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Gesundheitswahn gehört nicht auf den Kinderteller

Geht es um gesundes Essen, üben Erwachsene oft Druck auf ihre Sprösslinge aus. Ernährungsextreme haben auf dem Teller nichts zu suchen.

Heute Redaktion
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Bild: iStock

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, jeder muss sich optimieren. Schwäche und Ruhe werden kaum mehr zugelassen. Leider ist dies nicht nur die Realität der älteren Generationen. Der perfektionistische Aktionismus hält dank übermotivierten Eltern auch in den Kindergärten und Schulen Einzug.

Frei nach dem Motto "Du bist, was du isst!" ist nur das Beste gut genug, um die kleinen Racker zu Hochleistungsmaschinen zu formen, die später einmal die Welt erobern sollen. So werden Kindergärtnerinnen und Lehrer immer mehr zu Organisatoren rund um die Ernährungshypes. Milch bringt Krebs, Gluten ist das Verderbnis der Zivilisation, Zucker führt zu Übergewicht und Diabetes. Kindern wird all dies verboten, ohne dass eine Erkrankung oder Unverträglichkeit vorliegt. Vergessen wird dabei, dass Milch und Gluten Teil unserer kulturellen Ernährung der letzten 10'000 Jahre sind und wir bisher noch nicht ausgestorben sind.

Selbst Schokolade ist verboten

Bananen und Apfelschorle werden aus der Schule verbannt. Selbst wenn Kinder in der Freizeit viel Sport treiben, ist Schokolade verboten. Das Problem ist, dass Eltern mit gefährlichem Halbwissen, angefacht durch Laienernährungsberater, meinen, einen Einfluss auf die kognitive Entwicklung und den Erfolg der Kinder in der Schule zu haben. Oft schießen sie dabei weit über das Ziel hinaus und haben das Gefühl, wenn nicht alles perfekt läuft, werden die Kinder nie eine Chance auf ein erfolgreiches und gesundes Leben haben.

Dass dies bisweilen komische "Früchte" trägt, zeigt dieses Beispiel: Eine Multi-Level-Firma im Bereich Nahrungsergänzungen hat sich die Angst rund um die Ernährung zunutze gemacht, um ihren Verkauf von Produkten anzuheizen und Kinder als Kunden anzufixen. Die Firma verkauft in Kapselform Früchte und Gemüse für all jene, die zu faul sind, für ihren Körper zu sorgen. Mit einer groß angelegten Pseudostudie versuchen sie eine neue Generation von Kunden anzuwerben. Wenn die Eltern die Produkte konsumieren, bekommen die Kinder diese kostenlos. Dass dies eine widerliche Verkaufsstrategie ist, fällt überbesorgten Eltern nicht mehr auf.

Kinder, die keine mehr sein dürfen

Wenn ich mich zurückbesinne, frage ich mich, wie wir früher überhaupt überleben konnten. Wir haben Weißbrotsandwiches mit Salami als Gabelfrühstück gegessen, ab und zu durfte ein Stück Schokolade oder Kuchen nicht fehlen, Pizza oder Pommes gab es gelegentlich auch und sogar die Milch hat uns nicht umgebracht.

Heute sehen wir in der Praxis oft Kinder, die aufgrund von Druck und Stress unbeachtet von den Eltern Süßigkeiten am Kiosk kaufen und darum Übergewicht haben. Wir sehen Kinder, die keine mehr sein dürfen, sondern nur noch für Prüfungen pauken müssen. Erst wenn die Note gut ist, ist Freizeit angesagt. Ist das der Nährboden für ein erfolgreiches oder gesundes Leben? Oder etwa die Geburt von Kompensationsstrategien?

Wir alle sollten uns mehr auf etwas besinnen. Extreme sind nirgends in unserem Leben angebracht, schon gar nicht beim Essen. Lebensmittel geben uns zwar Nähe, aber genau diese Nähe sollten wir als Eltern unseren Kindern geben und keine Einschränkungen durch Ernährungsglaubenssätze, die morgen sowieso wieder obsolet sind. (20min / Jürg Hösli)