Niederösterreich

"Fußball in Wien stirbt, weil Leute nix mehr trinken"

Der SV Wienerfeld wird heuer 75! Möglicherweise das letzte Jubiläum für den Traditionsverein. Warum, erklären die Obmänner Steffler und Vogl.

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Die Zwei von der SV Wienerfeld: Obmann und "Mann für alles" Walter Steffler (r.) und Stellvertreter Peter Vogl
Die Zwei von der SV Wienerfeld: Obmann und "Mann für alles" Walter Steffler (r.) und Stellvertreter Peter Vogl
SV Wienerfeld

"Früher sind die Leute noch am Donnerstag bei uns gesessen, haben vier Gspritze getrunken, dann noch zwei bis drei oder gar vier Achterl und sind dann glücklich nach Hause gewankt. Dazwischen haben wir die Beiträge der Anhänger und Mitglieder kassiert", erklärt Wienerfeld-Obmann-Stellvertreter Peter Vogl. Jetzt ist diese Einnahmequelle wie weggeblasen - verhungert, verdurstest: Kurz es gibt sie nicht mehr.

"Jeder kennt jeden"

Was so basal-banal klingt, war für den kleinen Kult-Verein aus Wien-Favoriten indes essentiell. "Da kam noch Geld in die Kassa", so Obmann Walter Steffler, der auch seit 15 Jahren den Nachwuchs bei "der Wienerfeld" leitet. "In der Wienerfeld-Siedlung hat jeder jeden gekannt und irgendeiner aus der Familie spielte irgendwann mal bei uns", so die beiden Obmänner unisono.

Nur noch 4 zahlende Fans bei Derby

Damals kamen noch 100 zahlende Zuschauer oder mehr zu den Heimspielen des SVW. "Damals als wir noch einen eigenen Platz hatten", seufzen Steffler und Vogl und wollen gar nicht von den Höhenjahren in der Regionalliga Ost reden, als man im Jahr 1992 aufgestiegen war, sich in der Regionalliga Ost-Saison im Mittelfeld bzw. unteren Mittelfeld etablierte und erst im allerletzten Match hinter Hohenau fiel (Anm.: die Nord-Weinviertler hatten damals auch bessere Tage - jetzt Gebietsliga) und den bitteren Abstieg hinnehmen musste.

Der alte Wienerfeld-Platz musste jedoch vor Jahrzehnten einem Verkehrsprojekt weichen. Beim letzten Revier-Derby Ankerbrot gegen Wienerfeld im Herbst 2021 waren laut Peter Vogl 4 (in Ziffern: vier) zahlende Zuschauer gekommen. "Und das bei einem Revier-, ja sogar Platzderby", so der Obmann-Stellvertreter fassungslos.

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    Die beiden Obmänner des SVW: Die beiden leben noch für das runde Leder - Peter Vogel (l.) und Walter Steffler
    Die beiden Obmänner des SVW: Die beiden leben noch für das runde Leder - Peter Vogel (l.) und Walter Steffler
    SV Wienerfeld

    Mittlerweile gäbe es überhaupt ein Platz-Sterben in Wien, so auch in Favoriten: Hinter dem Kaiser-Franz-Josef-Spital war der "Berg Kamel", beim Eisring Süd war der Nothnagel-Platz, der Süd-Ost-Platz, die "Rote Erde" und natürlich der Wienerfeld-Platz. Die jetzige Situation darf getrost als trist bezeichnet werden.

    Paar Plätze für 50 Vereine

    Auf rund 50 Fussballvereine in Favoriten kommen jetzt nicht mal zehn Plätze/Stadien in Wien-10: Der FavAC-Platz, die Franz-Koci-Anlage (1980 Wien), der Wienerberg-Platz in der Computerstraße, der Rax-Platz (TWL Elektra) und die Anker-Arena (Franz Hölbl-Anlage oder jetzt "Deniz-Bank-Arena") in der Heubergstättenstraße sowie die Generali-Arena oder der "Horr-Platz" wie ihn Favoritner nennen. "Der Horr-Platz ist für kleine Vereine ohnedies nicht zugänglich", so Vogl.

