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Fremde in meinem Haus

Land: D, Genre: Gesellschaft + Soziales

Heute Redaktion
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Bild: Kein Anbieter

Wenn die 19-jährige Franzi nach Hause fährt, freut sie sich nicht nur auf das Wiedersehen mit ihren Eltern, sondern neuerdings auch auf Basel (23) und Omar (22), ihre "neuen syrischen Brüder". Die beiden sind im vergangenen Herbst bei Susanne und Ulrich eingezogen, gerade als Franzi, jüngstes ihrer vier Kinder, zum Studium fortging. "Wir hatten Platz, wir waren neugierig, wir wollten helfen." Rasch hat sich das engagierte Paar entschieden. Zwei junge Männer aus einem benachbarten Flüchtlingsheim zogen kurz darauf in die leerstehenden Kinderzimmer. "Wir kannten sie über die Kirchengemeinde. Sie hatten schon ihre Anerkennung, waren auf der Suche nach einer neuen Bleibe, aber bezahlbare Zimmer sind hier nicht leicht zu finden, und viele scheuen sich auch, an Flüchtlinge zu vermieten", erzählt Susanne. In ihrer gutbürgerlichen Siedlung sind Omar und Basel inzwischen bekannt und akzeptiert. "Wir haben gleich bei allen Nachbarn geklingelt, unsere beiden Jungs vorgestellt, zu einem kleinen Willkommensfest eingeladen." Mit fremden Menschen dauerhaft den Alltag teilen? Kann das gut gehen? Wie muss es laufen, damit es gut geht? Andrea hat sich darüber anfangs kaum Gedanken gemacht. Als ehrenamtliche Flüchtlingsbetreuerin wurde die Göttingerin von einer Ärztin angesprochen. Es gäbe da die junge Burtugala aus dem Sudan, die ihr Kind möglichst nicht in einer Massenunterkunft gebären sollte. Und deren Freundin Aliaa, die Mann und fünf Kinder in Syrien zurücklassen musste und ganz allein über die Balkanroute nach Deutschland kam. Beide Frauen leben nun schon seit Monaten bei Andrea und ihrem Mann in einer kleinen Dachwohnung. Für Burtugalas Baby ist sie Ersatzoma, für beide Frauen Begleiterin bei sämtlichen Behördengängen, Trösterin in dunklen Stunden, immer ansprechbar. "Unsere Mutter Teresa", sagt Aliaa, die den Tag herbeisehnt, an dem ihre Familie nachkommen darf. "Ich habe kaum mehr Zeit für mich, im Haushalt bleibt viel liegen, im Garten auch", sagt Andrea. Ihr Leben hat sich komplett verändert. Früher war es geordnet, jetzt ist jeder Tag ein Abenteuer. Trotzdem kann sich die 55-jährige ehemalige Jugendleiterin gar nicht vorstellen, dass ihre beiden "Quasi-Töchter" irgendwann einmal wieder ausziehen. Was, wenn Aliaas Antrag auf Familiennachzug positiv beschieden wird? Was, wenn Burtugala vielleicht doch kein Asyl bekommt? "Darüber denke ich nach, wenn es soweit ist", sagt Andrea, die Pragmatikerin. Auch Susanne (55) und Ulrich (60) verschwenden nicht viele Gedanken an die Zukunft. "Wenn unsere beiden syrischen Jungs irgendwann aus dem Haus gehen, dann wird es so sein wie bei unseren eigenen Kindern auch, als sie flügge wurden." Basel möchte nach dem Deutschkurs vielleicht ein Studium beginnen, Omar sucht eine Lehrstelle als Automechaniker. Franzis "neue Brüder" mögen Rap, die gleiche Musik wie sie selbst. Sie haben kein Problem damit, dass ihre bayerischen Zweiteltern gelegentlich ein Glas Bier trinken und einen guten Schweinebraten zu schätzen wissen. Wie funktioniert das Zusammenleben unter einem Dach? "Viel unproblematischer, als wir anfangs dachten", so Ulrichs Bilanz nach dem ersten halben Jahr. Wie aus Fremden Familienmitglieder werden "37°" hat das spannende Experiment begleitet.