seien
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