Szene

Geheime Räume unter Stephansdom wieder geöffnet

Heute Redaktion
Teilen

Lange Zeit wusste niemand, dass unter dem Stephansdom noch ein zweites Kirchlein versteckt ist. Erst 1973 als man für den Bau der U1 in die Tiefe grub, stießen Arbeiter auf die geheimen Räume aus dem 13. Jahrhundert. Eine Zeit konnte die Kapelle besichtigt werden, dann wurde sie für Renovierungsarbeiten wieder für Jahre geschlossen. "heute.at" hat die ersten Bilder der Virgilkapelle in neuem Glanz.

Lange Zeit wusste niemand, dass unter dem Stephansdom noch ein zweites Kirchlein versteckt ist. Erst 1973, als man für den Bau der U1 in die Tiefe grub, stießen Arbeiter auf die geheimen Räume aus dem 13. Jahrhundert. Eine Zeit konnte die Kapelle besichtigt werden, dann wurde sie für Renovierungsarbeiten wieder für Jahre geschlossen. "heute.at" hat die ersten Bilder der Virgilkapelle in neuem Glanz. 
Jahrhundertelang schlummerte die Virgilkapelle unter St. Stephan im Dörnröschenschlaf. Als sie in den 70ern wiederentdeckt wurde, war die Aufregung groß. Doch Luftfeuchtigkeit, Dreck und andere Einflüsse von außen zwangen die Verantwortlichen, die Räumlichkeiten 2008 wieder zu schließen. Jahrelang wurde renoviert und einer der besterhaltenen gotischen Innenräume Wiens bekam nun auch eine Klimaanlage, damit der Zahn der Zeit dem seltenen Baujuwel nichts anhaben kann. 

Musikalische Sensation: Arvo Pärt komponierte für Wiedereröffnung

Zum Wochenende wird mit einer musikalischen Sensation feierlich wiedereröffnet: Der estnische Komponist Arvo Pärt hat  erstmals seit langer Zeit einen Kompositionsauftrag angenommen und die "Kleine Litanei" komponiert. Gewidmet ist das vierminütige Vokalstück dem Arnold Schoenberg Chor und seinem Leiter Erwin Ortner. 

Neue Ausstellung erklärt Leben im alten Wien

Zusätzlich zu den eigentlichen Räumlichkeiten, tief unter dem Stephansplatz wurde in einem Nebenraum eine Dauerausstellung zum mittelalterlichen Wien gestaltet. Im Zentrum steht die Virgilkapelle, ihre Entstehung und ihre mögliche Nutzung und ihre Lage im Schatten des Stephansdoms, der wichtigsten Pfarrkirche im Herzen der Stadt. Einzelne Kapitel behandeln die herrschaftlichen Verhältnisse und die Organisation der Stadt, ihre Bewohner, Umwelt und Alltagsleben, Religion und Bildung. 

Zur Feier der Wiedereröffnung ist der Eintritt am Samstag, den 12.12. und Sonntag, den 13.12. frei!

Öffnungszeiten: Di - So 10-18 Uhr

Jeden ersten Sonntag im Monat Eintritt frei

Eintritt für Erwachsene: 5 Euro

Auf der nächsten Seite finden Sie die spannende Geschichte der Virgilkapelle

Die Entstehung der Virgilkapelle

Der Baubeginn der Virgilkapelle fiel in eine Zeit, in der die von den Babenbergern regierte Stadt einen großen Aufschwung erlebte. Die alten Stadtmauern wurden abgetragen, mit dem Lösegeld aus der Gefangennahme des englischen Königs Richard Löwenherz errichtete man eine neue Befestigungsmauer – in etwa dort, wo heute die Ringstraße verläuft. Die Stadt wuchs um mehr als das Doppelte, und die Stephanskirche, ursprünglich außerhalb der Stadtmauern gelegen, wurde zum Zentrum Wiens.

Direkt neben der Stephanskirche wurde für die Virgilkapelle eine tiefe Baugrube für sechs massive Pfeiler ausgehoben, bis man auf eine Schotterschicht stieß. Dieser Untergrund sorgte für die größtmögliche Stabilität des Gebäudes. Um den Druck des Erdreichs abzufedern, mauerte man die Nischen halbrund aus. Auf diese Weise entstand ein unterirdischer Raum mit der beachtlichen Höhe von etwa elf Metern und einem außergewöhnlichen Grundriss. Die Pfeiler der Unterkirche hätten ein sakrales gotisches Gebäude tragen sollen. Nachdem dieser ursprüngliche Plan jedoch aufgegeben worden war, baute man das Gotteshaus in einfacherer Form weiter. Die 3/5 Nischen zwischen den sechs Pfeilern wurden mit Spitzbögen überwölbt, sodass darauf ein rechteckiger Raum errichtet werden konnte. Im 14. Jahrhundert trieb die einflussreiche Schreiberzeche den Ausbau der Maria-Magdalena-Kapelle voran.

