Österreich

Freispruch für Mutter, die Kinder "ruhig stellte"

Heute Redaktion
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Bild: Fotolia.com

Mit einem überraschenden Urteil endete der Prozess gegen eine 24 Jahre alte Mutter von insgesamt vier Kindern, ihr Ehemann und die 53 Jahre alte Großmutter. Das Paar wurde vom Vorwurf freigesprochen, seine Kinder vernachlässigt zu haben - obwohl die Schützlinge "schwerste Entwicklungsstörungen" aufweisen.

Mit einem überraschenden Urteil endete der Prozess gegen eine 24 Jahre alte Mutter von insgesamt vier Kindern, ihr Ehemann und die 53 Jahre alte Großmutter. Das Paar wurde vom Vorwurf freigesprochen, seine Kinder vernachlässigt zu haben - obwohl die Schützlinge "schwerste Entwicklungsstörungen" aufweisen.

Dem Paar waren 2011 auf Veranlassung des Jugendamtes die Kinder abgenommen worden. Der Älteste - ein damals vier Jahre alter Bub - konnte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ohne fremde Hilfe stehen. Mit den jüngeren Geschwistern kommunizierte der Kleine über Kratzen, da er sich sprachlich nicht verständlich machen konnte. Die Kinder (zwei Buben und zwei Mädchen) sollen oft stundenlang vor dem Fernseher ruhig gestellt und dabei sogar im Kinderwagen fixiert worden sein.

Als die Psychiaterin im Auftrag des Gerichts den mittlerweile fünf Jahre und frei Monate alten Buben untersuchte, wies dieser ihren Ausführungen zufolge eine "globale Entwicklungsverzögerung auf allen Ebenen" auf: Seine grobmotorischen Fähigkeiten entsprechen denen eines Dreijährigen, seine sprachlichen Fähigkeiten einem Zweijährigen, obwohl er seit der Entscheidung des Jugendamts in einem speziellen Programm mit Nachdruck gefördert wird.

"Das würde jeder Laie erkennen"

Wenig, aber nicht wesentlich besser sieht es bei einem inzwischen vierjährigen Mädchen und ihrer zwei Jahre und sieben Monate alten Schwester aus. Lediglich der Jüngste - eineinhalb Jahre alt - sei altersadäquat entwickelt. "Bei den anderen würde jeder Laie erkennen, dass diese Kinder nicht altersentsprechend entwickelt sind", sagte Wörgötter.

Der Kindesmutter bescheinigte die Sachverständige wörtlich "absolute Erziehungsunfähigkeit". Die 24-Jährige leide an einer "primären Mangelbegabung" und habe bei der Untersuchung "einen infantilen Eindruck hinterlassen". Sie sei "nicht in der Lage, kindliche Bedürfnisse zu erkennen", so Wörgötter. Anders stellte sich die Situation beim Ehemann und der Großmutter dar, die auf die Sachverständige nicht intellektuell minder befähigt wirkten.

"Keine Erziehungsfunktion"

Der Mann habe "keine Erziehungsfunktion in der Familie übernommen" und "nicht regulierend eingegriffen, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre". Die dominante Person, die vorrangig die Kinder unter sich hatte, war laut Psychiaterin die im selben Haushalt wohnhafte 53 Jahre alte Großmutter, wobei ihre Erziehungsmaßnahmen dem Gutachten zufolge "zweifelsfrei nicht am Kindeswohl orientiert waren".

Für Richter Daniel Rechenmacher reichte die Beweislage nicht für Schuldsprüche aus. Wie er in seiner Begründung darlegte, bestünde "kein Zweifel, dass die Kinder beträchtlich beeinträchtigt sind und die Ursache eindeutig im Umgang der Familie mit den Kindern liegt". Den drei Angeklagten könne aber nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass ihnen eine für eine Verurteilung erforderliche gröbliche Vernachlässigung bewusst war: "Es fehlt die subjektive Tatseite". Im Übrigen sei das Strafgericht "der falsche Veranstaltungsort", diese Sache gehöre primär vom Pflegschaftsgericht geklärt, meinte Rechenmacher.

"Gibt zahlreiche Familien, wo es so zugeht"

Die Staatsanwältin, die in ihrem Schlussvortrag aus generalpräventiven Gründen tat- und schuldangemessene Strafen verlangt hatte ("Es gibt zahlreiche Familien, wo es so zugeht. Dass das in Ordnung sein könnte, kann unmöglich ein Zeichen der Republik Österreich sein"), gab keine Erklärung ab. Die Freisprüche sind vorerst nicht rechtskräftig. Die älteren zwei Kinder sind derzeit in sozialen Einrichtungen untergebracht, die  beiden anderen leben bei Pflegeeltern.