Österreich

Gemeindebau-Täterin: Kritik an Justiz wird laut

Im Falle der für eine Messerattacke verurteilten psychisch kranken Frau kritisieren Gutachter und Anwältin die Behörden.

Heute Redaktion
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Der am Montag für eine Messerattacke in einem Simmeringer Gemeindebau verurteilten Frau hätte schon längst geholfen werden können. Dieser Ansicht ist der Gutachter und die Rechtsanwältin der 54-Jährigen.

Die Aggressionen, die die Frau schließlich dazu brachten, auf zwei Nachbarinnen einzustechen, wurden nämlich von einem Medikament verursacht, das sie gegen ihre schwere Epilepsie einnahm - und ihr während ihrer Zeit in Gewahrsam weiterhin verabreicht wurde.

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Nimmt Medikament noch immer

Die Frau nahm das Medikament Fycompa auch während sie monatelang auf ihren Prozess wartete. Zuerst in der psychiatrische Abteilung der Justizanstalt Josefstadt, dann ab September im Landesklinikum Mauer.

Selbst Karl Dantendorfer, der das psychiatrische Gutachten erstellte, versteht das nicht, denn es wäre eine entsprechende Einrichtung zur Verfügung gestanden, die eine Umstellung hätte vornehmen können.

Laut Dantendorfer war die Frau aufgrund ihrer hochgradig seelisch-geistigen Abartigkeit zum Tatzeitpunkt unzurechnungsfähig. Und ist es bis heute. Da sie noch immer Fycompa einnimmt, sei "sie derzeit selbstverständlich gefährlich und aggressiv", sagte der Gutachter beim Prozess am Montag.

Absetzen, dann ist sie wieder harmlos

Würde man das Medikament absetzen, "ist es hochwahrscheinlich, dass sie in relativ kurzer Zeit wieder so harmlos werden wird wie sie vorher war", betonte Dantendorfer. Die Anwältin der 54-Jährigen, Christine Wolf, beantragte bereits kurz nach ihrer Verhaftung eine Verlegung in das Neurologische Zentrum Rosenhügel, wo die 54-Jährige stationär aufgenommen und das Medikament durch ein anderes ersetzt werden hätte können.

Woran scheiterte es?

Doch das geschah nicht. Der Grund liegt in der Personalnot der Justizwache. Zwei Beamte hätten die 54-Jährige am Rosenhügel bewachen müssen, dafür hat die Justizanstalt Josefstadt nicht genug Personal.

"Für die Justiz hat es keinen anderen Weg gegeben", heißt es vonseiten des Justizministeriums. Aufgrund "gesetzlicher Bestimmungen" habe man die Frau in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus verlegt (Landesklinikum Mauer), das Zentrum am Rosenhügel erfülle diese Rechtsform nicht. In Mauer sei die entsprechende Behandlung gewährleistet, heißt es.

Die Tatsache, dass die Frau in Mauer noch immer Fycompa verabreicht bekam, sei eine Entscheidung der behandelnden Ärzte gewesen, nicht des Justizministeriums: "Wir können nicht vorgeben, wie jemand zu behandeln ist", so Tichy-Martin.

Schwachstelle im System

"Es ist zweifellos eine Schwachstelle in unserem System, dass das nicht besser organisierbar war", bedauerte Gerichtspsychiater Dantendorfer. Auch der Richter, der sie am Montag auf unbestimmte Zeit in eine Sonderstrafanstalt einwies, betonte, dass die Aufgabe dieser Einrichtung sei, "der Frau zu helfen und das jetzige Medikament abzusetzen".

Sollte nach dem Wechsel der Medikation tatsächlich keine Gefahr mehr von der Frau ausgehen, müsse sie - "nach einer mehrmonatigen Beobachtungsphase" - auf freien Fuß gesetzt werden, sagte der Richter bei der Verlesung des (nicht rechtskräftigen) Urteils.

Schweres Schicksal

Die 54-Jährige leidet seit ihrer frühesten Kindheit an Epilepsie, hatte jahrzehntelang fünf bis zehn schwere Anfälle pro Woche. Sie konnte aufgrund ihrer Krankheit keiner geregelten Arbeit nachgehen und unternahm insgesamt 20 Selbstmordversuche.

"In Verzweiflung nach 50 Jahren erfolgloser Behandlung" probierten ihre Ärzte Fycompa aus. Sie entschieden sich dazu, das Risiko der Nebenwirkungen einzugehen, um der Frau zu helfen.

Die 54-Jährige bemerkte kurz nach Beginn der Einnahme Veränderungen: "Ich hab' gespürt, dass die Wut im Bauch gestiegen ist", sagte sie dem Richter bei der Verhandlung. Das hatte sie damals auch ihrem Arzt gesagt, die daraufhin die Dosis reduzierte. Aber sie blieb weiterhin so aggressiv - bis heute. (red)