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Günter Grass provoziert Israel erneut

In seinem neuen Gedichtband "Eintagsfliegen" liefert Günter Grass wieder Zündstoff für politische Kontroversen mit Israel.

Heute Redaktion
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Bild: DPA

wieder Zündstoff für politische Kontroversen mit Israel.

Der deutsche Literaturnobelpreisträger würdigt den wegen Spionage zu 18 Jahren Haftstrafe verurteilten israelischen Nukleartechniker Mordechai Vanunu als "Held unserer Tage" und "Vorbild". Der Band kommt an diesem Wochenende in den Buchhandel.

In seinem Gedicht ruft Grass zwischen den Zeilen zum militärischen Geheimnisverrat auf - überall dort in der Welt, wo Vernichtungswaffen hergestellt werden. Vanunu hatte 1986 im Ausland das geheime Nuklearprogramm Israels öffentlich gemacht. Der israelische Geheimdienst Mossad lockte ihn danach nach Rom und entführte ihn per Schiff nach Israel, wo er vor Gericht kam. Nach 18 Jahren Haft kam der Nukleartechniker 2004 zunächst wieder auf freien Fuß, doch war seine Freilassung an strikte Auflagen geknüpft, um weitere Enthüllungen zu verhindern. Schon 1987 erhielt er den Alternativen Nobelpreis für seine Tat.

Heftige Reaktionen auf erstes Gedicht

Bereits im April hatte Grass mit dem Gedicht "Was gesagt werden muss" Israels Regierung verärgert. Innenminister Eli Yishai sprach gegen den deutschen Dichter ein Einreiseverbot aus. Grass hielt in dem Text Israel vor, mit seinen Atomwaffen den ohnehin brüchigen Weltfrieden zu gefährden und das Recht auf einen militärischen Erstschlag gegen Irans Atomanlagen zu beanspruchen.

Grass hat die zunächst in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte Fassung des Gedichts für den neuen Gedichtband überarbeitet: So heißt es jetzt nicht mehr, die "Atommacht Israel" gefährde den Weltfrieden, sondern "die gegenwärtige Regierung der Atommacht Israel".

Seite 2: Lesen Sie das Gedicht!

Ein Held unserer Tage

von Günther Grass

   was Staatsgeheimnis, deshalb abgeschottet war, hat des Rabbiners Sohn gelüftet, der in Beerscheba fromm der Thora Regeln folgte, dann plötzlich Christ zu sein beschloß.

   Nach abgebrochenem Studium verdiente er sein Geld in Negev, wo in leergekämmter Wüste Stille sein Staat dank nuklearer Forschung zur atomaren Macht sich angereichert hatte und alle Welt zu täuschen hoffte, was auch gelang, bis Mordechai Vanunu sprach und das Geheimnis brach. So heißt der Held, der seinem Land zu dienen hoffte, indem er half, die Wahrheit an den Tag zu bringen.

   Was dann geschah und immer noch kein Ende findet, gleicht einem Krimi, den ein Profi seines Fachs erdachte. Doch was zum Film geworden, keine Leinwand fand, lief dennoch ab auf eingefahrener Spur wie tausend abgespielter Filme Handlung, die vormals strophenreich Balladendichtern Stoff gewesen wäre.

   So wurde er von einer Frau, die jener Gang verschworen, die ungehemmt selbst Mord nicht scheut, nach Rom gelockt, von dort per Schiff entführt, bevor noch in der Sunday Times zu lesen stand, was in dem Wüstenort Dimona von Anbeginn gebrütet wird: der atomare Tod in Bomben - ungezählt - verdichtet.

   Und dies geschah nach altbekanntem Muster, das im Buch Mose eins zu finden ist: Wie seine Brüder dazumal in eines Brunnens Tiefe Joseph warfen, so kam Vanunu vor Gericht, wurd angeklagt der Spionage und sollte nach des Urteils Spruch gezählte achtzehn Jahre lang in Einzelhaft, sprich, isoliert verbringen, von denen er in Aschkelons Gefängnis elf abgesessen hat; danach stand er in streng beschränkter Freiheit unter Aufsicht.

   Schwieg dennoch nicht, sprach immer wieder was geheim war aus, so daß nach Richters Spruch ihn mehrmals kurze Haft bestrafte, bis schließlich Hausarrest als Gnadenbrot verordnet wurde, zuletzt in der Basilika Sankt Georg, zu finden in Jerusalem, der Glaubenskrieger jeder Sorte heilgen Stadt.

   Obgleich in Oslo, Glasgow, vielerorts geehrt und er im Internet sein Eigenleben als Legende führt, wird unser Held bei sich zu Haus beschwiegen, seit er zum Rufer in der Wüste wurde und die Gefahr beschrie, die auf uns allen tödlich lastet.

   Drum: Wer ein Vorbild sucht, versuche ihm zu gleichen, entkleide, werde mündig, spreche aus, was anderswo, in Texas, Kiel, China, im Iran und in Rußlands Weite erklügelt wird und uns verborgen bleibt; nur solche Helden sind in einer Welt vonnöten, die Frieden säuselt und Vernichtung plant.

   Ihm, Mordechai Vanunu, gilt mein Gruß und seinen Richtern gilt die Bitte, ihn als Gerechten zu erkennen, der seinem Land getreu blieb all die Jahre lang.

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