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Sie werden die beiden nicht wiedererkennen

Heute Redaktion
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Das Video der zwei Heroinsüchtigen aus Memphis ging um die Welt. Nach monatelanger Therapie führen Ronald und Carla Hiers heute ein drogenfreies Leben.

Es galt als das Schock-Video des Jahres 2016: Ein zugedröhntes Paar lag am helllichten Tag auf einer Straße in Memphis im US-Staat Tennessee, die Frau mit dem Gesicht am Boden, ihr Ehemann mit dem Rücken nach hinten auf der Bank einer Bushaltestelle. Ein Passant hatte die verstörenden Aufnahmen auf Facebook Live gepostet (siehe Video unten). Zig Millionen Menschen sahen sich die dramatische Szene an.

Seither ist ein Jahr vergangen und das Leben der beiden hat sich radikal verändert. (Die jüngsten Fotos der beiden sehen Sie in der Bildstrecke). In einem Interview mit der Zeitschrift "Time" kommen die Protagonisten zu Wort. Der 61-jährige Ronald Hiers erzählt, wie er dank dem Video endlich den Weg aus der Heroinsucht fand, mit der er seit 1972 kämpfte.

Drogenkarriere begann mit 13

Nachdem Ärzte im Krankenhaus dem Ehepaar das Leben gerettet hatten, gingen die Wege von Ronald und Carla Hiers auseinander. Er kam gleich in eine Entzugsklinik, seine Frau Carla vorerst wegen Diebstahls ins Gefängnis. Ihr Entzug begann einen Monat später. Obwohl die beiden seither getrennt sind und sich nicht mehr gesehen haben, reden sie fast täglich miteinander.

"Ich habe schon im Alter von 13 Jahren Drogen genommen. Es begann mit Klebstoffschnüffeln, dann begann ich Wein zu trinken und Marihuana zu rauchen. Mit 16 wurde ich aus der Schule geworfen, mein Freundeskreis wurde immer gefährlicher", sagt Hiers zu "Time". In dieser Zeit traf er Carla, die beiden wurden aber erst einige Jahre später ein Paar.

"Unser Leben war nie normal. Wir landeten immer wieder wegen irgendwas im Knast." Carla sei für ihn die Richtige gewesen. "Wir machten beide denselben Blödsinn, und ich musste mich nie mit Dingen wie Gefühlen auseinandersetzen. Das Leben war eine riesige Party."

"Das ist mein Dad"

Hiers hatte zu diesem Zeitpunkt drei Kinder mit seiner ersten Ehefrau. Heute bereut er, kein richtiger Vater gewesen zu sein. Seine Tochter Paris Hardee hat sich trotz allem um ihn gekümmert — denn auch sie war schockiert, als sie das Video sah.

"Zuerst reagierte ich wie alle anderen und machte sogar einen Witz darüber. ‹Das sind Rons 15 Minuten Ruhm›, sagte ich. Aber dann wurde mir klar, dass ich etwas unternehmen musste. Ich rief eine Wohltätigkeitsorganisation an, die Drogenabhängigen hilft, und sagte: ‹Der Mann in den Nachrichten, der in Memphis mit der Überdosis Heroin, das ist mein Dad.›"

Das Leben der Kinder völlig verpasst

In ihrer Kindheit hat Hardee mit ihrem Vater viele schreckliche Momente erlebt: "Ich habe ihn entweder ständig betrunken oder high in Erinnerung. Er verbrachte auch lange Perioden im Gefängnis." Hiers versteckte gebrauchte Spritzen im Kleiderschrank der Tochter oder klaute ihr Geburtstagsgeld.

"Ab und zu kam er zusammengeschlagen nach Hause, erzählte mir, wie hungrig er manchmal sei. Das machte mich so traurig. Mein ganzes Leben lang hatte ich das Gefühl, ich müsste ihm helfen, aber gleichzeitig wusste ich, dass die Drogen für meinen Vater immer an erster Stelle standen." Hiers verpasste ihren Schulabschluss, sogar ihre Hochzeit.

Ein heiliges Versprechen

Die 61-jährige Carla Hiers äußerst sich im Time-Interview zu jenem infamen Video. "Ich hätte an dem Tag sterben können." Sie habe nicht einmal gemerkt, dass sie gefilmt wurde. Heute kann sie sich diese Aufnahmen nicht ansehen. "Ich schäme mich so sehr." Ronald Hiers empfindet ein ähnliches Gefühl. "Es tat weh, Carla so zu sehen. Vor allem, weil sie öffentlich gedemütigt wurde."

Die Wohltätigkeitsorganisation, die Paris Hardee kontaktiert hatte, finanzierte schließlich die Therapien für Ron und Carla Hiers. Sie wurden in verschiedenen Kliniken behandelt. "Nach 48 Jahren als Süchtiger wusste ich, dass man das nicht so rasch loswird. Aber ich versprach meiner Tochter, dass ich es diesmal durchziehe", sagt Ron Hiers. Bis jetzt hat er dieses Versprechen eingehalten.

Das Video vom 3. Oktober 2016 ging um die Welt

(kle)