Gesundheit

Ärztin schmuggelt Geheim-Infos in Tampon aus Mariupol

Diese ukrainische Ärztin wird zur Heldin: Als Ersthelferin zeichnete sie mit einer Körperkamera das Grauen in Mariupol auf. Jetzt ist sie verschollen.

Sabine Primes
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Yuliia Paievska, bekannt als Taira, schaut in den Spiegel und schaltet ihre Kamera in Mariupol aus. Mit einer Körperkamera hat sie die verzweifelten Bemühungen ihres Teams aufgezeichnet, Menschen vom Rande des Todes zurückzuholen.
Yuliia Paievska, bekannt als Taira, schaut in den Spiegel und schaltet ihre Kamera in Mariupol aus. Mit einer Körperkamera hat sie die verzweifelten Bemühungen ihres Teams aufgezeichnet, Menschen vom Rande des Todes zurückzuholen.
AP

Eine ukrainische Ärztin hat ihre Zeit in Mariupol auf einer Datenkarte in der Größe eines Daumennagels festgehalten und in einem Tampon in die Welt hinausgeschmuggelt. Jetzt ist sie in russischer Hand und Mariupol steht kurz vor dem Untergang. Yuliia Paievska, die sich als Sanitäterin "Taira" nannte, zeichnete mit einer Körperkamera 256 Gigabyte Filmmaterial über die verzweifelten Bemühungen ihres Teams auf, das zwei Wochen lang Menschen vor dem Tod rettete. Sie übermittelte die erschütternden Clips an ein Team von Associated Press, die letzten internationalen Journalisten in der ukrainischen Stadt Mariupol, als diese in einem seltenen humanitären Konvoi abreisten. 

Russische Soldaten nahmen Taira und ihren Fahrer am nächsten Tag gefangen – eine der vielen gewaltsamen Verschleppungen in Gebieten der Ukraine, die jetzt von Russland gehalten werden. Russland hat Taira als Mitarbeiterin des nationalistischen Asow-Bataillons dargestellt. Das passt zum Vorhaben Russlands, die Ukraine zu "entnazifizieren". Die AP fand jedoch keine derartigen Beweise, und Freunde und Kollegen erklärten, sie habe keine Verbindungen zu Asow. Auch das Militärkrankenhaus, in dem sie die Evakuierung der Verwundeten leitete, hat nichts mit Asow zu tun.

Aufnahmen des Grauens

Das von ihr aufgenommene Video zeigt, wie Taira versucht, verwundete russische Soldaten und ukrainische Zivilisten zu retten. Ein Clip vom 10. März zeigt, wie zwei russische Soldaten von einem ukrainischen Soldaten grob aus einem Krankenwagen geholt werden. Einer sitzt in einem Rollstuhl. Der andere liegt auf den Knien, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, und hat eine offensichtliche Beinverletzung. Ihre Gesichter sind mit Mützen verdeckt, sie tragen weiße Armbänder. Ein ukrainischer Soldat beschimpft einen der Russen. "Beruhig dich, beruhig dich", sagt Taira zu ihm. Eine Frau fragt sie: "Wirst du die Russen behandeln?" Taira antwortet: "Zu uns werden sie nicht so freundlich sein", und: "Aber ich könnte nicht anders. Sie sind Kriegsgefangene."

Auf Krankenhäuser abgesehen

Taira, 53, ist nun eine Gefangene der Russen, wie Hunderte von lokalen Beamten, Journalisten und anderen prominenten Ukrainern, die entführt oder gefangen genommen wurden. Die Beobachtermission der Vereinten Nationen in der Ukraine hat 204 Fälle erzwungenen Verschwindens dokumentiert, wobei einige Opfer möglicherweise gefoltert wurden und fünf später tot aufgefunden wurden. Die russische Besatzung hat es auf Mediziner und Krankenhäuser abgesehen, obwohl die Genfer Konventionen militärische und zivile Mediziner "unter allen Umständen" unter Schutz stellen. 

Russen leugnen Gefangennahme von Taira

Die ukrainische Regierung sagt, sie habe versucht, Tairas Namen schon vor Wochen einem Gefangenenaustausch hinzuzufügen. Russland bestreitet jedoch, sie gefangen zu halten, obwohl sie in der separatistischen Region Donezk und im russischen Fernsehsender NTV in Handschellen und mit zerschrammtem Gesicht zu sehen war. Taira ist in der Ukraine als Spitzensportlerin und als Ausbilderin der freiwilligen Sanitäter des Landes bekannt. Die Videoaufnahmen, die sie vom 6. Februar bis zum 10. März gemacht hat, sind ein intimer Bericht über eine belagerte Stadt, die inzwischen zu einem weltweiten Symbol für die russische Invasion und den ukrainischen Widerstand geworden ist.

Ihre Körperkamera erhielt sie 2021, um Aufnahmen für eine Netflix-Doku-Reihe über inspirierende Personen zu machen - produziert vom britischen Prinz Harry, der die Invictus Games ins Leben rief. Doch als Russland in der Ukraine einmarschierte, filmte sie stattdessen verletzte Zivilisten und Soldaten.