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Schon leise Geräusche bereiten Wienerin Schmerz

Margit S. leidet an Hyperakusis – einer extremen Empfindlichkeit gegen akustische Reize. Die Medizin bietet wenig Hilfe.

Heute Redaktion
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Margit S. leidet seit 20 Jahren unter extremer Geräuschempfindlichkeit.
Margit S. leidet seit 20 Jahren unter extremer Geräuschempfindlichkeit.
Bild: privat

Schon der Gang zum Supermarkt ist für Margit S. fast unerträglich: Die Wienerin leidet an Hyperakusis, selbst leiseste Geräusche bereiten ihr Schmerzen. "Ich kann nur zu Hofer und Lidl, das sind die Einzigen, die keine Musik spielen", erzählt die 74-Jährige. Ihre Leidensgeschichte umfasst 20 Jahre, unzählige Arztbesuche, verlorene Freundschaften und soziale Isolation. "Man kann sich nur zurückziehen. Alles ist schmerzhaft – wenn jemand die Zeitung umblättert oder mit einem Nylonsackerl raschelt", berichtet sie im Gespräch mit "Heute.at". Besonders schlimm seien plötzliche Geräusche. "Da werde ich manchmal zu einer Furie, weil ich so erschrecke, das kann niemand verstehen. Das ist keine Lebensqualität."

Eine eindeutige Ursache für Hyperakusis sei bislang nicht geklärt, sagt Netdoktor.at-Experte Dr. Andreas Temmel. "Ähnlich wie beim Tinnitus handelt es sich um eine Signalverarbeitungsstörung, der Unterschied zum Tinnitus liegt jedoch darin, dass beim Tinnitus keine von außen kommenden Geräusche vorhanden sind." Häufig würden die Symptome bei Patienten mit Innenohrschäden auftreten, etwa nach einem Lärmtrauma. Auch Margit S. vermutet ein solches Trauma als Auslöser: "Das hatte ich vor langer Zeit einmal, als Buben mit einer Knallkapsel geschossen haben. Ich hatte auch zwei Gehörgangsinfektionen, aber man weiß es nicht."

Für Außenstehende schwer zu begreifen

Bei Familie und Freunden stoße sie mit ihrem Problem häufig auf Unverständnis. "Es ist ja eh nicht laut, sagen die Leute nur. Aber ich halte nur natürliche Geräusche aus, Vogelgezwitscher oder Blätterrascheln stört mich zum Beispiel nicht." Am gesellschaftlichen Leben könne die Pensionistin nur stark eingeschränkt teilnehmen. "Ich kann in kein Theater gehen, Kino sowieso nicht. Meine Freunde sind weniger geworden, weil die gehen ja am Abend weg, das kann ich nicht. Wenn ich mich mit einer Gruppe treffe, wird mir das Gespräch nach spätestens zehn Minuten zu laut."

Jahrelang pilgerte S. von Arzt zu Arzt, fand keine Hilfe. Auch ein Hörgerät, das einen ständigen Grundton produziert und die Irritationen minimieren soll, brachte keine Linderung. "Durch dieses Problem entstanden mit der Zeit noch andere, es ging auch psychisch bergab. Ich war nicht mehr in der Lage, zu arbeiten. Es war ein Kampf – erst, als ich in der Psychiatrie war, ist die Pension durchgegangen. Aber ich hatte noch weitere Erkrankungen, unter anderem Krebs."

Heute hat sich die ehemalige Mitarbeiterin einer Fluggesellschaft das Ziel gesetzt, auf das Leid aufmerksam zu machen, das Patienten mit Hyperakusis empfinden. Denn eine Therapie ist schwierig, wie auch Netdoktor-Experte Dr. Andreas Temmel bestätigt. "Man versucht, den Patienten wieder an eine normale Lautstärke zu gewöhnen. Für die psychischen Auswirkungen des Leidens werden häufig Stimmungsaufheller und Entspannungstherapie verordnet." S. arbeitet nun an einem Blog zum Thema.

Leiden Sie an einer Krankheit oder körperlichen Einschränkung, die oft missverstanden wird? Verdient Ihre Geschichte Öffentlichkeit? Nehmen Sie Kontakt mit der "Heute"-Redaktion auf und berichten Sie uns! (cty)

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