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Erhaltung & Pflege der letzten Offenland-Hotspots

Irma Basagic
Der gemeinnützige Landschaftspflegeverein Thermenlinie-Wienerwald-Wiener Becken will die letzten naturschutzfachlich wertvollen Offenland-Hotspots unserer Region erhalten und pflegen. <em>(Symbolbild)</em>
Der gemeinnützige Landschaftspflegeverein Thermenlinie-Wienerwald-Wiener Becken will die letzten naturschutzfachlich wertvollen Offenland-Hotspots unserer Region erhalten und pflegen. (Symbolbild)
Foto: Getty Images/iStockphoto

PROJEKTNAME: Netzwerk Natur Region Thermenlinie-Wiener Becken
PROJEKTTRÄGER: Landschaftspflegeverein Thermenlinie-Wienerwald-Wiener Becken
KATEGORIE: Zivilgesellschaft
THEMENBEREICH: Artenvielfalt
TEILNEHMERZAHL: 23
PROJEKTSTART: 2017
STATUS: Aktiv
REGION: Perchtoldsdorf in Niederösterreich
INSTITUTIONALISIERT ALS: Verein
WIRKUNGSFELD: Die ganze Region
KONTAKTPERSON: Sandra Girsch
WEBhttps://landschaftspflegeverein.at/

Weitere Infos:

Darum geht es beim Projekt "Netzwerk Natur Region Thermenlinie-Wiener Becken"

In der Region Thermenlinie-Wiener Becken gibt es heute nur mehr Reste einer ehemals großen Offenlandschaft, die bis auf die letzten Eiszeiten (600.000 Jahre) zurückgeht. Dazu zählen Trockenrasen - die artenreichsten, blütenreichsten, insektenreichsten Offenland-Lebensräume in Mitteleuropa und Feuchtwiesen bzw. Niedermoore - mit hochrangigen Pflanzen- und Insektenraritäten.

Neben ihrer hohen biologischen Vielfalt sind diese Grünlandflächen durch ihren hohen Humusanteil und die große Wurzelmasse der Pflanzen im Boden überaus wichtige CO2-Speicher.

Unter dem Motto Ein regionales Netzwerk an Menschen für ein regionales Netzwerk an Naturflächen (Netzwerk Natur Region Thermenlinie-Wiener Becken) bauen wir - der gemeinnützige Landschaftspflegeverein Thermenlinie-Wienerwald-Wiener Becken (LPV) - seit 2017 ein Netzwerk an lokalen und regionalen Akteur*innen (Privatpersonen/Bürger*innen, Schulen, Student*innen, Vereine, Landwirt*innen (v.a. extensive Beweidungs-Betriebe), Gemeinden, Unternehmen u.v.m.) auf, um gemeinsam mit diesen die letzten konkreten, naturschutzfachlich wertvollen Offenland-Hotspots unserer Region zu erhalten, zu pflegen, wiederherzustellen und über Trittstein-Lebensräume und Verbindungskorridore (u.a. im Siedlungsgebiet – in Parks, auf Straßenböschungen und Gewerbeflächen) wieder zu vernetzen.

Das so entstandene Flächen-Netzwerk umfasst mittlerweile 1.287.000 Quadratmeter Naturfläche in 25 NÖ-Gemeinden und zwei Wiener Bezirken. 3.234 Freiwillige setzten sich mit uns in 240 Halbtages-Einsätzen für die Natur vor ihrer Haustür ein, 530 Schulklassen mit 10.216 Schüler*innen und ihren Lehrer*innen von 37 Schulen erforschten im Rahmen unseres Schulprogramms My Nature im Rahmen von Naturführungen die Natur vor ihrer Haustüre bzw. setzten sich aktiv bei Hands-on Aktivitäten für die biologische Vielfalt, Klimaschutz und Klimawandelanpassung ein (Zahlen 2018-Ende März 2022).

Folgende konkrete Maßnahmen setzen wir im Rahmen unserer Aktivitäten um:

- fachliche Vorbereitung und Umsetzung von Landschaftspflege-Maßnahmen zur Wiederherstellung und Erhaltung wertvoller Naturflächen (Trockenrasen, Magerwiesen, Feuchtwiesen und Niedermoore) in der offenen Landschaft:
(1) fachliche Betreuung, Begleitung und Fortbildung unserer Partner-Landwirt*innen bei der Naturschutz-Beweidung von Trockenrasen und Magerweiden (ca. 60 Hektar)
(2) Durchführung von Entbuschungs-Maßnahmen auf Trockenrasen gemeinsam mit Freiwilligen, Schulen und Unternehmen (großteils Weideflächen). Diese Maßnahmen erhalten nicht nur die Flächen in ihrer ökologischen Funktion (Biodiverstität/Klimaschutz/Klimawandelanpassung), sondern sind auch eine wichtige Unterstützung/Entlastung der ökologisch nachhaltig wirtschaftenden Weidebetriebe, die diese aufwändigen Arbeiten – neben der herausfordernden Beweidungs-Arbeit - nicht selbst durchführen müssen.
(3) Wiederherstellung und Mahd von mit Traktor nicht mähbaren Feuchtwiesenflächen und Niedermooren und Abtransport des Schnittguts mit Freiwilligen und Unternehmen

