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Heute Redaktion
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Washington erlebt eine der emotionalsten Demos seiner Geschichte. Getragen wird der Protest von einer Generation, die mit Schusswaffengewalt aufwuchs.

Minutenlang steht Emma Gonzalez schweigend am Mikrofon. Ihr Blick ist geradeaus gerichtet auf die gewaltige Menschenmenge, die sich in Richtung des Weißen Hauses erstreckt. Tränen laufen der jungen Überlebenden des Massakers vom Valentinstag die Wangen hinab. Auch manche in der Menge weinen.

Das Schweigen der Emma Gonzalez ist einer der eindringlichsten Momente der US-Großdemonstrationen an diesem Samstag für ein schärferes Waffenrecht.

Der Schmerz, der zum AnStoß der neuen Protestbewegung wurde, bekommt in diesen Minuten seinen Raum. Ihr Schweigen bricht Gonzalez sechs Minuten und 20 Sekunden nach Beginn ihres Bühnenauftritts ab – so lang hatte das Blutbad an ihrer Schule in Parkland im Bundesstaat Florida gedauert.

"Wir sind die Zukunft – schützt uns!"

"In wenig mehr als sechs Minuten sind uns 17 unserer Freunde genommen" und das Leben von jedem an ihrer Schule "für immer verändert worden", sagte die junge Frau mit dem kurzgeschorenen Haar zu Beginn ihres Auftritts.

"Marsch für unser Leben", so lautet das Motto der emotionalen Großdemonstration, die in Washington und anderen US-Städten junge Menschen auf die Straßen trieb – sie gehören zu der Generation, die mit der tagtäglichen Schusswaffengewalt aufgewachsen ist. Die Verschärfung des laxen US-Waffenrechts betrachten sie als Existenzfrage: "Wir sind die Zukunft – schützt uns!" ist auf Transparenten zu lesen.

Neue Graswurzelbewegung: Wut gegen NRA und Politiker

Viele der Demonstranten sprechen von der Furcht vor Schusswaffenangriffen, die ihren Schulalltag prägt. "Wir sind diejenigen, die jeden Tag Angst haben zur Schule zu gehen, weil wir nicht wissen, ob wir als Nächste an der Reihe sind", sagt die 17-jährige Lauren Tilley, die aus Kalifornien zu der Demonstration in der Hauptstadt gereist ist.

Neben Trauer und Angst ist auch Wut eines der prägenden Gefühle der neuen Graswurzelbewegung. Die Wut richtet sich gegen die Waffenlobby NRA und die Politiker, die mit den mächtigen Lobbyisten verbündet sind.

Auftritt der neunjährigen Enkelin von Martin Luther King

Die Haltung zur Schusswaffengewalt sei eine Frage von "Leben oder Tod", sagt Alex Wind, ein weiterer Parkland-Überlebender, in seiner Rede. Seine Botschaft an die Politiker lautet: "Wenn ihr Geld von der NRA nehmt, habt ihr euch für den Tod entschieden."

Es gibt auch fröhliche Momente an dieser Demonstration. Dazu gehört der Auftritt der neunjährigen Yolanda Renee King, die Enkelin des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King. Auch sie habe "einen Traum", sagt sie in Anlehnung an das berühmte Zitat ihres Großvaters. Dieser sei "eine Welt ohne Waffen". Und dann animiert das quirlige Mädchen die Menge zu einem Sprechchor über die neue "großartige Generation".

"Nicht Höhepunkt, sondern der Anfang"

Die neue Protestgeneration hat allerdings bereits erfahren, dass ihr Kampf ein mühseliger ist. Zwar hat ihr Druck immerhin im Bundesstaat Florida bereits eine Verschärfung des regionalen Waffenrechts bewirkt – doch bei der Regierung und im Kongress in Washington gibt es bislang nur minimale Konzessionen im Waffenrecht. Präsident Donald Trump scheint nicht bereit zu sein, sein Bündnis mit der NRA zu gefährden.

Die jungen Demonstranten setzen jedoch darauf, dass auch sie mächtigen politischen Druck aufbauen können. Schließlich werden viele von ihnen schon bei der Kongresswahl im November wahlberechtigt sein – und noch viel mehr bei der Präsidentschaftswahl 2020.

Neben Trauer, Furcht und Wut wird der Protest also auch von einer großen Aufbruchstimmung angetrieben. Die Protagonisten sind von dem Optimismus beseelt, dass ihre Bewegung nicht so schnell versanden wird wie frühere Proteste gegen die Schusswaffengewalt. "Wir sind der Wandel", ruft der Parkland-Schüler Cameron Kasky der Menge zu. Und er verkündet, dass der Marsch an diesem Tag "nicht der Höhepunkt" der Bewegung sei: "Er ist der Anfang." (gux/afp)