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"Ich war nach dem Todessturz beim Psychologen"

Radprofi Felix Gall erlebte den Tod von Gino Mäder hautnah mit. In "Heute" spricht er über seinen Umgang damit, Nudeln zum Frühstück und die Tour.  

Martin Huber
Radprofi Felix Gall: "Nudeln in der Früh, das kann ich nicht." 
Radprofi Felix Gall: "Nudeln in der Früh, das kann ich nicht." 
EXPA/ Lukas Huter

Felix Gall ist der Mann der Stunde im österreichen Radsport. Bei der Tour de Suisse gewann der Osttiroler zuletzt die erste Etappe bei einem World-Tour-Rennen. Ab Samstag gibt der 25-Jährige sein Debüt bei der Tour de France, die am 1. Juli in Bilbao startet und über 3.404 Kilometer nach Paris führt. Kurz vor seiner Abreise zum wichtigsten Radrennen der Welt gab der Osttiroler "Heute" ein Interview. 

"Heute": Schlafen Sie noch gut so kurz vor Ihrer Premiere bei der Tour de France?

Felix Gall: "Ja, ich schlafe in einem Höhenzelt – also eigentlich bin ich jede Nacht aktuell auf 2.500 Meter. In diesem Zelt kann ich den Sauerstoffgehalt regulieren. Mein Höhentrainingslager in der Sierra Nevada ist ja schon eine Zeit her, so versuche ich einen letzten Trainingsreiz vor der Tour zu setzen. Ich bin grundsätzlich einer, der gerne und auch lange schläft. Daheim so um die neun Stunden. Bei der Tour schaue ich, dass ich auf acht Stunden komme. Das wird nicht immer möglich sein, weil ich spät ins Hotel komme und saumüde bin. Aber ich bin vorbereitet, nehme auch meinen eigenen Polster mit."

Felix Gall: "Normal bin ich nie nervös vor Rennen, aber es ist die Tour."
Felix Gall: "Normal bin ich nie nervös vor Rennen, aber es ist die Tour."
EXPA/ Lukas Huter
"Einige Fahrer starten in der Früh schon mit Nudeln, ich kann das nicht"

Was darf sonst nicht fehlen im Tour-Koffer?

"Der Schuhtrockner. Nach Etappen im Regen ist der wichtig."

Wie schaut der Essensplan eines Radprofis bei der Tour aus?

"Jedes Team hat seinen eigenen Koch dabei. Die Herausforderung ist, dass man ausreichend Kalorien zu sich nimmt. Einige Fahrer starten deshalb in der Früh schon mit Nudeln. Ich kann das nicht. Bei mir gibt es eine Eierspeise, eine Crepes und Milchreis. Auf Haferflocken verzichte ich zum Beispiel, die sind zu sättigend. Im Bus am Weg zum Start esse ich dann noch einen fettarmen Reiskuchen, dazu einen Kaffee und dann geht es eh los." 

Wie läuft die Energiezufuhr während der Etappe?

"Das ist alles ausgeklügelt und erprobt. Der Mensch kann rund 90 Gramm Kohlenhydrate in der Stunde aufnehmen. Das halte ich genau ein. Ich trinke ein bis eineinhalb Liter isotonische Getränke, das sind 30 bis 45 Gramm. Den Rest nehme ich mit Riegeln und Gels zu mir."

Gall stammt aus Nußdorf-Debant in Osttirol. Er war früher Triathlet, kam über Schulkollegen zum Radsport und wird mit 17 Jahren Junioren-Weltmeister in Richmond (USA) – als erster Österreicher. Gold macht den Weg frei in den Profi-Radsport. Nach der besten Saison seiner Karriere mit einem Etappensieg bei der Tour de Suisse greift er jetzt für seinen Rennstall AG2R Citroen Team bei der Tour an. In 21 Etappen geht es von Bilbao nach Paris. 22 Teams sind am Start, es geht um 2,3 Millionen Euro Preisgeld. 

Wie nervös sind Sie vor dem Tour-Debüt?

"Ich bin normalerweise nie nervös vor Rennen. Aber es ist die Tour. Das ist zwar auch nur ein Radrennen, aber das Drumherum ist verrückt. Darum spüre ich jetzt schon ein bisschen eine Anspannung. Die ersten Etappen werden sicher supernervös und waren in den letzten Jahren von vielen Stürzen geprägt. Ich hoffe, dass ich das gut überstehe."

"Ich will mich nicht verrückt machen lassen, lebe lieber im Jetzt"

Sie haben bei der Tour de Suisse aufgezeigt. Hat das Ihre Rolle im Team verändert?

"Das werde ich nach der Anreise am Mittwoch noch mit dem sportlichen Leiter besprechen. Die Rollen sind aber verteilt: Ben O'Connor ist unser Leader, der Mann für die Gesamtwertung. Er war vor zwei Jahren bei der Tour Vierter und kann das. Wir wollen mit Ben vorne dabei sein, als Team gut auftreten. Ich werde die Freiheit haben, auf Etappensiege zu gehen. Mein Ziel ist es, aufs Podium zu fahren, am besten zum Sieg. Und ich möchte schmerzfrei nach Paris kommen."

Erwarten Sie die drei härtesten Wochen Ihres Lebens?

