"Mitschüler schlugen mich, weil ich ein Jude bin"

Heute Redaktion
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Eric Sanders wurde als Kind in Wien von seinen Mitschülern gedemütigt, weil er Jude ist. Er erlebte den Einmarsch Hitlers. Als Sanders nach London flüchtete, gab er in Wien alles auf, um von dort aus gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen.

Auf Einladung seiner ehemaligen Schule, das Goethe-Gymnasium in Hietzing, kam der 98-jährige Zeitzeuge Eric Sanders im Juni von London nach Wien, um Schülern seine Geschichte zu erzählen. Etwa, wie er von der 5. bis zur 7. Klasse von Klassenkameraden gedemütigt wurde, nur, weil er Jude war: „Als ich die 7. Klasse ein zweites Mal besuchte, das war der stärkste Antisemitismus, den ich in der Schule erfuhr. Von Zeit zu Zeit nahm einer der Schüler - er war Nazi - die Gelegenheit wahr, mir einen 'Boxer', einen Fußtritt zu geben, mir den Arm zu verdrehen oder mich am Ohr zu ziehen. Irgendetwas, um mir weh zu tun. Bis zum Anfang der siebten Klasse ließ ich alles mit mir geschehen, weil ich Angst hatte. Die anderen waren stärker. Ich war der Kleinste in der Klasse".

"Warum bist du heute so traurig, Nazi?"

Sanders, der damals Ignaz Schwarz hieß und sich später als britischer Soldat wegen der Nazis umbenennen ließ, erzählt über eine besonders zynische Ausformung des Antisemitismus: Seinen Vornamen ‚Ignaz' änderten Mitschüler in „Nazi" um: Ein Schulkollege sagte einmal zu mir: ‚Warum bist du heute so traurig, Nazi?'".

Sanders erzählt auch von den Übergriffen gegen seine Eltern, die ein Lebensmittelgeschäft in Wien führten: „Eines Tages stand ein SS-Mann davor, um zu verhindern, dass die Kunden in ein jüdisches Geschäft gingen." Die Kunden zeigten sich aber solidarisch mit der Familie: „Fast dieselbe Anzahl der Leute, die täglich kamen, nahmen dann einfach den Hintereingang zum Geschäft meiner Eltern", erinnert sich Sanders.



Als Hitler einmarschierte, beginnen einige jüdische Geschäftsleute Selbstmord"

Über die ersten Tage des nationalsozialistischen Regimes berichtet er 98-Jährige: „Ich sah Hitler einmarschieren. Einige jüdische Geschäftsleute begingen Selbstmord. Einige wurden auf der Straße verprügelt. Später, in der Reichskristallnacht (9. 11. 1938, Anm.), passierte das Ärgste."

Doch da war der damals 18-Jährige Sanders bereits nach London geflüchtet - auch seine Eltern mussten diesen Tag nicht in Wien miterleben.

"Glaubst du, dass es jetzt in Österreich keine Nazi mehr gibt?"

Sanders großer Traum, Musiker zu werden - vor seiner Flucht hätte er ein Stück fürs „Theater an der Wien" komponieren sollen -, platzte mit seiner Flucht aus Wien.

„Wollten Sie jemals in Ihre Heimat zurück, als Sie in England waren?" Sanders antwortet ein bisschen wehmütig: „Ein Freund hat mich darum gebeten, zurückzukommen. Doch als ich meine Eltern fragte, ob sie mit mir zurückkehren würden, antwortete mein Vater: ‚Schau, Erich. Ich weiß, wir (Engländer, Anm.) haben den Krieg gewonnen. Aber glaubst du, dass es jetzt in Österreich keine Nazis mehr gibt?'" Aber: „Ich hatte keinen Groll mehr gegen die Österreicher", ergänzt der 98-Jährige, dem erst kürzlich die österreichische Staatsbürgerschaft angeboten wurde - Sanders nahm sie mit großer Freude an.

Er selbst kam knapp nach Kriegsende sogar nach Wien zurück – als englischer Soldat, mit neuem Namen. Sanders hatte sich zur britischen Armee gemeldet, um seinen Beitrag gegen das Hitler-Regime zu leisten: „Das letzte Jahr bei der englischen Armee verbrachte ich in Wien." Zwei Jahre lang war er in einer englischen Spezialeinheit auftrainiert worden. „Ich war plötzlich richtig stark. Ich war zum genauen Gegenteil von dem geworden, der ich als kleiner Junge war."

"Genießt euer Leben, aber tut anderen nicht weh dabei"

In London baute sich Sanders ein neues Leben auf, heiratete, bekam Kinder, wurde Lehrer, später Schriftsteller.

Seine Botschaft an die ungen Menschen? „Genießt Euer Leben! Aber nicht so, dass ihr Anderen dabei weh tut!" Und er erinnert die SchülerInnen daran: „Demokratie bedeutet: Jeder und jede hat ein Recht darauf, an politischen Prozessen teilzunehmen. Das soll euch auch immer wichtig und wertvoll sein"

Das Interview ist Teil einer Zeitzeugen-Serie. Alle Zeitzeugen-Gespräche finden Sie auf www.heute.at/zeitzeugen

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