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"Ghost of Tsushima" im Test: Einzigartig und edel

Lange wurde gerätselt, wie sich das PlayStation-4-exklusive "Ghost of Tsushima" eigentlich spielt. "Heute" weiß nach dem Test: Einfach großartig!

Rene Findenig
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    "Ghost of Tsushima": Egal was noch für die PlayStation 4 kommt, besser als das wird es wohl nicht mehr.
    "Ghost of Tsushima": Egal was noch für die PlayStation 4 kommt, besser als das wird es wohl nicht mehr.
    Sony PlayStation

    Eines gleich vorweg: Egal was jetzt noch auf der PlayStation 4 kommt, besser wird es wohl nicht mehr. Nicht, weil nicht doch noch vielleicht der eine oder andere AAA-Titel vor Erscheinen der PlayStation 5 noch auf die in die Jahre gekommene Konsole drängt, sondern weil das Action-Adventure "Ghost of Tsushima" einfach ein Ausnahmespiel ist. Das wohl letzte exklusive Game für die PS4 aus dem Hause Sucker Punch schickt uns in Third-Person-Perspektive auf die titelgebende japanische Insel, um dort eine Samurai-Story mit Bezug auf real geschehene Ereignisse zu erzählen.

    Als Protagonist Jin Sakai erleben wir eine Invasion der Mongolen, die die Insel Tsushima vor der Küste Japans stürmen. Die wenigen Kämpfer der Samurai werden dabei bis auf Jin ausgelöscht, sein Onkel gerät in mongolische Gefangenschaft. Jin wird folglich im Spiel zum Beschützer der Insel und muss dabei öfters die ehrenhafte Pfade der Samurai verlassen, um zu einem geisterhaften Racheengel mit Mord aus dem Hinterhalt zu werden. Das Ziel: Die Insel befreien, den Ruf des Clans wiederherstellen. Auffallend dabei: Es ist keine typische Geschichte von Gut und Böse, Jins Konflikte sind spürbar.

    Hoher Grad an Gewalt

    Protagonist Jin hinterfragt im Verlauf des Abenteuers immer wieder, ob seine blutigen Taten recht und gerecht sind – und zeigt sich mit Gewissenbissen ob der Brutalität, mit der er vorgehen muss. Apropos Brutalität: "Ghost of Tsushima" ist zwar kein Splatter- und Gore-Fest, liefert aber immer wieder Szenen, die schwer im Magen liegen. So werden auch Themen wie Selbstmord und Vergewaltigung behandelt, wobei die Szenen nicht dominant, aber doch sehr erschreckend erscheinen. Zwar ist der Gewalt-Faktor nicht ganz so hoch wie im jüngst erschienen "The Last of Us Part II", Spieler seien aber gewarnt.

    Zwar wird die Hauptgeschichte von "Ghost of Tsushima" sehr linear erzählt, jeder Abstecher abseits der Missionspfade lohnt sich aber extrem. Grund dafür ist, dass das Action-Abenteuer die wohl am besten herausgearbeiteten Neben-Figuren und Neben-Storys der Videospiel-Geschichte bereit hält. Angefangen von Ausflügen in Jins Kindheit und seiner Ausbildung nach einem Ehrenkodex bis hin zu den Aufgaben für Fremde, die langsam zu Verbündeten und Mitkämpfern werden, sind diese Abenteuer und Figuren eingängig, mit schönen Hintergrundgeschichten versehen und begeistern mit jeder Spielminute.

    So gehen Nebenmissionen!

    Ebenso machen es die Nebenmissionen wie etwa die "mythischen Geschichten" möglich, mehr über die Geschichte Japans und seine Traditionen zu erfahren. Wunderbar umgesetzt: In Sagen und Märchen verbergen sich manchmal Aufträge, das Rätsel eines Fluchs aufzuklären oder einen seltsamen Gegenstand zu finden. Spieler werden auf unheimlich schöne Reisen geschickt, die zwar immer wieder Kämpfe und Suchaufgaben beinhalten, sich aber jedes Mal frisch erzählt, logisch und lohnend anfühlen – auch, weil man die Beute am Ende benutzen kann. So gehen Nebenmissionen!

    Videosequenzen und die Spielwelt selbst sind zwei weitere absolute Stärken des Games. Die Videos sehen wie eine Hochglanz-Hollywood-Produktion aus und verbreiten gleichzeitig durch japanische Musik, einem düsteren Look sowie einem Herz zum Detail mit fliegenden Kirschblüten und zischenden Klingen eine grandiose Atmosphäre. Auch die Charaktere sind sauber und scharf dargestellt, sogar die Gesichtsausdrücke sitzen perfekt – und auch an der Vertonung (Deutsch, Englisch, Japanisch) lässt sich nichts aussetzen. Würde man "Ghost of Tsushima als Film betrachten, es wäre ganz großes Kino.