- fachliche Vorbereitung und Umsetzung von Pflegemaßnahmen zur Ökologisierung von Grünflächen im Siedlungs- und Gewerbegebiet
(1) Begleitung unserer Gemeinden bei der Ökologisierung ihrer Grünflächen im Siedlungsgebiet (Anlage von Wildblumen-Wiesen mit heimischem und regionalen Saatgut, klimaangepasste Baum- und Heckenpflanzungen, Umstellung der Grünflächenpflege auf eine extensive, ressourcenschonende Pflege, Anlage von klimaangepassten, ressourcenschonenden Staudenbeeten, Umgang mit invasiven Neobiota)
(2) Begleitung von Unternehmen in der Region bei der Ökologisierung ihrer Grünflächen im Gewerbegebiet (Anlage von Blühwiesen, klimaangepasste Baum- und Heckenpflanzungen, Umstellung der Grünflächenpflege auf eine extensive, ressourcenschonende Pflege, Umgang mit invasiven Neobiota)

- intensive Bewusstseinsbildungs-Arbeit in den Schulen, bei den Gemeinde-Verteter*innen, mit Naturführungen und Workshops für die Bevölkerung, Infoständen, Website, Newslettern, Artikeln für Medien und Gemeindezeitungen, Fortbildungen für Gemeindemitarbeiter*innen Viele Berichte zu unseren Aktivitäten, Angeboten zur Teilnahme an der Netzwerk Natur Region für verschiedene Zielgruppen, Projektpartner, Teammitglieder etc. gibt es unter www.landschaftspflegeverein.at

Einerseits wird mit unseren Aktivitäten die herausragende biologische Vielfalt der Region gesichert, gleichzeitig sind Natur- und Klimaschutz eng miteinander verzahnt. Sowohl Grasländer als auch Feuchtwiesen und Niedermoore speichern große Mengen an CO2 im Boden.

Die von uns fachlich betreute naturschutzfachlich ausgerichtete, extensive Beweidung (ohne Verwendung von Entwurmungsmitteln) vieler dieser Flächen durch unsere Partner-Landwirt*innen, verstärkt die CO2-Bindung im Boden noch weiter, fördert die Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens – eine wichtige Eigenschaft bei Starkregenereignissen - und ist tatsächlich die einzige ökologisch und sozial nachhaltige, tiergerechte sowie regionale Form der Fleischproduktion. Die Tiere fressen nur, was der Mensch nicht essen kann.

Da außerdem nur intakte, möglichst artenreiche Ökosysteme in der Lage sind, sich an die veränderten Bedingungen durch den Klimawandel anzupassen (Resilienz), leisten wir mit der Wiederherstellung und Erhaltung von Feuchtwiesen, Trockenrasen, naturnahen Wiesen und Weiden sowie Grünflächen im Siedlungsgebiet nicht nur ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz, sondern auch zur Klimawandelanpassung.

Durch Verdunstung kühlen die Grünflächen gleichzeitig die Umgebung und binden Schadstoffe aus der Luft. Die Innovation der Netzwerk Natur Region liegt in der regionalen Verankerung von Biodiversitäts-Schutz und Klimaschutz:
- auf ökologisch hochwertigen Grünlandflächen und der gleichzeitigen Verbesserung von Potentialflächen im Siedlungsgebiet in einer Region - als bottom-up Initiative – gewachsen aus einem Biolog*innen-Team aus der regionalen Bevölkerung
- unter Einbeziehung möglichst vieler lokaler Akteur*innen.

Ziel ist die immer weitere Vergrößerung und Verdichtung dieses Grünflächen-Netzwerkes. Indem unsere Biolog*innen die lokale Bevölkerung – jung und alt - wieder mit zahlreichen Bildungsaktivitäten für die Natur vor der eigenen Haustür begeistern, wird sie für alle zunehmend zur Herzensangelegenheit und damit steigt die Bereitschaft sich persönlich zu engagieren.

Gemeinden und Unternehmen sehen den regionalen Mehrwert ihrer Aktivitäten für Klima- und Biodiversitätsschutz und werden zu finanziellen und organisatorischen Ermöglichern. Da das Projekt von der lokalen Bevölkerung getragen wird, nicht an Einzelpersonen hängt und auf einem stetigen weiteren Aufbau eines Netzwerks an Menschen basiert und so laufend durch neue engagierte Menschen gestärkt wird, wirkt es nachhaltig und langfristig.