    In der Heubergstättenstraße, der "Heimstätte" des SVW, laufen mehrere Vereine verschiedenster Altersklassen auf - eine wichtige Einnahmequelle ist indes weggebrochen: Die Kantine. Grund: der alte Kantineur ging mit Juni 2021 in Pension, der jetzt moslemisch geführte Traditionsverein KSV Ankerbrot Montelaa (1922 gegründet) kann weitgehend auf Alkohol verzichten.

    Für Vereine wie den SVW, Polska oder auch andere Vereine ist der Wandel im Wiener Unterhaus ein hartes und trockenes Brot - die Untermieter sind teilweise sehr unglücklich mit der Situation.

    Kaum Geld in Kassa

    Wenig Einnahmen auf der Habenseite, aber viel Ausgaben auf der Sollseite: "Wir zahlen alleine 17.000 Euro für die Platzmiete im Jahr. Und dabei trainieren wir noch zwei Mal in der Woche. Früher haben wir drei Mal pro Woche trainiert - aber da wären wir bei weit über 20.000 Euro im Jahr", so die SVW-Obmänner.

    "Über die Jahre mussten wir nach und nach Nachwuchsmannschaften einstampfen: Früher hatten wir sogar eine U9! Wir haben jetzt nur noch eine U12, U14, U16, U18. Und selbst da haben wir hohe Kosten: Schiri, Ausrüstung, Aufwandspauschalen etc. Rund 3.500 Euro pro Nachwuchsteam im Jahr muss man berechnen", bringt es Vogl auf den Punkt. Statt weniger, werden die Probleme immer mehr - neueste Widrigkeit: Das Parkpickerl: "Weil viele Eltern nicht mehr am Platz bleiben, weil sie fürs Parken nicht auch noch brennen wollen", erzählen die beiden Fussball-Haudegen.

    "Viele Eltern bleiben nimmer am Platz, weil sie fürs Parken nicht auch noch zahlen wollen" - Obmann-Stellvertreter Peter Vogl.

    Auf der anderen Seite würde nur wenig Geld in die Kassa gespült werden: "260 Euro im Jahr kostet es, wenn ein junger Bursch bei uns spielt - das wäre der auf einmal bezahlte Jahresbeitrag. Zahlen Eltern monatlich sind es 300 Euro im Jahr. Reiten, Schwimmen und andere Sportarten sind weit teurer. Und sogar da müssen wir jedem Euro hinterherlaufen. Denn dass wir klagen, kommt in der Praxis nicht vor." Traurig: Auf der Vereinshomepage sind nur noch eine Handvoll Sponsoren (Anm.: von denen z.B. ein Kaffeehaus bereits zugesperrt hat) und ganze sechs Mitglieder zu finden.

    "Ein großer Sponsor - ja, das ist ein schöner Wunschgedanke. Wir dürfen uns über Beträge von 100 oder 200 Euro freuen und darüber freuen wir uns wirklich sehr", sagt Peter Vogl.

    Keine Zukunft

    Für die nahe Zukunft sieht Peter Vogl wenig Grün-Weiß, dafür Schwarz: "Es geht sich einfach nimmer aus. Die Leute kommen nicht mehr, konsumieren nicht mehr. Bald ist es Walters Problem, denn der ist jünger als ich", so der 67-Jährige Vogl augenzwinkernd in Richtung des gut eine Woche jüngeren Steffls.

    Abstecher nach NÖ

    Besser als in Wien ist die Situation teilweise im niederösterreichischen Unterhaus. Im Weinviertel etwa kommen bei einem Derby noch bis zu 300 Zuschauer (regional sogar mehr).

    Doch auch in Niederösterreich leben viele Vereine im Nachwuchsbereich nur noch durch den unendlichen Einsatz von einigen, wenigen Personen, die viel Zeit und Kraft in die Nachwuchsarbeit stecken. Ein gutes Beispiel: Der FC Mistelbach.

    Erst am Wochenende hatte ein Eklat im Wiener Unterhaus für Wirbel gesorgt - ein Verteidiger war ins Koma getreten worden.

