Science

Durchbruch bei Kernfusion – doch Experte winkt ab

Forschenden ist erstmals eine Kernfusion gelungen, bei der mehr Energie gewonnen als verbraucht wurde. Ein Experte klärt über die Bedeutung auf.

Der Durchbruch gelang in der Versuchsanlage der National Ignition Facility.
Der Durchbruch gelang in der Versuchsanlage der National Ignition Facility.
Reuters

Einem Labor in den USA ist nach eigenen Angaben ein historischer "wissenschaftlicher Durchbruch" bei der Kernfusionsforschung gelungen: Bei einem Experiment wurde bei einer Kernfusion erstmals ein Nettoenergiegewinn erzielt, wie das Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) im US-Bundesstaat Kalifornien am Dienstag mitteilte. US-Energieministerin Jennifer Granholm sprach von einem Durchbruch, "der in die Geschichtsbücher eingehen wird".

Was wurde bei der Kernfusion in der National Ignition Facility (NIF) in Kalifornien genau erreicht?

Nach dem Prinzip der sogenannten Trägheitsfusion (siehe unten) wurde am 5. Dezember ein Wasserstofftropfen mit 192 Lasern bestrahlt. Dabei wurde erstmals deutlich mehr Energie durch Fusionsreaktionen freigesetzt, als der Laser eingestrahlt hat. Der Laser brachte 2,05 Megajoule auf das Ziel ein, die dadurch ausgelöste Fusion lieferte 3,15 Megajoule. Allerdings wurde bei diesem Nettoenergiegewinn die Effizienz der Laser bei der Umwandlung von elektrischer Energie in Laserenergie nicht einberechnet. LLNL-Direktorin Kimberly Budil zufolge benötigte die Anlage 300 Megajoule Energie, um die zwei Megajoule Laserenergie zu liefern. Dass insgesamt erst einmal mehrere Hundert Megajoule an Energie ins System gesteckt werden mussten, ist der Haken an der Erfolgsmeldung. Der Energieertrag habe nur einen Bruchteil des Eintrags betragen, erläutert Tony Roulstone, Experte für Nuklearenergie an der Cambridge-Universität.

Wieso gilt das Resultat des Kernfusionsexperiments trotzdem als Meilenstein?

Erstmals wurde bewiesen, dass Energie aus einer Deuterium-Tritium-Fusion gewonnen werden kann. Deuterium ist schwerer Wasserstoff und Tritium überschwerer Wasserstoff. Diese Wasserstoffisotope verschmelzen zu energiereichen Heliumatomkernen, die ihre Energie durch Hitze abgeben. Der bisherige Rekord lag laut Mark Wenman, einem Nuklearexperten am Imperial College in London, bei 70 Prozent der zugeführten Energie, die mittels Fusion erzeugt werden konnte. Die Kernfusion war also immer ein energetisches Minusgeschäft. Den nun erreichten Nettoenergiegewinn bezeichnet Wenman als "bemerkenswerten Punkt in der Geschichte der Menschheit". Er könnte eine künftige Ära einer grünen, sicheren und im Wesentlichen unerschöpflichen Form kompakter Energie einleiten, ohne langlebigen radioaktivem Abfall, so Wenman. Die Ergebnisse aus Kalifornien sind auch insofern bedeutend, da mit dem Machbarkeitsnachweis weitere Forschungsgelder gesprochen werden dürften.

Wann beginnt diese neue Ära?

An der Kernfusion wird seit den 1950er-Jahren intensiv geforscht. Trotzdem dürfte es noch Jahrzehnte dauern, bis kommerziell nutzbare Kraftwerke gebaut werden. Denn die Herausforderungen, die die Fusion an die Wissenschaft stellt, sind immens. So muss die Fusion über einen deutlich längeren Zeitraum als bisher möglich aufrechterhalten werden. Derzeit liegt der Rekord bei etwa 100 Sekunden, aufgestellt in einem chinesischen Versuchsreaktor. Dann muss mindestens doppelt so viel Energie erzeugt werden, wie insgesamt für die Erzeugung einer Fusionsreaktion aufgewendet wird, damit es sich lohnt. Denn bei der Umwandlung der erzeugten Hitze in Elektrizität mittels Dampfturbinen geht ebenfalls Energie verloren. Und schliesslich müssen die Kosten für die Erzeugung einer Fusion noch massiv gesenkt werden.

Warum wird die Kernfusion als heiliger Gral der Energiegewinnung bezeichnet?

Anders als bei der Kernspaltung, wie sie heute in Atomkraftwerken betrieben wird, werden bei der Kernfusion nicht schwere Atomkerne, sondern leichte Atome zu schwereren verschmolzen. Diese Reaktion findet auch in Sternen wie der Sonne statt. Sollte die Kernfusion dereinst erfolgreich umgesetzt werden, könnte praktisch unlimitiert Strom produziert werden. Billig, ohne Treibhausgase und ohne lange strahlende hochradioaktive Brennstoffabfälle. Das Fusionsprodukt Helium ist weder radioaktiv noch gesundheitsschädlich.

Aber es entstehen doch radioaktive Abfälle?

