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Haben die USA die Kurden verraten?

Heute Redaktion
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Donald Trump zieht seine 2.000 Mann aus Syrien ab. Was bedeutet das für den Kampf gegen den IS und für die syrischen Kurden? Nahostexperte Guido Steinberg klärt auf.

Herr Steinberg, US-Präsident Trump will die US-Truppen in Syrien abziehen, denn der IS sei dort geschlagen. Stimmt das?

Nein. Oder sagen wir: Militärisch ist er kurz davor, geschlagen zu werden. Aber er verfügt noch immer über bis zu 6000 aktive Kämpfer in Syrien und Irak und ist somit immer noch eine große Organisation, die im Irak schon in den Untergrund gegangen ist. Der Abzug der US-Truppen gibt dieser Organisation jetzt auch in Syrien die Chance zur Neugruppierung.

Ist der Abzug der USA aus Syrien denn schon Tatsache oder ein leerer Trump-Tweet?

Offiziell sollen die 2000 Soldaten in den nächsten 30 Tagen gehen. Der Abzug soll bereits begonnen haben. Dass dies kein leerer Tweet war, zeigt auch der Rücktritt von Verteidigungsminister James Mattis, der sich gegen eine solchen Abzug stellte.

Wie wird der Abzug den Kampf gegen den IS beeinflussen?

Die große Frage ist, was mit der US-Luftwaffe passiert, die in der Türkei und im Persischen Golf stationiert ist und von dort ihre Luftschläge auf die verbleibenden IS-Gebiete fliegt. Werden auch diese eingestellt oder auch nur reduziert, haben die Kräfte der Syrischen Demokratischen Kräfte SDF am Boden, allen voran die Kurden, ein großes Problem: Sie sind dann ihrer wichtigsten Waffe beraubt.

Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG sind im Kampf gegen den IS der verlässlichste Partner des Westens in der Region. Haben die USA mit ihrem Abzug die Kurden verraten?

Die syrischen Kurden haben tatsächlich mmaßgeblich dazu beigetragen, dass sich die terroristische Gefährdungslage bei uns in Europa seit 2016 etwas entspannt hat. Sie jetzt dem syrischen Regime und der Türkei zu überlassen, die bereits wieder mit Angriffen in Syrien gegen die Kurden droht, ist moralisch und politisch fragwürdig.

Wieso geschieht es dann doch?

Die Zugehörigkeit der YPG zur von der nicht nur von der Türkei als Terrororganisation eingestuften PKK ist ein großes Problem. Zudem haben die USA nicht erst heute deutlich gemacht, dass sie immer auf der Seite des Nato-Verbündeten Türkei stehen würden. Doch es war sehr unklug von Donald Trump, die US-Positionen zu räumen, ohne Gegenleistungen zu verlangen und Verhandlungen einzuleiten, wie es nun mit den Kurdengebieten in Syrien weitergeht. Wieder eine Kurzschlusshandlung, die zeigt, dass es ihm vor allem ums Innenpolitische geht. Und die auch zeigt, dass der Mann für sein Amt nicht geeignet ist.

Unter YPG-Leuten ist die Rede davon, es gebe einen "dreckigen Deal" zwischen den USA und der Türkei: Sobald der IS militärisch geschlagen ist, überlassen die USA der Türkei das Feld, um die Kurden in Syrien zu vernichten. Was ist da dran?

Nichts bis wenig, würde ich sagen. Das sind eher Verschwörungstheorien, denn es gibt keine Hinweise auf einen solchen Deal und auch der Rücktritt des US-Verteidigungsministers Mattis spricht dagegen. Es gibt aber wohl Absprachen zwischen Russland und dem syrischen Regime sowie der Türkei, die untereinander eine Lösung für die Kontrolle über die syrischen Kurdengebiete finden wollen.

Die Türkei hat angekündigt, in Syrien gegen die Kurdengebiete vorzugehen. Erhöht der US-Abzug diese Gefahr?

Ja. Es besteht die Gefahr, dass die Türkei in einigen Tagen oder Wochen östlich des Euphrat in Syrien einmarschiert, wo die YPG und die PKK herrschen. Das heißt, in Städte wie Kobane oder Qamishli.

Es gibt Gerüchte, wonach die Kurden mit dem syrischen Regime verhandeln: Sie wollen ihm offenbar Ölfelder überlassen und fordern im Gegenzug Schutz ein.

Das würde mich nicht überraschen, die Kurden benötigen jetzt eine Übereinkunft mit dem Regime. Sie müssen ihm Angebote machen, wenn sie überleben wollen. Die Schwäche der Kurden bedeutet aber für Assad, dass er eine Gelegenheit sieht, in den Kurdengebieten wieder die Kontrolle zu übernehmen. Das faktische Autonomiegebiet in Syrisch-Kurdistan wird all dies kaum überleben.

Trump will offenbar Truppen auch aus Afghanistan ab- und sein Isolationismus-Ding durchziehen. Was bedeutet das für das Machtgefüge im Nahen Osten?

Um das zu beurteilen, ist es meiner Meinung nach zu früh. Die Instabilität im Nahen Osten ist seit 2011 eine Konstante der Weltpolitik. Der Rückzug der USA aus verschiedenen Regionen reduziert vor allem die Möglichkeit des Westens, auf instabile Länder und Gebiete einzuwirken. Für die europäische Politik stellt sich die Frage, ob wir bereit sind, diese Lücke zu füllen und selbst mehr Verantwortung zu übernehmen, damit die Instabilität in Syrien sich nicht erneut bei uns auswirkt.

Was entscheidet diese Frage Ihrer Meinung nach?

Sie ist davon abhängig, ob die terroristische Bedrohung zunehmen wird oder nicht.

Der Angriff in Straßburg und die Nachricht, wonach in Deutschland Flughäfen ausgespäht werden – sind das nicht Indizien dafür, dass wir tendenziell eher mit einer Zunahme von Terroranschlägen rechnen müssen?

Nicht unbedingt. Diese beiden Beispiele gehen soweit bisher bekannt nicht auf die Planung einer Terrororganisation zurück, sondern auf Einzeltäter und Kleingruppen. Derzeit sehen wir eine Vielzahl von solchen individuellen Anschlagsplanungen in Deutschland und Europa. Der US-Abzug aber eröffnet für Terrororganisationen neue Expansionsmöglichkeiten, und die Gefahr, dass der IS wieder als Organisation auftauchen und größere Anschläge durchführen wird, ist real.