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Hier pinkelt nicht eine Bürgermeisterin auf die Straße

Im Netz wird das Bild einer auf die Straße urinierenden Frau geteilt. Es soll sich dabei fälschlicherweise um Barcelonas Bürgermeisterin handeln.

Dieses Bild kursiert derzeit – gepaart mit einer Falschbehauptung – in den sozialen Medien.
Dieses Bild kursiert derzeit – gepaart mit einer Falschbehauptung – in den sozialen Medien.
Telegramm

Immer wieder tauchen in den sozialen Medien Bilder und Videos auf, die aus dem Kontext gerissen wurden. Auch das Foto einer Frau, die mit hochgeschobenem Rock mitten auf der Straße auf den Asphalt uriniert – oder uriniert hat –, wurde aus dem Zusammenhang gerissen. Es wird derzeit rege auf Plattformen wie Telegram, Facebook und auch Twitter geteilt und zeigt angeblich die seit dem Jahr 2015 amtierende Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau (siehe Box).

Für diesen Eindruck sorgen etwa ein dem Foto zur Seite gestellter Screenshot vom Wikipedia-Eintrag über Colau und Kommentare wie "Ja, die linksradikale Bürgermeisterin von Barcelona pinkelte öffentlich auf die Straße …" . Doch die Behauptung ist falsch. Das Bild ist echt, zeigt aber weder Colau noch ist die Aufnahme aktuell.

Linksgerichtet, aber nicht linksradikal
Ada Colau wurde im Juni 2015 als erste Frau Bürgermeisterin in der "verrücktesten Stadt Europas": Barcelona. Die damals 41-Jährige trat als Kandidatin der linken Protestbewegung Indignados (Die Empörten) an. Im Wahlkampf hatte sie sich besonders gegen Zwangsräumungen engagiert. Sie übernahm das Amt für das Bündnis Barcelona En Comú. Im Juni 2019 errang sie knapp ein zweites Mandat.

Das Bild zeigt Águeda Bañón, nicht Ada Colau

Wer auf dem Foto abgebildet ist, lässt sich mithilfe der Bilderrückwärtssuche mit wenigen Klicks herausfinden. Demnach ist darauf die Künstlerin, Aktivistin und heutige Leiterin der Kommunikationsabteilung der Stadt Barcelona Águeda Bañón zu sehen. So berichten es zum Beispiel Elpais.com, das Portal der größten Tageszeitung Spaniens, und das Onlineportal Mundiario.com im Jahr 2015. Anlass für die Berichterstattung war in beiden Fällen die Ernennung Bañóns zur Kommunikationschefin von Barcelona, die aufgrund ihrer aktivistischen Vergangenheit lebhaft diskutiert wurde (siehe Box).

Wer ist Águeda Bañón?
Bañón war einst Mitglied der sogenannten Postpornobewegung, die sich in den 1990er-Jahren als Gegenbewegung zur konventionellen Pornografie entwickelte. Zudem hat sie zwischen 2003 und 2007 gemeinsam mit Maria Llopis, einer weiteren in Spanien bekannten alternativen Künstlerin den Blog Girlswholikeporno.com betrieben, in dem sie sich laut Elpais.com von traditionell und heterosexuell geprägten Mustern und Schönheitsbildern distanzierten. Die beiden Frauen posteten laut der katalanischen Tageszeitung Lavanguardia.com immer wieder "provokante Fotos von sich im öffentlichen Raum, auf denen sie einander rittlings und mit heruntergelassenen Hosen zeigten". Eines davon wurde im Berliner Stadtmagazin "Tip" veröffentlicht.

