Wien

Henry (1) leidet an einer seltenen Muskelerkrankung

Mit der Erkrankung ihres Sohnes änderte sich das Leben von Lukas und Sarah schlagartig. Anlässlich des Kinderhospiztages erzählen sie ihre Geschichte.

Yvonne Mresch
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Lukas (30) und Sarah (29) mit dem kleinen Henry (1): Mit der Krankheit ihres Sohnes änderte sich das Leben der Familie von einem Tag auf den anderen.
Lukas (30) und Sarah (29) mit dem kleinen Henry (1): Mit der Krankheit ihres Sohnes änderte sich das Leben der Familie von einem Tag auf den anderen.
Helmut Graf

"Als wir erfuhren, dass wir ein Kind bekommen, war die Freude groß", erinnert sich Lukas (30) mit einem Strahlen im Gesicht. "Die Untersuchungen verliefen gut, uns kam nie der Gedanke, dass etwas nicht stimmen konnte". Was noch auf die junge Familie zukommen würde, konnte der Wiener damals nicht erahnen.

"Wir kennen diese Krankheit nicht – suchen Sie sich jemanden, der sie kennt"

Im April 2021, fünf Wochen vor dem errechneten Geburtstermin führte ein Blasensprung das Paar ins Krankenhaus. Da die Herztöne nicht optimal waren, kam es rasch zum Kaiserschnitt. "Als er geboren wurde, war unser Henry etwas blau im Gesicht", erinnert sich der Vater an den ersten Moment, in dem er seinen Sohn sah. Es folgten zahlreiche Untersuchungen ohne eine Diagnose. "Als ich am nächsten Tag wieder ins Krankenhaus kam, stand eine Traube Ärzte um meinen Sohn herum. Der Primar fragte uns, ob er gleich mit uns reden kann oder wir einen Psychologen brauchen", so Lukas.

Fest stand: Henry war alles andere als gesund, wurde beatmet und musste kurz darauf in ein anderes Krankenhaus verlegt werden. "Uns wurde nur gesagt, wir sollen uns verabschieden – lange Zeit sei dafür nicht, der Transport wäre teuer", erzählt der Vater. "Als wir fragten, wann meine Frau verlegt wird, hieß es nur 'Das ist nicht meine Aufgabe'. Der Umgang war alles andere als charmant." Zweieinhalb Monate verbrachte der kleine Henry auf der Intensivstation: "Es wurden Untersuchungen gemacht, die man als Eltern einfach nicht sehen will", so Lukas. Schließlich brachte die genetische Auswertung eine Diagnose: Henry leidet an der seltenen und lebensverkürzenden Erkrankung Ryr 1 – ein Gendefekt, bei dem Henry an einer der schwersten Formen leidet. Die Aussage der Ärzte: "Wir kennen diese Krankheit nicht, suchen Sie sich jemanden, der sie kennt." 

"Wir haben eine Intensivstation zuhause"

Für die jungen Eltern begann ein Marathon an Anrufen, Terminen und Recherche. Mit Geräten bepackt durften sie das Krankenhaus verlassen und ihren Sohn zuhause pflegen. Aufgrund seiner Erkrankung kann der Bub kaum schlucken. Der gesammelte Speichel in seinem Mund kann gefährlich werden: "Er konnte oft kaum atmen, hat gewürgt und drohte zu Ersticken", erzählt Lukas. "Außerdem kann er seine Arme, Beine und den Kopf nicht heben. Er ist wie ein toter Fisch. Ernährt wird er über eine Knopfsonde, einen sogenannten Button. Im Endeffekt haben wir eine eigene Intensivstation zuhause, müssen 24 Stunden bei ihm sein."

Zusätzlich erhält der tapfere Bub eine Vielzahl an Therapien – darunter Physiotherapie oder Schwimmtherapien. Lukas, der eigentlich als Messtechniker arbeitet, widmet sich in der Karenz nun ganz seinem Sohn. Sarah (29) ist Volksschullehrerin und wird im Herbst in Karenz gehen. Freizeit gibt es nur dann, wenn die Betreuer des Wiener Kinderhospiz Momo für kurze Zeit übernehmen: "Ohne Momo wäre das alles nicht so möglich", sagt Sarah. Die freie Zeit nutzen die Eltern für Organisatorisches. Trotz des schwierigen Alltag haben Sarah und Lukas den Mut nicht verloren. Kraft gibt ihnen ihr Sohn: "Er ist so lebensfroh und neugierig, liebt es zu beobachten. Am liebsten ist er an der frischen Luft", strahlt der Papa. Jetzt hoffen die Eltern auf einen Kindergartenplatz – damit ein wenig Alltag einkehren kann.

Familien werden zuhause begleitet

In Österreich leben rund 5.000 Kinder und Jugendliche mit einer unheilbaren, lebensverkürzenden Erkrankung. Für sie und ihre Familien gehört die Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod, Trauer zum Alltag. Anlässlich des Tages des Kindes am 1. Juni lud der Dachverband Hospiz Österreich zur Pressekonferenz ein. Ziel des Dachverbands ist es, die Akzeptanz erkrankter Kinder und Jugendlichen in ihrer Umwelt zu verbessern, Bewusstsein für ihre Bedürfnisse zu schaffen, Barrieren abzubauen, eine vulnerable Gruppe zu unterstützen und auch von ihr zu lernen. 32 spezialisierte pädiatrische Hospiz- und Palliativeinrichtungen in Österreich kümmern sich um die Familien. Wichtig ist vor allem die Betreuung und Begleitung zu Hause – durch Ärzte, Pfleger, Therapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter, und ehrenamtliche Begleiter.

Hospiz-Leiterin: "Lachen und Weinen gehört zur täglichen Arbeit"

Ein neues Hospiz- und Palliativfondsgesetz regelt die Finanzierung dieser Angebote nun österreichweit einheitlich. "Mit der gesetzlichen Regelung des flächendeckenden Ausbaus und der Finanzierung wird gesichert, dass alle schwer und lebensverkürzend erkrankten Kinder und ihre Familien die Unterstützung bekommen, die sie brauchen", freut sich Waltraud Klasnic, Präsidentin des Dachverbands Hospiz.

Für Martina Kronberger-Vollnhofer, Leiterin des Kinderhospiz Momo gehört Lachen und Weinen zur täglichen Arbeit: "Ich erlebe die schwerkranken Kinder und ihre Familien im ständigen Balanceakt zwischen Stabilität und Krise, Hoffnung und Verzweiflung, Freude und Leid, Leben und Sterben. Unsere Aufgabe ist es, diese Kinder, ihre Geschwister und Eltern, eben das ganze Familiensystem, aufzufangen und durch alle Tage - die guten und die weniger guten - zu begleiten." Wichtig sei vor allem, nicht nur auf die Krankheit zu schauen, sondern die Menschen als Teil der Gesellschaft zu behandeln, akzeptieren und zu integrieren.

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