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Fall Timoschenko sorgt für Rüge an Ukraine

Heute Redaktion
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Bild: Reuters

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Inhaftierung der früheren ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenko in ihrer Heimat gerügt. Ihre Verteidiger forderten prompt ihre sofortige Freilassung.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Inhaftierung der früheren ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenko (52) in ihrer Heimat gerügt. Ihre Verteidiger forderten prompt ihre sofortige Freilassung.

Der Menschenrechtsgerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 5 § 1 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), von Artikel 5 § 4 (Anspruch auf zügige Prüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung), von Artikel 5 § 5 (Anspruch auf Schadensersatz für unrechtmäßige Freiheitsentziehung) sowie eine Verletzung von Artikel 18 (Begrenzung der Rechtseinschränkungen) in Verbindung mit Artikel 5 fest.

Die Anführerin der Orangenen Revolution von 2004 ist seit 2011 in Haft. Timoschenko hatte wegen der Haftbedingungen geklagt, zudem wirft sie der Ukraine vor, das Strafverfahren gegen sie sei politisch motiviert gewesen.

"Willkürliche Gefangennahme"

Im Urteil des EGMR stellt das Gericht insbesondere fest, dass Anordnung der Untersuchungshaft "willkürlich war, dass die Rechtmäßigkeit der Haft nicht angemessen geprüft wurde und dass die frühere ukrainische Regierungschefin "keine Möglichkeit hatte, für ihre unrechtmäßige Freiheitsentziehung Schadensersatz zu beantragen".

Der Richter hatte im Strafverfahren gegen Timoschenko auf ihre angebliche Behinderung des Verfahrens und ihr verächtliches Verhalten während der Gerichtsverhandlungen verwiesen.

Der Gerichtshof vertrat dagegen weiterhin der Auffassung, dass die Freiheitsentziehung nicht von den in Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), erwähnten Umständen, unter denen eine Person auf gesetzlicher Grundlage die Freiheit entzogen werden darf, gedeckt war, wie es in einer Erklärung des EGMR am Dienstag hieß. Mit einer Mehrheit der Stimmen wurde festgestellt, dass keine Verletzung von Artikel 3 (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) aufgrund der vermeintlichen Misshandlung Timoschenkos während ihrer Verlegung in eine Klinik am 20. April 2012 vorlag.

Freilassung gefordert

Nach dem Urteil der Straßburger Richter im Fall der inhaftierten ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko hat deren Verteidiger ihre sofortige Freilassung gefordert. Die Ukraine müsse die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umgehend umsetzen, verlangte Sergej Wlassenko einer Mitteilung von Timoschenkos Vaterlandspartei zufolge am Dienstag. Die Politikerin müsse politisch und juristisch rehabilitiert werden. Die Entscheidung des EGMR ist juristisch nicht bindend, da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

Mordvorwürfe

Timoschenko wird Steuerhinterziehung und Amtsmissbrauch vorgeworfen, seit Jänner ist sie offiziell auch noch mit Mordvorwürfen konfrontiert. Mit mehreren Hungerstreiks protestierte die ehemalige ukrainische Regierungschefin vergeblich gegen ihre Inhaftierung.

Nächste Seite: die Chronologie des Falls Timoschenko
   3. März 2010: Timoschenko muss nach einem Misstrauensvotum des Parlaments in Kiew zurücktreten. Der Vorwurf: Amtsmissbrauch. Sie habe zum Nachteil der Ukraine ein Abkommen über russische Gaslieferungen geschlossen.
   24. Juni 2011: In Kiew beginnt der Prozess. Im Gerichtssaal und auf der Straße kommt es zu Tumulten zwischen Gegnern und Unterstützern.
   5. August: Timoschenko kommt in Untersuchungshaft.
   11. Oktober: Trotz internationaler Proteste verurteilt ein ukrainisches Gericht Timoschenko zu sieben Jahren Straflager und umgerechnet 137 Millionen Euro Schadenersatz. Sie legt Berufung ein.
   18. Oktober: Nach dem Urteil sagt die EU ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch ab, der als Gegner von Timoschenko gilt. Viele halten ihn für den Drahtzieher des Prozesses.
   30. Dezember: Timoschenko kommt in ein Frauenlager in der Stadt Charkow, rund 450 Kilometer östlich von Kiew.
   14./15. Februar 2012: Die Oppositionsführerin klagt über Rückenschmerzen und wird im Straflager von Spezialisten der Berliner Klinik Charite untersucht. Diagnose: Bandscheibenvorfall.
   20. April: Timoschenko tritt aus Protest gegen ihre Behandlung durch das ukrainische Lagerpersonal in Charkow in einen Hungerstreik.
   8. Mai: Ein geplantes Treffen europäischer Staatschefs in Jalta platzt. Aus Protest gegen den Umgang mit Timoschenko hatten viele von ihnen abges
   9. Mai: Die Ex-Regierungschefin kommt in eine Spezialklinik außerhalb des Straflagers und beendet nach etwa drei Wochen ihren Hungerstreik.
   21. Mai: Ein zweiter Strafprozess gegen Timoschenko wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Veruntreuung wird vertagt. Weitere Termine werden wegen Timoschenkos Krankheit immer wieder verschoben.
   8. Juni: Beginn der Fußball-EM in Polen und der Ukraine. EU-Politiker boykottieren wegen Timoschenko die Spiele in der Ex-Sowjetrepublik.
   3. Juli: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg verurteilt die Justizwillkür in der Ukraine. Die Verhaftung von Timoschenkos früherem Innenminister Juri Luzenko im Jahr 2010 sei "willkürlich und ungesetzlich" gewesen.
   28./29. August: Der EGMR hört Vertreter Timoschenkos und der Ukraine an. Das Oberste Gericht der Ukraine in Kiew lehnt Timoschenkos Beschwerde gegen das Urteil von Oktober 2011 ab.
   29. Oktober: Bei der Parlamentswahl in der Ukraine kann die Regierung ihre Macht behaupten. Aus Protest gegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl tritt Timoschenko erneut in den Hungerstreik.
   18. Jänner 2013: Weitere schwere Anschuldigungen der Justiz sorgen für Aufsehen: Timoschenko müsse sich auch wegen Mordes an einem Abgeordneten verantworten, den sie 1996 in Auftrag gegeben habe.
   7. April: Auf Drängen der EU ist Timoschenkos Weggefährte Luzenko begnadigt worden. Das Dekret wird im Internet veröffentlicht.
   30. April: Die kleine Kammer des EGMR rügt die Ukraine und kritisiert die Untersuchungshaft Timoschenkos einstimmig als "willkürlich" und "rechtswidrig". Gegen das Urteil können beide Seiten binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen.