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Hochmair: "Sind wir nicht alle Psychopathen?"

Heute Redaktion
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Philipp Hochmair hat viele Gesichter: schizophrener Mörder, ekstatischer Rockstar, blinder Ex-Bulle (5.5., ORF). Der Talk über Ar***löcher, Todesangst und Grenzen(losigeit).

Wenn er nicht gerade als Psycho-Schnitzler eine Geburstagssause mit einem Revolver aufmischt (Staffelfinale der "Vorstadtweiber"), als übergeschnappter Dirigent Mörder deckt ("Meine fremde Frau") oder mit der "Elektrohand Gottes" die Gittaren würgt ("Jedermann reloaded"), dann macht er sich als blinder Ex-Ermittler auf die Spur eines brutalen Mädchenhändlerrings ("Blind ermittel", Premiere am 5.5., 20.15 Uhr, ORF eins).

Zum Interview ins Wiener The Ritz-Carlton kommt er mit halbgeöffnetem Hemd, enormer Gier auf eine Zigarre und sein Smartphone in der Mangel. Noch ist Philipp Hochmair nicht ganz angekommen, in der Ruhe-Oase am Ring. Aber dann steht er vor ihm, "endlich wieder einmal ein stilvoller Kaffee" – und der Mime ist bereit für ein Gespräch über arme Seelen, seinen Zenit als Theaterschauspieler und die Party seines Lebens am Salzburger Domplatz.



"Heute": Woher kommen Sie denn gerade?

Hochmair: Ich bin für "Brisant" drei Stunden durch „mein Wien" gerannt. Das war ein bissl viel jetzt. Die wollten wissen, wo ich so zuhause bin…



"Heute": Und wo sind Sie zuhause?


Hochmair: Im 8. Bezirk. Aber eigentlich wohne ich nirgends, weil ich immer unterwegs bin.

"Heute": Wie war es denn für Sie, nach dem verstörenden „Vorstadweiber" Staffelfinale jetzt einmal nicht das totale Arschloch auf dem TV-Bildschirm zu sein?

Hochmair: Der Haller in "Blind ermittelt" ist doch auch ein Arschloch. Halt ein geknicktes.



"Heute": Ja, aber diese Arme-Seelen-Arschloch-Nummer ist eine andere, finde ich…


Hochmair: Ich weiß nicht. Schnitzler ist auch eine arme Seele. Sind wir nicht alle arme Seelen? Psychopathen, die mit dem Sozialgefüge zurechtkommen müssen? Schnitzler macht's so, der Blinde macht's so. Für mich war das ein tolles Abenteuer, diese beiden Charaktere parallel zu entwickeln. Wäre toll gewesen, die beiden auch parallel zu spielen. Das hab ich am Theater früher immer so gemacht, große Rollen nebeneinander. Das war ein Hochgenuss, die Grenzen und Unterschiede herauszuarbeiten. Etwa, wo sich Handke und Goethe ähneln. Diese Ähnlichkeit ist nämlich frappant.



"Heute": Und wo ähneln sich Schnitzer und der Blinde, außer im Arschloch-Sein?


Hochmair: Im Wollen, im Handlungsdruck, in der Konsequenz. Und im Spleen. Aber auch in der Suche nach Eleganz.



"Heute": Und wieder einmal haben wir einen (Ex-)Ermittler, der wohl nur deshalb so gut ist, weil er so gebrochen ist. Wie geht er damit um?


Hochmair: Er ist – im Gegensatz zu Schnitzler, der ein Gambler ist – ein konstruktiver Mensch. Haller glaubt ans Gute. Er ist ein guter Mensch, dem die Flügel genrochen wurden. Er will aber unbedingt wieder fliegen.



"Heute": Wie übt man denn, blind zu spielen? Ganz ehrlich: Kamen Sie sich im manchen Momenten nicht ein wenig ein blöd vor? Oder, noch schlimmer: Hatten Sie dabei nie das Gefühl, sich lustig zu machen?


Hochmair: Gehen Sie zu "Dialog im Dunkeln" und Sie werden merken, dass das purer Überlebenskampf ist. Diese Erfahrung war überwältigend. Du bist da stundenlang in einem Labyrinth und alles, was du draußen an Referenzen hast, zählt hier nicht. Das ist einerseits so schrecklich, andererseits aber auch so beruhigend. Weil der Stress, dass alles nur über die Augen funktioniert, einfach abfällt. Es geht einzig darum, wie ich mit meiner Nase, meinen Ohren und meinen Händen das Leben managen kann. Da kann man nicht wie beim Blindspielen ein bisschen mit den Augen blinzeln und kurz mal schauen. Die Dimension des Sehens gibt es da drinnen nicht. Auch der Dialog mit Leuten, die so leben, war faszinierend. Die haben teilweise Todesangst. Man denke an Baustellen, Autos, Fahrradfahrer …

"Heute": Der größte Aha-Momet in Dunkeln?

Hochmair: Dass sich mein Geruchsinn wie bei einem Tier sofort aufstellt hat. Und: Du baust dir da Bilder von Menschen auf – eine tolle Stimme ordnet man zum Beispiel ganz klar einem großen, attraktiven Mann zu. Und dann, draußen, wird alles über den Haufen geworfen. Drinnen hast du dich mit einem Menschen total wohl gefühlt, draußen kriegt man das Bild mit dem Gefühl überhaupt nicht mehr zusammen. Man nickt sich verschämt zu und geht seines Weges. Fakt ist: Als Sehender wäre ich diesem Menschen nie begegnet, weil er einfach nicht in mein Raster passt. Und dieses Raster haben wir alle, gegen das können wir uns nicht wehren. Alle Gesellschaftsbilder, die wir haben, die wir auch dringend brauchen, um uns zu definieren, die werden da torpediert. Haller verliert mit einem Schlag alles, was er hatte. Seine Frau und seine berufliche Existenz. Und diesen Schock konnte ich bei diesem Selbstversuch maximal nachempfinden.



"Heute": Was war die schwierigste Szene beim Dreh?


Hochmair: Ich dachte ja, dass man blind drehen muss. Aber nein, das ist unmöglich. Die Erkenntnis war, dass du als Blinder keine Filmkarriere machen kannst. Du musst Marken einhalten, du darfst nicht von der Bühne fallen, das geht einfach nicht. Ich weiß nicht, ob's blinde Schauspieler gibt, aber ich denke, dass du diesen Beruf einfach nur als Sehender ausüben kannst.



"Heute": Wie gefällt Ihnen der Titel? Warum diese Referenz an "Schnell ermittelt"…


Hochmair: Ich weiß nicht. Aber viele glauben jetzt, dass das eine Komödie ist. Diese Kombi weckt humoristische Gedanken. Ich finde den Titel aber trotzdem perfekt. Drückt doch aus, was es ist.



"Heute": Mit Ihrer Filmschwester Patricia Aulitzky stehen Sie auch auf der "Jedermann (reloaded)"-Bühne. Kannten Sie sich schon vorher?


Hochmair: Nein, das Projekt entstand am Filmset. Wir haben darüber geredet, dass sie Jazzsängerin ist und ich eine Rockband habe. Ich wolle sie als "Starguest". So à la Tina Turner und Mick Jagger treffen sich auf der Bühne. Ich liebe Crossover-Projekte. Wir haben auch kaum geprobt, nur ein bisschen rumgejammt davor. Das war ein großes Risiko, aber es war toll. Ich hab jetzt echt das Gefühl, dass sie meine Schwester ist. Und das ist ein Glücksfall, dass du mit einem Schauspieler, mit dem du im Film eine Geschichte hast, auch im echten Leben eine hast. Das hatte ich so nur noch bei "Die Auslöschung". Da war Klaus Maria Brandauer mein Vater und Birgit Minichmayr meine Schwester. Das hat sich auch echt angefühlt, das fußt auf unserer gemeinsamen Ausbildung bei Brandauer.



"Heute": Apropos Brandauer: Sie waren von 2003 bis 2008 am Burgtheater. Warum sind Sie es nicht mehr?


Hochmair: Ich liebe Wien über alles, aber ich muss aus Wien immer wieder raus. Wenn man hier hängenbleibt, ist das eine Falle. Ich bin als Torquato -Tasso-Darsteller gegangen und hab in Hamburg dann noch ganz andere Bühnenerfahrungen gemacht. Dort hab ich auch meine Schauspielkarriere begonnen – und bin als Schnitzler und blinder Ermittler wieder nach Wien zurückgekehrt. Dieser Schritt nach vorne war eine Befreiung, um sich wieder neu zu definieren. Man kann nicht immer das schlimme Kind bleiben oder der alte Vater. Diese Schubladen, in die man unweigerlich gesteckt wird, müssen aufgebrochen werden.



"Heute": Als was sind Sie denn zurückgekehrt?


Hochmair: Als Mann. Ich bin gereift wiedergekommen. Über das Verlassen des Burgtheaters wurde ich zum Filmschauspieler. Das kann ich jetzt fühlen und artikulieren. Damas war ich reiner stresssüchtiger Theaterschauspieler. Mein "Faust" 2011 bei den Salzburger Festspielen, das war war mein Abschluss am Staatstheater. Das kann man nicht mehr toppen, für mich habe ich den Zenit am Theater erreicht. Das Stück wird ja immer noch gezeigt, aber wenn ich das jetzt drei Mal spiele, bin ich total ausgepowert. Das war früher anders. Jetzt hat sich meine Konzentration einfach wo anders hinbewegt. Zum Beispiel der Schnitzler, der immer verrückter wird, das ist jetzt spannend für mich. Ich durfte mein Talent am Burgtheater schmieden, meine Grenzen erkennen. Und jetzt darf ich sie sprengen.

"Heute": Beim Film: Wie viel der Figur kommt von Ihnen und wie viel vom Drehbuchautor?

Hochmair: Um eine Staffel "Vorstadtweiber" zu machen, musst du schon was modellieren. Das Material muss da sein, sonst kriegt man nicht zehn Folgen hin. Das muss man was schaffen. Die Verbreitung ist halt auch eine ganz andere, als beim Theater. Die "Vorstadtweiber" werden in Amerika laufen, sind auf Netflix. Das schafft ganz anderen Raum. Ich bin vielleicht auch im richtigen Moment in diese neuen Welt eingetreten, wo sich TV übers Netz so anders verbreitet, als noch vor zehn Jahren. Ich hab das gebraucht, dass die Welt ein bisschen größer wird. Größer, als nur Probebühne, Gang nach Hause, Bühne.



"Heute": Im Juli startet der Dreh für die nächste "Vorstadtweiber"-Staffel. Wem wird Schnitzler das Kreuz diesmal brechen?


Hochmair: Der hat schon so vielen das Kreuz gebrochen, ist da überhaupt noch einer über? Vielleicht muss er sich sein eigenes brechen und Buße tun. Vielleicht wird er aber auch im Reineke- Fuchs-Style falsche Reue zeigen? Oder er wird noch böser. Oder er löst sich in Luft auf, weil er einfach nicht mehr händelbar ist. Warten wir es ab, das ist ja das Experiment.

"Heute": Wird Ihnen Gerti Drassl am Set fehlen?

Hochmair: Wir hatten eine sehr schöne Szene in der zweiten Staffel, im Aufzug, wo sie weiß, dass ich der Liebhaber ihres Mannes bin. Gleichzeitig ist sie aber auch Fan meiner Poltik. Ich finde sie eine großartige Schauspielerin und ich bedauere, dass sie aussteigt. Aber: Das Leben ist Teil einer Serie. Das Leben fließt in die Serie ein, und wenn man aufhören muss, dann hört man auf.

"Heute": Werden wir Ihren "Jedermann" auch einmal am Domplatz die Gitarren würgen hören?

Hochmair: Das wäre mein Traum. Jedermann für jedermann, zum Abschluss der Salzburger Festspiele, bei freiem Eintritt. Eine Party bis in den Morgen hinein.

Mehr zum Inhalt von "Blind ermittelt"

Der ehemalige Wiener Chefinspektor Alexander Haller (Philipp Hochmair) trägt eine schwere seelische Last: Er gibt sich die Schuld am Tod seiner Lebensgefährtin, der Staatsanwältin Kara Hoffmann (Anna Rot), die vor zwei Jahren bei einem Sprengstoffanschlag ums Leben kam. Über das Attentat, bei dem Haller sein Augenlicht und damit auch seinen Beruf verlor, kommt er nicht hinweg. Dass sich Haller aus Verzweiflung das Leben nimmt, verhindert der Taxifahrer Nikolai Falk (Andreas Guenther) eines Nachts in letzter Minute.

Für einen neuen Sinn in seinem Leben sorgt ausgerechnet der für Karas Ermordung verurteilte Udo Strasser (Stipe Erceg)! Hallers Erzfeind ist aus dem Gefängnis ausgebrochen, um seine Schuldlosigkeit zu beweisen. Dass der blinde Ex-Kommissar – unterstützt von Nikolai als Fahrer – nun selbst ermittelt, missfällt seiner Nachfolgerin Laura Janda (Jaschka Lämmert) ebenso wie Oberstaatsanwalt Pohl (Johannes Silberschneider). Schon bald stößt Haller nicht nur auf die Fährte eines brutalen Mädchenhändlerrings, dem eine junge Weißrussin (Barbara Prakopenka) entkommen ist, sondern auch auf Ungereimtheiten in der Polizeiarbeit. Sein Handicap, nicht sehen zu können, macht sich Haller zum Vorteil: Seine Gegner unterschätzen ihn. Mit unkonventionellen Mitteln versucht er, die Täter und den Kopf der Verbrecherbande zur Rechenschaft zu ziehen.

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