    Kleinere Abzüge beim Gameplay

    Nicht ganz so flüssig und sauber gelang die Umsetzung mancher Details beim Gameplay. So bewegen sich einige Figuren etwas hölzern, die nicht fixierte Kamera landet manchmal aber doch in einer Wand oder dreht im entscheidenden Moment von einem Angreifer weg und je länger man spielt, umso mehr gleich aussehende Häuser und Landschaftsobjekte bekommt man zu sehen. Das mag zwar hart klingen, bei den tollen Kämpfen oder dem Ausblick von einem Aussichtspunkt aus auf eine weite, farbenfrohe Ebene mit strahlender Sonne und wogenden Gräsern ist das alles vergessen. Hallo, Fotomodus!

    Auch wenn es mit "Sekiro", "Nioh" und Co. bereits einige Samurai-Abenteuer gibt, so toll hat noch keines davon ausgesehen, weder bei den Videosequenzen, noch bei den Landschaften, derer es drei große Areale der japanischen Insel gibt. Für noch mehr Atmosphäre sorgt ein optionaler Schwarz-Weiß-Modus, der nicht nur das Geschehen verdüstert, sondern auch den Ton als Hommage an alte Fernseher anpasst. Die Entwickler betitelten dies "Kurosawa-Modus" als Ehrung des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa mit seinen klassischen Samurai-Filmen. Doch auch sonst macht das Spiel einiges anders.

    Innovative Features begeistern

    Sofort begeistert zeigt man sich als Spieler von der Armut an eingeblendeten Hinweisen, wobei selbst die spärlich vorhandenen noch optional abgeschaltet werden können. Wo andere Spiele zudem Linien in den Boden zeichnen oder Punkte aufleuchten lassen, um den Spieler zu Orten zu locken, gibt es das in "Ghost of Tsushima" nicht. Hier achtet man auf sich im Wind biegende Büsche oder Gräser, die einem mit einem Wisch über das Controller-Touchpad den Weg weisen. Schnell lernt man diese Mechanik zu lieben, da sie sinnvoll und authentisch ins Spiel integriert wurde und den Spieler nicht aus der Atmosphäre des Abenteuers herausreißt, sondern intuitiv in der Welt auf Erkundung gehen lässt.

    Auch gibt es keine Grind- oder sich wiederholende Missionen, die nur zur Spielzeit-Ausdehnung vorhanden sind. Mit gut 35 Stunden ist das Abenteuer deswegen lohnend ausgefallen, da sich jede Spielminute genießen lässt. Ebenso ungewöhnlich: Anders als bei vergleichbaren Action-Adventures besitzt "Ghost of Tsushima" kein "Lock-on"-System, es kann also kein Feind fix anvisiert werden. Das sorgt dafür, dass sich nach einer Eingewöhnungsphase spannende und dynamische Kämpfe ergeben, in denen wir fließend von einem Angriff zum nächsten übergehen und Feind für Feind auslöschen können.

    Packende, blutige Kämpfe

    Bei vielen Kämpfen hat der Spieler die Wahl, ob er als Samurai frontal oder als Geist aus dem Hinterhalt angreifen will. Nur selten wird man dabei vom Titel gezwungen, sich auf einen der beiden Angriffsarten zu beschränken. Beim Samurai-Ansatz fühlt man sich sofort an "Sekiro" erinnert: Feinde können mit leichten und schweren Schwertangriffen attackiert werden, ihre Angriffe wiederum sollen geblockt und gekontert werden. Ähnlich wie in "Nioh" kann man dabei verschiedene Kampfhaltungen (etwa hoch für das Überwinden von Schildern) oder Gegenstände (wie Wurfsterne und Bögen) nutzen.