Das Bild ist knapp 20 Jahre alt

Die Bilderrückwärtssuche offenbart nicht nur, dass nicht wie behauptet die Bürgermeisterin Barcelonas mit hochgeschobenem Rock abgelichtet wurde, sondern auch, dass das Foto von der urinierenden Águeda Bañón seit einigen Jahren immer wieder auftaucht: Als frühester Fund gibt die Plattform Tineye.com den 29. April 2008 an. Damals enthielt das Bild am unteren Rand noch den Schriftzug des Blogs "Girls who like porno". Dass das nicht von ungefähr kommt, bestätigt die Abgebildete selbst gegenüber dem Faktencheck-Team der Nachrichtenagentur AFP. Das Bild "war Teil einer künstlerischen Arbeit, die ich 2004 mit dem Kollektiv Girlswholikeporno für unsere Performance beim Sonar Festival angefertigt habe".

Das Foto wurde in Murcia geschossen

Auch zu dem Aufnahmeort äussert sich Bañón in ihrer Mail. Ihr zufolge wurde das Foto während der Osterzeit in der spanischen Stadt Murcia geschossen und ist unbearbeitet. Der genaue Ort lässt sich unter anderem via Google Earth Pro bestimmen: Es ist die Gran Vía del Escultor Francisco Salzillo. Deutlich zu erkennen an den markanten und bis heute unveränderten Gebäudefassaden.

Die Aufnahme von der vermeintlich auf die Strasse pinkelnden Águeda Bañón wurde hier aufgenommen: In der Gran Vía del Escultor Francisco Salzillo in Murcia. (Im Bild: Streetview-Ansicht, Februar 2023)
Die Aufnahme von der vermeintlich auf die Strasse pinkelnden Águeda Bañón wurde hier aufgenommen: In der Gran Vía del Escultor Francisco Salzillo in Murcia. (Im Bild: Streetview-Ansicht, Februar 2023)
Google Street View

Der Ort stimmt auch mit den Angaben Bañóns überein: Hier zieht jeweils am Palmsonntag, dem Anfang der Karwoche, die Procesión de la Cofradía del Santísimo Cristo de la Esperanza vorbei. Die in dem Kontext geschossene Aufnahme von Águeda Bañón zu beiden Seiten der Straße zu sehenden bestuhlten Podeste stützen das. Sie sind auch in Berichten über die Prozession zu sehen, zum Beispiel hier.

(Im Bild: Route der Palmsonntag-Prozession im Juni 2015)
(Im Bild: Route der Palmsonntag-Prozession im Juni 2015)
Google Maps via laverdad.es

Nicht das erste Mal aus dem Zusammenhang gerissen

Wie die AFP unter Berufung auf Bañón schreibt, wurde das Bild seit seiner Entstehung schon mehrfach aus dem Zusammenhang gerissen. Insbesondere seit dem Jahr 2015, als Águeda Bañón von der damals neu ins Amt gewählten Ada Colau zur Leiterin der Kommunikationsabteilung Barcelonas ernannt wurde. Dies, "um mein öffentliches Image und das der Bürgermeisterin Ada Colau zu diskreditieren", so Bañón in ihrer Mail. Die zum Anfang der Recherche durchgeführte Bilderrückwärtssuche bestätigt das. Sie hat einige Beispiele zutage gefördert, die zeigen, dass die Aufnahme in den letzten Jahren mehrfach mit abwertenden Kommentaren über Colau und Bañón auf Social Media verwendet wurde (etwa hier, hier, hier oder hier).

Fazit

Das aktuell auf Social Media verbreitete Foto einer mitten auf der Straße urinierenden Frau zeigt nicht, wie in den Posts behauptet, die bar­ce­lo­nische Bürgermeisterin Ada Colau, sondern die von ihr im Jahr ihrer Wahl zur Leiterin der Kommunikationsabteilung Barcelonas ernannte Águeda Bañón. Die Aufnahme stammt aus einer Zeit, lange bevor Bañón dieses Amt bekleidete. Sie wurde im Jahr 2004 gemacht. Damals war Bañón noch als feministische Aktivistin und Künstlerin unterwegs. Laut ihr entstand das Bild im Kontext des Sonar Festivals im Jahr 2004.