Heute For Future im Gespräch mit dem Landschaftspflegeverein Thermenlinie-Wienerwald-Wiener Becken

Was zeichnet Ihr Projekt aus bzw. wie unterscheidet es sich von anderen?

Die Innovation unserer Netzwerk Natur Region ist, dass Biodiversitäts-Schutz und Klimaschutz (1) miteinander verschränkt und gemeinsam gedacht und nicht gegeneinander ausgespielt, (2) in einer Region, (3) auf ganz konkreten Flächen, (4) in gemeindeübergreifender regionaler Zusammenarbeit, (5) stark und mit langfristiger Perspektive, (6) von der regionalen Bevölkerung selbst getragen und vorangetrieben werden. Dies erfolgt mit der fachlichen Unterstützung und Organisationsarbeit unserer Expert*innen, die ebenfalls aus der Region kommen.

Erster wichtiger Schritt ist die Bewusstseinsbildung bei allen Akteur*innen für den Wert von Naturflächen im Offenland sowie Grünflächen wie Parks und straßenbegleitendes Grün im Siedlungsgebiet und ihre ökologisch nachhaltige Nutzung und Pflege.

So wird die Natur vor der Haustür zur Herzensangelegenheit der lokalen Bevölkerung und immer mehr Menschen sind bereit, sich aktiv und konkret einzubringen. Gleichzeitig lernen sie den ökologisch nachhaltigen Umgang mit Grün(land)flächen und wie eine nachhaltige, regionale Landwirtschaft (mit Schwerpunkt Beweidung) funktionieren kann.

Besonders engagierte Menschen in den Gemeinden - darunter oft ortsansässige besonders naturinteressierte Menschen, die als „Einzelkämpfer“ davor häufig zu wenig ernst bzw. wahrgenommen wurden - werden zu Local Heroes, die sich gestärkt durch die große gemeinsame Initiative fachlich einbringen und die Menschen vor Ort motivieren, sich zu engagieren.

Die positive Identifikation der Gemeinde-Politiker*innen und Unternehmer*innen mit dem Projekt eröffnet Finanzierungsmöglichkeiten für einen Teil der Aktivitäten direkt aus der Region. Somit trägt sich der örtliche Biodiversitäts- und Klimaschutz zu einem bedeutenden Anteil selbst und wird unabhängiger von äußeren Faktoren.

Was sollte geschehen, damit Ihre praktische Arbeit erleichtert wird? Wer sollte aktiv werden?

Der Umfang unserer Aktivitäten übersteigt mittlerweile weit die ehrenamtlichen Möglichkeiten. Es gibt daher aktuell zusätzlich zum Vorstand ein kleines fachlich versiertes Team an angestellten Mitarbeiter*innen. Auf Grund des Erfolgs und des großen Interesses an unseren Aktivitäten ist der Bedarf nach weiteren kontinuierlich verfügbaren personellen Zeitressourcen sehr groß, dementsprechend auch der Bedarf nach weiteren Finanzierungsmöglichkeiten.

Mit weiteren Zeitressourcen kann einerseits das Netzwerk an Flächen vergrößert werden, andererseits können weitere Gemeinden durch direkte Ansprache von unserer Seite aktiv in das Netzwerk eingebunden werden. Um noch mehr Menschen und Organisationen für die Netzwerk Natur Region zu begeistern, noch mehr Mithilfe für die Erhaltung ökologisch wertvoller Flächen zu erreichen und im Besonderen auch Vernetzungsflächen zu etablieren, suchen wir engere Kontakte zu Journalist*innen und Testimonials, die unser Innovationsprojekt kommunizieren und die Netzwerk Natur Region in die Breite tragen.

Weiters suchen wir Kontakt zu Unternehmen, die mit Gebiets- und Schulpatenschaften unser Projekt finanziell unterstützen möchten, mittels CSR-Terminen die Landschaftspflege unterstützen und ihre Flächen von gärtnerischer, intensiver Pflege auf eine ökologische Pflege zur Förderung der Biodiversität und als Beitrag zum Klimaschutz umstellen möchten.

Glauben Sie, dass Ihr Projekt auch anderswo durchgeführt werden könnte? Welche Voraussetzungen sollten dafür erfüllt sein?

Ja, sowohl im In- als auch im Ausland.

Bei vorhandenem Fachwissen in den Bereichen Biologie, Naturschutz, Naturraum-Management und Naturpädagogik, Wissen in Öffentlichkeitsarbeit und Projektorganisation bei den handelnden Personen und vorhandener Finanzierung von Personal- und Materialressourcen ist eine Skalierung selbstverständlich möglich und aus ökologischer Sicht wichtig und sinnvoll.

Sowohl inhaltlich als auch organisatorisch kann die Netzwerk Natur Region auf andere Regionen, auf ganz Niederösterreich und Wien, Österreich und darüber hinaus ausgeweitet werden. Der Bedarf ist aufgrund der Biodiversitätskrise und der Klimakrise definitiv gegeben.