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Bergsturz: "Wir hatten einfach nur Glück"

Heute Redaktion
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Nach dem Felssturz im Bergell werden noch immer acht Personen vermisst, darunter 2 Österreicher. Die Überlebenschancen sind klein. Augenzeuge überlebte durch Zufall.

Bei einem gigantischen Felssturz im Schweizer Kanton Graubünden sind vier Millionen Kubikmeter Material ins Tal gerast. Hundert Bewohner des Dorfes Bondo GR mussten evakuiert werden. Die Schlammlawine zerstörte einige Gebäude im Dorf und zwölf Scheunen. Von acht Personen, die in der Gegend unterwegs waren und von Angehörigen als vermisst gemeldet wurden, fehlt jede Spur. Sie kommen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland.

Rund 130 Einsatzkräfte suchen nach den möglicherweise Verschütteten. Ein Helikopter der Kantonspolizei Zürich überfliegt das Gebiet mit einem sogenannten IMSI-Catcher, der Signale von Handys orten kann. In der Nacht überfliegt ein Armee-Helikopter mit einer Wärmebildkamera das Gebiet. Doch die Erfolgsaussichten sind klein.

Mit Österreichern zuvor zu Abend gegessen?

"Das Geröll liegt zum Teil mehrere zehn Meter hoch", sagt Andrea Mittner, Einsatzleiter bei der Kantonspolizei Graubünden, zu 20 Minuten. So tief könnten die Wärmebildkameras keine Daten mehr empfangen. "Wir tun alles, was irgendwie möglich ist", so Mittner. Doch noch immer sind große Teile des Katastrophengebiets nicht freigegeben und für die Retter nicht begehbar. Bis es so weit ist, könnten noch Tage vergehen. In der Nacht müssen die Rettungsarbeiten aus Sicherheitsgründen ruhen.

Eric Alexander, ein Bergsteiger aus den USA, war mit zwei Freunden - einer von ihnen ist blind - in der Region am Klettern, als die Lawine niederging. Noch in der Nacht zuvor hatte er in der Hütte Bergsteiger getroffen und mit ihnen zu Abend gegessen, die nun möglicherweise verschüttet wurden.

Überlebt dank Verspätung?

Dass er selbst nicht in die Lawine kam, war reiner Zufall (siehe Video). Seine Gruppe stieg an diesem Tag in Richtung Italien ab und wollte danach ihre beiden Autos im Tal holen – genau dort, wo die Lawine niederging.

Hätte die Gruppe ihre Pläne nicht wegen Regens um einen Tag nach hinten gelegt, wäre sie möglicherweise verschüttet worden. "Wir hatten einfach nur Glück", sagt Alexander zu 20 Minuten. Das sei sehr beängstigend. Die Berge seien unberechenbar. "Das ist ihre Natur." Einen Bergsturz dieses Ausmaßes, so Alexander, hätten auch erfahrene Bergsteiger nicht voraussehen können.

Eine Bewohnerin von Bondo sagt zu 20 Minuten, sie sei nur aus dem Dorf gefahren, um sich zum Kaffeetrinken zu treffen. Dann ging die Lawine nieder – und sie muss seither im Hotel leben. Dass ihr Haus noch steht, habe sie auf Fotos gesehen. Das Gefühl der Unsicherheit habe sie nun immer im Hinterkopf. Ob sie sich noch sicher fühle im Dorf und weiter dort wohnen könne, wisse sie noch nicht. "Erst einmal hoffe ich, dass wir wieder ins Dorf dürfen und wenigstens ein paar Sachen abholen können." Einen ähnlichen Bergsturz erlebte sie bereits 2011 – damals kam aber deutlich weniger Masse ins Tal.

Mehr Abbrüche wegen Klimawandel

Die Bewohner von Bondo wurden vor dem Bergsturz gewarnt und konnten sich in Sicherheit bringen. "Wegen des Klimawandels wird es in Zukunft mehr Bergstürze wie diesen geben», sagt Martin Keiser vom Bündner Amt für Wald und Naturgefahren zu 20 Minuten. Eine Forschungsarbeit habe ergeben, dass der auftauende Permafrost und einfließendes Kluftwasser für solche Abbrüche verantwortlich seien. Ob die Alarm-Systeme ausgebaut werden müssen, werde nun analysiert, sagt Keiser.

Am Freitag entscheidet der Kanton, ob erste Bewohner wieder zurückdürfen, um wenigstens einige Habseligkeiten wieder zu holen. Ganz sicher ist die Lage noch nicht. Einsatzleiter Mittner: "Weitere Abbrüche sind nicht ausgeschlossen."

(red)

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