Ausmalung und Radkreuze

Die besonders reiche Ausgestaltung des großen Radornamentes, das sich in den Nischen der Virgilkapelle vereinfacht wiederholt, weist darauf hin, dass die stirnseitige Nische der bedeutendste Teil des Raumes war. Sie weist nach Osten, in Richtung Jerusalem. Dorthin war in allen mittelalterlichen Kirchen der Hauptaltar orientiert. Vielleicht wurden auch die Apsiden liturgisch genutzt. Die restlichen Wandflächen waren ebenfalls bemalt, auf dem weißen Grund wurden mit doppelten roten Linien längliche Rechtecke eingefasst, die Steinquader nachahmen sollten. Durch die aufwändige Bemalung der gesamten Wandflächen erhielt der hohe unterirdische Raum, dessen außergewöhnlicher Grundriss durch mehrere Planänderungen eher zufällig zustande kam, Geschlossenheit.

Es bleibt ein Rätsel, wozu dieser Sakralraum zunächst genutzt wurde. Es gibt keine baulichen Hinweise auf eine Treppe, über die man ihn auf einfache Weise hätte betreten können, ein hölzerner Einbau ist allerdings denkbar. Vieles deutet darauf hin, dass der Ort auch dazu bestimmt war, von außen wahrgenommen zu werden. Dazu dienten wohl die Fenster, durch die man vom Stephansfriedhof aus hinabblicken konnte. Was genau man in der unterirdischen Kapelle sehen konnte, ist aus schriftlichen Quellen allerdings nicht zu erschließen.

In der Mittelachse der Kapelle, genau vor der Ostnische, befindet sich ein Brunnen, dessen Innenseite mit Steinen ausgekleidet ist und zu dem es möglicherweise einen gegenüberliegenden zweiten Brunnen gab. Wann genau im Tiefgeschoß Wasserstellen angelegt wurden und ob dies praktische oder liturgische Gründe hatte, ist ungeklärt. Vergleichsbeispiele kennt man von Krypten in einigen französischen Kathedralen, wo sie mit der Heilkraft benachbarter Reliquien in Verbindung gebracht werden.

In seiner ursprünglichen Form beeindruckte der Raum durch seine außergewöhnliche Höhe. Heute ist diese jedoch nur mehr teilweise zu sehen, weil später im hinteren Bereich auf tieferem Niveau ein Gewölbe eingezogen wurde. Es wurde zu Beginn des 14. Jahrhunderts in die ältere Bausubstanz eingesetzt, ohne auf die Wandmalereien Rücksicht zu nehmen. Dort wurden die Gebeine aus den aufgelassenen Gräbern des Stephansfriedhofs verwahrt. Später verwendete die bedeutende Gottleichnamsbruderschaft das Geschoß als Andachts- und Versammlungsort. Das Untergeschoss (d.h. das heute erhaltene Bauwerk) wurde von der einflussreichen Bürgerfamilie Chrannest als Andachtsraum genutzt. Sie betrieb in Wien einen 4/5 florierenden Tuchhandel. Ein Mitglied ihrer Familie ist hier in der Kapelle auch als Priester belegt.

Restauratorische Herausforderungen

Der gesamte Innenraum der Virgilkapelle war ab Mitte des 13. Jahrhunderts flächig verputzt und durchgehend ornamental bemalt. Trotz der zahlreichen Fehlstellen ist die Wandmalerei heute noch als Ganzes zu erahnen. Als die Maria-Magdalena-Kapelle 1781 nach einem Brand abgerissen wurde, füllt man die unterirdischen Räume mit ihrem Bauschutt. Dadurch blieben die Wandmalereien über 230 Jahre beinahe unversehrt im Boden konserviert, bis der unterirdische Raum 1973 im Zuge des U-Bahnbaus wiederentdeckt wurde.

Die Freilegung stellt jedoch bis heute eine enorme restauratorische Herausforderung dar. Besonders die von außen eindringende Feuchtigkeit verursacht große Schäden, da Salze ins Erdreich eindringen (an den weißen Stellen zu erkennen), die an der Wandoberfläche Kristalle ausbilden und damit den sensiblen Verputz absprengen. Im Jahr 2008 musste der Standort des Wien Museums aus diesem Grund für das Publikum geschlossen werden. Der Verfallsprozess in der Virgilkapelle kann nur eingedämmt werden, wenn es gelingt, das Raumklima bei etwas unter 70 Prozent Luftfeuchtigkeit zu stabilisieren und die Wasserzufuhr aus dem Erdreich möglichst zu unterbinden. Ein wesentlicher Schritt zur Erhaltung war der Einbau einer Klimaanlage im Jahr 2013, darüber hinaus kommen laufend die neuesten restauratorischen und technologischen Methoden zur Anwendung, um dieses außergewöhnliche Bauwerk für die Nachwelt zu erhalten.