    Die Geschichte des Vereins

    Der S.V. Wienerfeld ist ein traditioneller Favoritner Fußballverein, der auf eine lange Geschichte zurückblickt. Der Begeisterung einiger Burschen und Eltern ist es zu verdanken, dass im Sommer des zweiten Nachkriegsjahres im Jahr 1947 die Idee geboren wird, einen Sportverein zu gründen. Trotz der großen Armut in der Bevölkerung und den täglichen Herausforderungen, die die Nachkriegszeit mit sich gebracht hat, gelingt es dem Verein innerhalb von nur drei Jahren einen eigenen Platz aufzubauen. Mit vereinten Kräften und in Eigenregie werden Bombentrichter zugeschüttet und eine kleine Baracke errichtet, die den Spielern als Umkleidekabine dienen soll. An Duschen und einen Warmwasseranschluss ist in dieser Zeit nicht zu denken, ein Brunnen vor der Baracke muss den Ansprüchen Genüge leisten. Trotz dieser spartanischen Bedingungen ist dieser - selbst errichtete - Wienerfeldplatz der ganze Stolz des Vereins der auch für andere Betätigungen genützt wird: Gewichtheben, Faustball, Damenhandball, Schach und eine Theatergruppe.

    Es stellen sich schnell die ersten Erfolge ein. Wienerfeld wird in der Wiener Fußballszene relativ rasch zu einer fixen Größe. Die Zahl der Mitglieder wächst stetig und immer mehr Kinder und Jugendliche entdecken ihre Liebe zum runden Leder, die sie beim SVW ausleben können.

    Trainer Kranjcar

    Im Laufe der Jahre gab es viele Höhen und Tiefen, es gab auch immer wieder Rückschläge, es konnten aber auch sehr viele Erfolge gefeiert werden. Viele grün-weiße Talente wurden von großen Vereinen abgeworben ((Anm.: wie Austria, Rapid, Wacker Wien (die Obermeidlinger sind das nächste prominente Opfer in der Runde), Vienna, Sportklub, etc.)). Der S.V. Wienerfeld galt als Fußballschmiede und viele österreichische Topvereine richteten ihr Augenmerk auf den Wienerfelder Nachwuchs. Im Laufe der Geschichte konnte der Verein auch auf namhafte Trainer zählen wie zum Beispiel: Rudi Flögel, "Rapid-Bomber" Zizo Kranjcar oder Helmut Weigl.

    Die wohl besten Jahre hatte der Verein Anfang der 90er Jahre, wo der SVW den Aufstieg bis in die Regionalliga geschafft hat und dem Sieg der Nachwuchs-Gesamttabelle. Ab der Mitte der 90er Jahre fristete man eine Existenz als Mittelständler in der Oberliga A. Die glorreichen Zeiten, als sich mit Kapital Topspieler anlocken ließen, waren vorbei. Man gab sich, auch durch budgetäre Abspeckungen, mit diesem Dasein zufrieden. Einzig positiver Aspekt: auf die Spieler des eigenen Nachwuchses wurde vermehrt zurückgegriffen, der SVW hatte wieder den Status als Ausbildungsvereins.

    Im Sommer 2007 stand man vor den Trümmern, das Überleben des Vereins hing am seidenen Faden. Obmann Walter Haban gelang es in dieser schwärzesten aller Stunden die richtigen Leute um sich zu scharen. Unter anderen lag auch Kapitän und Zugpferd Thomas Weigl der Fortbestand der grün-weißen Fußballtradition am Herzen, gemeinsam mit dem damaligen sportlichen Leiter Hans Tetour stellte Trainer Wewera eine Mannschaft aus vielen Neuzugängen und Eigenbauspielern zusammen.

    Der verbissenen Arbeit aller ehrenamtlichen Funktionäre ist es zu verdanken, dass der Spielbetrieb damals wie heute aufrechterhalten werden konnte/kann. Das Duo Steffler/Vogl ist derzeit noch der lebende Garant für den S.V. Wienerfeld - doch auch dieses Duo wird nicht jünger ...