Die technischen Installationen im Reaktorinnenraum, wie etwa die Reaktorwände, werden durch die energiereichen Neutronen, die bei der Fusion entstehen, radioaktiv. Wie stark, hängt von den Materialien ab, auf die die Neutronen auftreffen. Deshalb werden für die Fusion spezielle, niedrig-aktivierbare Materialien entwickelt – ein weiterer Faktor, weshalb der Bau von geeigneten Kraftwerken so viel Zeit in Anspruch nimmt. Im Gegensatz zu den Abfällen, die bei der Kernspaltung entstehen und die Zehntausende Jahre eingelagert werden müssen, klingt die Radioaktivität der Kernfusionsabfälle innert 50 bis 100 Jahren ab, sodass keine geologischen Tiefenlager nötig sind.

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    Wo wird an der Kernfusion geforscht?

    Weltweit sind Bestrebungen im Gange, die Kernfusion zur Energiegewinnung nutzbar zu machen. Das Leuchtturmprojekt ist dabei der internationale thermonukleare Versuchsreaktor Iter, der in Cadarache in Südfrankreich gebaut wird. An diesem Projekt sind neben der EU auch die USA, Russland, China, Japan, Südkorea, Indien und indirekt die Schweiz beteiligt. Seit 2007 wird gebaut, fertiggestellt werden dürfte Iter aber nicht vor 2035. Wichtige Forschungsstandorte sind daneben Culham in England, wo der europäische Versuchsreaktor JET (Joint European Torus) steht. Weitere Versuchsreaktoren sind der KSTAR in Daejeon, Südkorea, und EAST in Hefei, China. Sie alle betreiben Grundlagenforschung für Iter.

    Welche Verfahren der Kernfusion gibt es?

    In der National Ignition Facility kommt die Trägheitsfusion zum Einsatz. Dabei wird eine winzige Menge Deuterium und Tritium in einem zwei Millimeter großen Hohlraum mit Laserstrahlen extrem verdichtet und dadurch auf die nötigen mehr als 100 Millionen Grad erhitzt, damit das Plasma entsteht, in dem die Fusion stattfindet. Da dies nur Sekundenbruchteile dauert, wird das heiße Plasma durch die eigene Trägheit zusammengehalten. Dieses für die Wasserstoffbombe entwickelte Prinzip ist für eine zivile Nutzung eher weniger geeignet.

    Bei Iter und den oben erwähnten Versuchsreaktoren in Großbritannien, Südkorea und China wird auf das Verfahren des magnetischen Einschlusses gesetzt. In einem Tokamak genannten Reaktor wird gasförmiger Wasserstoff auf über 100 Millionen Grad erhitzt, bis er zu Plasma wird. In diesem Plasma werden die Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium in Helium-4 verwandelt, wobei riesige Mengen Energie freigesetzt werden. Allerdings muss das heiße Plasma im Reaktor sozusagen frei schweben, damit es auf keinen Fall die Reaktorwände berührt. Denn das hätte zur Folge, dass die Temperatur schlagartig abfallen und die Fusion stoppen würde. Zudem würde das heiße Plasma den Reaktor schwer beschädigen. Damit das nicht geschieht, kommen enorm starke Magnete zum Einsatz, die aber systembedingt regelmäßig ein und wieder ausgeschaltet werden müssen.

    Ebenfalls nach dem Prinzip des magnetischen Einschlusses funktionieren Stellarator-Reaktoren. Eine solche Anlage ist Wendelstein 7-x im deutschen Greifswald. Der Stellarator kann anders als der Tokamak ohne Unterbrechungen arbeiten. Die dafür nötige Geometrie der Magnetspulen ist dagegen deutlich komplizierter. Sollte sie gemeistert werden, könnte der Stellarator wirtschaftlicher betrieben werden als ein Tokamak.

    Ist die Fusionsenergie eine Alternative zu anderen erneuerbaren Energien?

    Zurzeit nicht, da es noch Jahrzehnte dauern wird, bis eine kommerzielle Nutzung der Kernfusion möglich sein wird. Bis dann steht die Weiterentwicklung anderer erneuerbaren Energien im Vordergrund, was die Finanzierung der Kernfusionsforschung von staatlicher wie privater Seite schwierig macht. Auch aus diesem Grund sind die Ergebnisse aus Kalifornien für die Zukunft der Kernfusion wichtig. Sie beweisen, dass das in die Forschung gesteckte Geld nicht vergebens ausgegeben wurde.

    Wissenschaftspublizist Florian Aigner erklärte am späten Dienstagabend in der "ZIB2" bei Armin Wolf, was der Durchbruch für die Welt bedeutet. Und da ließ er aufhorchen: "Es ist ein Meilenstein", so Aigner, aber "einen echten Durchbruch sehe ich da noch nicht". Warum? Erst, wenn elektrischer Strom gewonnen werden könne, sei es ein Durchbruch, "da sind wir noch ein ganzes Stück davon entfernt". Die Fusion habe aber viele Vorteile, so gebe es weniger radioaktives Material und die Technologie sei auch viel weniger gefährlich.

    Vor allem: Die Gefahr einer nuklearen Kettenreaktion sei nicht gegeben. Werde die Technologie je alltagstauglich? "Ja, ich glaube schon, aber nicht heute und nicht morgen", so Aigner. Es sei jedenfalls keine pure Science Fiction und auch wir würden dies noch erleben. Aber: "Die Kernfusion wird die Energiewende nicht leisten, dafür kommt sie einfach zu spät", so Aigner.