"Ich will mich nicht verrückt machen lassen, lebe lieber im Jetzt. Ich habe mir die einzelnen Etappen noch gar nicht angesehen. Das passiert dann sowieso im Detail in der Früh am Renntag. Ich weiß aber, dass eine Rundfahrt über drei Wochen lang und am Ende sehr erschöpfend ist. Das habe ich beim Giro im Vorjahr zu spüren bekommen. Davor habe ich schon Respekt." 

Viele Fans schauen die Tour wegen der schönen Bilder im TV. Was kriegt man als Fahrer bei all den Qualen mit?

"Nicht viel. Hin und wieder ertappe ich mich in einer ruhigeren Minute schon, dass ich mir denke, hier ist es aber schön. Man darf aber nicht zu viel in der Gegend herumschauen, sonst pickt man am Vorderrad des Kollegen. Im Finale einer Etappe blendet man sowieso alles aus."

Drei Österreicher konnten bisher Etappensiege bei der Tour feiern: 2021 Patrick Konrad, 2005 Georg Totschnig und 1931 Max Bulla. Bernhard Kohl gewann 2008 das Bergtrikot, das er kurz später wegen EPO-Dopings verlor. Heuer sind sechs Österreicher am Start: Neben Gall sind das Gregor Mühlberger (Movistar), Michael Gogl (Alpecin), Felix Großschartner (UAE), Patrick Konrad und Marco Haller (beide BORA).

Wie haben Sie die letzten Tage vor der härtesten Rad-Rundfahrt der Welt verbracht?

"Ich habe nach der Tour de Suisse zwei Tage nichts getan. Normalerweise sitze ich in einer Trainingswoche 25 Stunden am Rad. Die letzten sieben Tage waren es unter 20 Stunden. Also drei, vier Stunden am Tag, eine scharfe Einheit Intervalltraining als Reiz. Die Arbeit ist grundsätzlich erledigt. Jetzt geht es darum, die gute Verfassung zu konservieren."

Gall in seiner Heimat Osttirol: "Dass ich noch stärker sein werde als in der Schweiz, traue ich mir nicht zu sagen."
Gall in seiner Heimat Osttirol: "Dass ich noch stärker sein werde als in der Schweiz, traue ich mir nicht zu sagen."
EXPA/ Lukas Huter

Wie gut ist Ihre Form? Noch besser als bei der Tour de Suisse?

"Dort waren meine Werte schon verdammt gut. Dass ich noch stärker sein werde, das traue ich mich nicht zu sagen. Mein Ziel ist es, die bestehende Form zu halten. Ich bin ja jetzt nicht zwei Monate durchgehend Rennen gefahren, wo irgendwann der Einbruch automatisch kommt. Deshalb bin ich positiv."

Im Zeitfahren haben Sie in der Schweiz viel Zeit und einen Podestplatz verloren. Ist das ein Sorgenkind?

"Ja, das ist ein größeres Projekt. Mir klemmt es in der aerodynamischen Position etwas ab, deshalb habe ich einen Leistungsabfall nach zehn Minuten. Ich habe im Vorfeld etwas an der Position verändert, mir gedacht, dass es besser wird, dem ist aber nicht so. Für die Zukunft muss ich das in den Griff kriegen. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass das Zeitfahren für mich in dieser Saison schon so eine Bedeutung bekommt."

Der Unfalltod des Schweizers Gino Mäder bei der Tour de Suisse hat zu Trauer und Diskussionen im Peloton geführt. Drei Rennställe stiegen aus, 17 Fahrer anderer Teams schlossen sich an. Felix Gall tendierte auch zum Ausstieg, fuhr die Rundfahrt dann zu Ende. Zwischenzeitlich sogar in Führung belegte er am Ende Platz acht. 

Die Tour de Suisse war auch emotional eine Achterbahnfahrt. Zuerst der Etappensieg, das Gelbe Trikot, dann der tragische Tod von Gino Mäder. Wie haben Sie das verarbeitet?

"Man kann das nicht abschließen in zwei, drei Tagen. Natürlich redet man darüber, denkt daran und darüber nach. Ich war auch beim Psychologen. Es ist eine schwierige Sache. Ich finde nicht, dass man einfach sagen kann: ,Das passiert halt.' Radprofi ist ein risikoreicher Beruf. Erfahrene Rennfahrer sagen: Stürze hat es immer schon gegeben. Was sich aber geändert hat, ist die Risikobereitschaft der jüngeren Generation. Es wird verrückter. Ich versuche, die Stürze so gut es geht auszublenden. In der Regel geht ja alles gut."

"Wir können nicht in Watte gepackt werden"

Der mehrfache Weltmeister Tony Martin beklagt, dass die Fahrer zu wenig geschützt werden. Zurecht?

"Man kann sicher mehr tun. Wir Radprofis haben aber halt nur eine dünne Hose und ein dünnes Renntrikot an. Wir können nicht in Watte gepackt werden. Manche Zielankünfte sind aber definitiv zu gefährlich und wie vor 15 Jahren. Ich erinnere mich da an eine Etappe im Baskenland, wo 50, 60 Leute über einen Berg runter ins Ziel hetzen. Da hat es grausige Stürze und Brüche gegeben, einer hat fast seinen Finger verloren. Es stimmt schon, dass Radfahren auch heißt, schnell um eine Kurve zu kommen. Doch im Massensprint am letzten Kilometer braucht es nicht fünf Kurven und einen Kreisverkehr."  

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