Österreich

Entgeht NS-Verbrecher Prozess, weil er 90 ist?

Heute Redaktion
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Langwierig gestalten sich die Ermittlungen gegen einen mutmaßlichen NS-Verbrecher: Vor 21 Monaten war gegen den heute 90-Jährigen bei der Staatsanwaltschaft Wels eine Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord eingebracht worden. Ein medizinisches Gutachten wurde in Auftrag gegeben, die Staatsanwaltschaft rechtfertigt sich.

Der gebürtige Donauschwabe soll von November 1942 bis November 1944 Mitglied des "SS-Totenkopf-Sturmbannes" in Auschwitz gewesen sein. Das bestreitet er auch nicht, innerhalb des Vernichtungslagers will der Mann aber nie im Einsatz gestanden sein.

Im "Kurier" heißt es hingegen am Mittwoch, dass er fester Bestandteil des Stammpersonals gewesen sei, das "in einem rotierenden System an der Rampe eingesetzt" wurde. Auch auf einer Kriegsverbrecherliste der Alliierten soll sein Name aufscheinen, mit dem Verweis "Folter". Zudem sei auch aus der Gedenkstätte Auschwitz bestätigt worden, dass ein SS-Mann gleichen Namens im KZ Dienst geleistet habe.

Justiz in der Kritik: "Biologischer Ausgang"?

Informellen Kanälen zufolge soll das Gutachten dem Verdächtigen, der im Bezirk Eferding lebt, Verhandlungsunfähigkeit attestiert haben, so der Bericht. Laut "Kurier" liegt der Verdacht nahe, dass seitens der Justiz möglicherweise auf einen "biologischen Ausgang" des Falls spekuliert werde. Ob das Verfahren eingestellt wird, sei derzeit unklar.

"Wenn das stimmt, ist das extrem ärgerlich", wird Winfried Garscha, Leiter der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), zitiert. Die Staatsanwaltschaft habe gewusst, dass Eile nötig sei. "Vor eineinhalb Jahren wäre der alte Mann eventuell noch prozesstauglich gewesen."

"Es ist extrem viel passiert"

"Es ist extrem viel passiert", betonte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wels, Christian Hubmer am Mittwoch in einer Reaktion. Man ermittle akribisch und stehe in Kontakt mit Dokumentationsstellen in Österreich und Deutschland. Es habe Anhaltspunkte für einen schlechten Gesundheitszustand des Verdächtigen gegeben, zum Ergebnis des Gutachtens könne aber vorerst nichts gesagt werden.

Zum Verdacht, dass seitens der Justiz möglicherweise mit dem Tod des Mannes spekuliert werde, stellte Hubmer fest: "Dann hätten wir uns das alle sparen können." Auch ein historischer Gutachter sei beauftragt worden.

"Verhöhnung der Opfer"

Österreich werde vom Simon Wiesenthal Center immer wieder für seine mangelnden Aktivitäten bei der Ausforschung von NS-Verbrechern kritisiert, so der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser. "Meist folgen dann Lippenbekenntnisse der Justizministerin. Diese Gleichgültigkeit ist eine Verhöhnung der Opfer."

Die Sache sei überhaupt erst durch die Recherchen und die Anzeige engagierter Privatpersonen ins Rollen gekommen, betonte der Vorsitzende des Mauthausen Komitee Österreich, Willi Mernyi, in einer Aussendung. "Weder die Sicherheitsbehörden noch die Justiz haben das geringste Interesse an dem mutmaßlichen SS-Verbrecher gezeigt."

"Laxer Umgang"

Der "extrem laxe Umgang" mit einem Fall, in dem es um Beihilfe zum Massenmord gehe, sei eine Schande, so der Sprecher des Antifa-Netzwerks, Robert Eiter. Ministerin Beatrix Karl (ÖVP) müsse für einen rechtsstaatlich korrekten Umgang mit Nazi-Verbrechen sorgen. Auch die SPÖ Oberösterreich hat Kritik an der Justiz geübt: Anscheinend sei sie "nicht wirklich daran interessiert, den Fall zu bearbeiten", so die stv. Landesparteivorsitzende Fiona Kaiser.