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Geht die Türkei jetzt vollkommen pleite?

Die Strafzölle von US-Präsident Donald Trump haben den Verfall der türkischen Lira beschleunigt. Was jetzt? Die wichtigsten Antworten.

Heute Redaktion
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Die Lira ist im freien Fall. Am Freitag sackte der Kurs der türkischen Währung an einem Tag um rund ein Fünftel auf ein Rekordtief ab. Seit Jahresbeginn hat die Lira über 40 Prozent an Wert eingebüßt. Die jüngste Abwärtsspirale befeuerte US-Präsident Donald Trump: Er verkündete die Verdoppelung der Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei. Gibt Trump der Lira jetzt den Rest? Und geht die Türkei jetzt pleite? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

• Trump oder Erdogan – Wer ist schuld am Lira-Zerfall?

Zwar befeuert Tump mit seinen Strafzöllen die Abwärtspirale der Lira. Doch das Problem liegt laut Ökonom Beat Schumacher tief in der türkischen Wirtschaft – vor allem bei der hohen Inflationsrate, dem Leistungsbilanzdefizit und der Fremdwährungsverschuldung. Die Teuerung lag im Juli bei rund 16 Prozent.

"Die Strafzölle sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt er zu "20 Minuten". Die Türkei gehöre zu den schwächsten und anfälligsten Volkswirtschaften unter den Schwellenländern. Es brauche nur ein wenig Gegenwind von außen, so dass Kurs der Lira weiter unter Druck gerate.

• Was kann die Türkei gegen den Lira-Verfall tun?

In erster Linie müsste die Inflation gestoppt werden. Im Juli lag die Teuerungsrate bei rund 16 Prozent. Stärkste Waffe wäre die Erhöhung der Leitzinsen. Doch diese nutzt die Zentralbank nur zögerlich. Laut Experten müsste der Leitzins über 20 Prozent angehoben werden. Derzeit liegt er bei 17,75 Prozent. Erdogan selbst ist ein erklärter Gegner hoher Zinsen.

US-Strafzölle

US-Präsident Donald Trump hat eine Verdopplung der Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei angeordnet. Die Zölle auf Aluminium würden nun auf 20 Prozent und die für Stahl auf 50 Prozent angehoben. Trump verwies ausdrücklich darauf, dass die Lira "«schnell gegenüber unserem sehr starken Dollar abrutscht!".

Die Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und den USA drehen sich unter anderem um die Inhaftierung des US-Pastors Andrew Brunson. Die USA fordern die Freilassung des in der Türkei festgehaltenen Brunson und weiterer amerikanischer Staatsbürger. Die USA hatten deswegen Sanktionen gegen den türkischen Innenminister Süleyman Soylu und gegen Justizminister Abdülhamit Gül verhängt. Damit werden mögliche Vermögen der Minister in den USA eingefroren, ausserdem dürfen US-Bürger keine Geschäfte mit ihnen machen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erließ daraufhin ebenfalls Sanktionen gegen US-Minister.

Investoren zweifeln daher an der Unabhängigkeit der Zentralbank. Sie befürchten, dass Erdogan besonders nach seiner kürzlichen Wiederwahl immer mehr Einfluss auf die Geldpolitik hat. Das belastet das Vertrauen der Investoren – und den Lira-Kurs. Um den Liquiditätsengpass durch den Währungsverfall zu stoppen, hat die Zentralbank am Montag Maßnahmen getroffen. Dadurch werden gut 10 Milliarden Dollar in die Märkte gepumpt.

• Warum will Erdogan keine hohen Zinsen?

Erdogan will sich laut Schumacher mit tiefen Zinsen bei der Bevölkerung beliebt machen. Denn tiefe Zinsen befeuern die Vergabe von günstigen Krediten. Auf den ersten Blick profitiert die Türkei davon auch: Im 1. Quartal ist die Wirtschaft um 7,4 Prozent zugelegt. Doch Schumacher warnt: "Ein bloß durch Kredite getriebenes Wachstum ist unter anderem wegen der zunehmenden Fremdwährungsverschuldung gefährlich."

• Geht die Türkeit jetzt pleite?

An einen Bankrott glaubt Schumacher nicht. Die Staatsverschuldung sei dafür zu niedrig. Derzeit beträgt sie rund ein Drittel der Wirtschaftsleistung, was weniger ist als in vielen anderen Ländern. Schumacher sieht aber die Gefahr einer ernsthaften Rezession.

Denn gut die Hälfte der türkischen Unternehmensverschuldung lautet auf Fremdwährungen, vor allem auf Euro und Dollar. Entwertet sich die Lira immer mehr, dann steigt diese Schuldenlast. "Es drohen daher Pleiten und Zahlungsausfälle bei den Unternehmen", so der Ökonom.

• Was bedeutet das für die türkische Bevölkerung?

Die hohe Inflation ist für die Konsumenten eine große Belastung. Werden die Waren bei gleichen Löhnen immer teurer, sinkt die Kaufkraft der Konsumenten. "Sie haben real immer weniger im Portemonnaie", so Schumacher. Doch der Konsum ist für das gesunde Wachstum einer Wirtschaft entscheidend.

• Steckt die Türkei jetzt andere Länder an?

Laut Schumacher dürfte die Wirtschaftskrise in der Türkei nicht für einen Flächenbrand sorgen. "Die internationale Verflechtung ist zu gering." So dürfte die Türkei auch nicht zu einem zweiten Griechenland werden. Der Unterschied: Die Türkei ist kein Euroland und wird daher nicht die ganze Währungsunion vor eine Zerreissprobe stellen.

Unter Druck geraten könnten aber Banken in Spanien, Frankreich und Italien, die Kredite an türkische Unternehmen vergeben haben. "Das wird den Euro vorübergehend ein wenig belasten", so Schumacher. Investoren flüchten daher in Währungen wie den Schweizer Franken als sicheren Hafen.