    Den muss man einfach aufgrund der Grafik nutzen: Der Fotomodus von "Ghost of Tsushima".
    Den muss man einfach aufgrund der Grafik nutzen: Der Fotomodus von "Ghost of Tsushima".
    Sony PlayStation

    Beim Schleich-Ansatz wiederum bewegt sich Jin lautlos durch Städte und Umgebungen, lenkt Feinde mit Spengsätzen und Glocken ab und wartet auf den Moment, ungesehen einen Todesstoß per Dolch setzen oder einen mörderischen Pfeil abschießen zu können. Auch das erinnert an "Sekiro", wobei hier das Ausschalten größerer Gruppen und fließende Übergänge statt die Konfrontation mit wenigen, dafür sehr starken Gegnern die Hauptsache darstellt. Als Spieler lernt man die Steuerung im Kampf trotz vieler Befehle und Möglichkeiten schnell und realisiert bald fließende Kämpfe, bei denen ein Feind mit dem Bogen, der nächste mit einem Schwertangriff und wiederum der nächste mit einem Block und sofortigem Konter getötet wird. Dabei geht es auch gerne brutal zu, mit fliegenden und blutenden Körperteilen sowie Todesröcheln.

    Kein schweres Hardcore-Game

    Weil Hardcore-Games wie "Nioh" und "Sekiro: Shadows Die Twice" hier genannt wurden: Ganz so hart geht es nicht zu, letztlich ist "Ghost of Tsushima" etwas für jeden Alltags-Spieler. Die Schwierigkeit kann mit drei Stufen angepasst werden, selbst in der mittleren läuft alles halbwegs machbar ab und zahlreiche freischaltbare Fähigkeiten sowie sammelbare Waffen und Rüstungen machen es selbst Anfängern möglich, auf einen großen Kampf perfekt vorbereitet zu sein. Aus gesammelten Items lassen sich übrigens bei Händlern neue Waffen und Rüstungen hergestellt werden. Das Einsammeln geht dabei schnell ohne Suche, die Nutzung der Ausrüstung verändert unsere Spielfigur jedes mal auch optisch und nicht nur spielerisch deutlich. Hier wurde jede Menge Wert auf die Details gelegt.

    Immer wieder schlüft man im Spiel außerdem in die Rolle von Helfern, um etwas mehr über sie zu erfahren und auch mit ihnen Gefechte zu bestreiten. Und je weiter man vorstößt und je mehr Erfahrung man im Kampf sammelt, desto mehr zusätzliche Skills lassen sich freischalten. Diese reichen von Attacken, die Gegner ins Straucheln bringen, über Elemtar-Effekte für unsere Waffe bis hin zu besseren Schleich-Fähigkeiten. Einige davon nutzen eine "Entschlossen"-Anzeige, die der Spieler zur Nutzung durch das Ausschalten von Gegnern erst füllen muss. Das sorgt dafür, dass der Einsatz mächtiger Angriff strategisch durchdacht werden will, weil sie nicht ständig ausgelöst werden können.

    Einzigartig und edel

    Wie bei vielen anderen Open-World-Games ist der Eindruck zur Gegner-Intelligenz auch hier zwiegespalten. Einerseits entdecken die Feinde unsere Figur nachvollziehbar und versuchen, sie einzukreisen und zu überraschen, andererseits sind die Mongolen nicht so schlau, wenn es um das "Dranbleiben" geht. Löst man eine Rauchbombe aus und flüchtet durch das hohe Gras, ist nach wenigen Momenten wieder Alltagsstimmung bei den Feinden angesagt, statt dass sie nach uns lange suchen. Gerade Anfänger und Durchschnittsgamer wird dies aber entgegen kommen, da man oft unvermeidlich entdeckt wird und sonst wohl sehr viel Zeit mit Flucht und Versteckspiel hätte verbringen müssen. So kann man schon kurze Zeit später den nächsten Schleich-Angriff starten.

    Bildgewaltig und atmosphärisch: "Ghost of Tsushima" hat eine der schönsten Spielwelten überhaupt.
    Bildgewaltig und atmosphärisch: "Ghost of Tsushima" hat eine der schönsten Spielwelten überhaupt.
    Sony PlayStation

    Als großer Fan von japanischen und Hardcore-Spielen wie den "Souls"-Games und Co. freut mich das Erscheinen von "Ghost of Tsushima" persönlich besonders. Endlich müssen Durchschnittsgamer nicht mehr Tausende Tode sterben, um den Reiz eines Samurai-Games wie "Nioh" oder "Sekiro" genießen zu können. Gleichzeitig ist "Ghost of Tsushima" aber auch ein würdiger Abschluss der PS4-exklusiven Games und eines der besten Open-World-Spiele der letzten Jahre. Atmosphärisch, beim Kampfsystem, bei der Gestaltung der Spielwelt und vor allem bei der Umsetzung der Neben-Charaktere ist "Ghost of Tsushima" scharf wie ein Samurai-Schwert – und ebenso einzigartig wie edel.