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Hirsch kuschelt mit Kalb und wird dafür erschossen

Heute Redaktion
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Hungrige Hirsche sind in der Schweiz Rindern nahe gekommen und haben von deren Heu genascht. Kurz darauf wurden sie erschossen – Tierschützer laufen Sturm.

Seelenruhig steht ein Hirsch in einem Stall in Klosters bei Davos (Schweiz) und schaut in die Kamera. Die Kälbchen lassen sich durch den Besucher nicht stören – eines leckt ihm sogar übers Fell.

Die eigentlich herzige Szene eines Videos, das die "Bauernzeitung" Ende Januar publik machte, löst im Kanton Graubünden nun eine Kontroverse aus: Der Hirsch aus dem Video ist vor einigen Tagen von der Wildhut geschossen worden, weil Verdacht auf Tuberkulose bestand. Gleich erging es einem Hirsch, der jüngst in einem Stall in Ramosch im Unterengadin auftauchte, wo er Heu stibitze und von dem ebenfalls ein Video kursiert.

Aber auch allen anderen Hirschen im Gebiet droht Ungemach: "Ich habe von Jägern gehört, dass wegen dieser Vorfälle nun alle Hirsche der Umgebung geschossen werden sollen", sagt Marion Theus, Präsidentin des Schweizer Wildtierschutzes. Dabei sei in den letzten Jahren nie Tuberkulose festgestellt worden – weder bei Rindern noch bei Wildtieren. "Das hat mit Vorsicht nichts zu tun. Der Kanton braucht einen Vorwand, um die Bestände zu dezimieren", vermutet sie.

"Das zeigt die Notlage der Tiere"

"Wenn den Behörden tatsächlich an Seuchenbekämpfung gelegen ist, warum untersuchen sie dann nicht die Rinder?", fragt sich Theus weiter. In einem Leserbrief an die "Südostschweiz" bezeichnet sie das Vorgehen der Behörden als "Panikmache". Ein weiterer Leserbriefschreiber klagt: Die Hirsche würden im meterhohen Schnee ihrem Schicksal überlassen und nicht überall genügend notgefüttert. Dass sie bis in die Ställe vordringen, zeige die Notlage der Tiere.

Höfe unter Quarantäne

Tatsächlich seien bisher weder bei Rindern noch bei Wildtieren aktuelle Fälle von Tuberkulose bekannt, sagt Kantonstierarzt Rolf Hanimann auf Anfrage von 20 Minuten. Das Vorgehen der Wildhut hält er dennoch für gerechtfertigt: "Wir vermuten, dass die Seuche von den Wildtieren ausgeht und nicht von den Rindern. Es ist deshalb nur logisch, dass zuerst da gesucht wird." Tuberkulose-Verdacht sei keineswegs ein Vorwand: "Im angrenzenden Montafon sind Fälle aufgetaucht, ebenso in Vorarlberg." Da die Tiere zwischen den Gebieten hin- und her wanderten und der Erreger über ihren Speichel übertragen werde, sei höchste Vorsicht geboten.

Gegen die Besitzer der Ställe laufen nun strafrechtliche Verfahren: "Sie haben das Fütterungsverbot missachtet, das dazu dient, den Kontakt zwischen Wild und Rindern zu unterbinden und die Ansteckungsgefahr zu bannen", so der Leiter des Amtes für Lebensmittelsicherheit und Tierschutz. Zudem wurden die Höfe unter eine Art Quarantäne gestellt. "Die Landwirte dürfen keine Tiere verkaufen oder weitergeben, bis feststeht, dass die Hirsche keine Erreger in sich trugen", so Hanimann. Die geschossenen Tiere werden derzeit untersucht.

(tso)