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Indie-Kino in der Krise

Heute Redaktion
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Debra Granik und Alex Ross Perry sind positive Aufmerksamkeit gewohnt: Den Jurypreis in Sundance sowie vier Oscar-Nominierungen gab es 2011 für Graniks Sozialdrama "Winter's Bone", während Perry für sein schwarzhumoriges "The Colour Wheel" 2011 als neuer Indie-Star gefeiert wurde. Einfacher wurde es für die beiden US-Independent-Regisseure seitdem nicht, wie sie am Rande der Viennale erzählten.

Debra Granik und Alex Ross Perry sind positive Aufmerksamkeit gewohnt: Den Jurypreis in Sundance sowie vier Oscar-Nominierungen gab es 2011 für Graniks Sozialdrama "Winter's Bone", während Perry für sein schwarzhumoriges "The Colour Wheel" 2011 als neuer Indie-Star gefeiert wurde. Einfacher wurde es für die beiden US-Independent-Regisseure seitdem nicht, wie sie am Rande der Viennale erzählten.

"Man könnte meinen, gute Kritiken und Aufmerksamkeit helfen einem, seinen Film zu verkaufen, aber so ist es nicht", zeigte sich Perry ernüchtert. Anfang des Jahres feierte sein vierter Spielfilm, die bei der diesjährigen Viennale gezeigte Komödie "Listen Up Philip", beim Sundance Film Festival umjubelte Premiere. Trotz eines hochkarätigen Casts mit u.a. als launischem Schriftsteller sowie ausschließlich hymnischen Besprechungen in der Presse ließ das Interesse von möglichen Käufern auf sich warten.

"Filmverleihe interessiert es heute nicht mehr, ob dein Film gemocht wird. Zehn gute Kritiken nach 'Sundance' überzeugen niemanden davon, dass sie mit diesem Film nicht jede Menge investiertes Geld verlieren", sagt der 30-Jährige. Denn: "Ein beliebter Film ist deshalb noch nicht kommerziell lebensfähig."

Viennale-Veteranin

Granik hat Ähnliches erlebt. Während ihre Hauptdarstellerin aus "Winter's Bone", die damals noch unbekannte , seitdem zum Hollywoodstar aufgestiegen ist, hat es Granik seither schwer, eigenständige Projekte zu verwirklichen und einen Kinostart für ihren Nachfolgefilm, die außergewöhnliche Doku "Stray Dog" über einen Vietnam-Veteran und Biker, zu erwirken.

"Ich halte nichts von einem System, das einem Film den Stempel der Academy aufdrückt", so die 51-Jährige, deren Langfilmdebüt "Down to the Bone" 2004 bei der Viennale mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet wurde. "Dieser Oscar-Rummel hält genau zehn Sekunden an, und was hast du davon?" Einen Film für mehr Geld, aber entgegen ihrer Überzeugung zu machen, davon hält Granik nichts. "Mit einem großen Budget kommen zwar auch mehr Möglichkeiten, aber mit diesen Möglichkeiten kommen auch Einmischungen, denen ich mich nicht beugen will."

Laut Perry sei man mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem sich sämtliche Akteure voneinander entfernt haben und die Branche "aus dem Gleichgewicht" ist. "Irgendwie gab es 2005 eine Verschiebung", ist Perry überzeugt. "Die Leute, die Filme schaffen, sind heute nicht auf einer Wellenlänge mit denen, die die Filme dann verkaufen; Unternehmen, die Filme kaufen, denken anders als jene, die sie zeigen; und die, die sie zeigen, harmonieren nicht mit den Kunden, die dafür zahlen."

Große Firmen hätten sich nicht für "Listen Up Philip" interessiert, weil der Film "zu herausfordernd, zu intelligent" sei, kleinere wiederum könnten sich die Zusatzkosten, die bei Promo-Reisen bekannter Schauspieler wie Schwartzman anfallen, nicht leisten.

Kritik an Vertrieb

Auch die "mosaik-artige Vertriebslandschaft" habe im Laufe des vergangenen Jahrzehnts jenes Problem verstärkt, das Independent-Filmemacher schon immer hatten, sagt Granik. "Auch wenn es dir gar nicht um den großen Profit, sondern nur darum geht, als Filmemacher deinen Lebensunterhalt zu verdienen, stehst du vor der Frage, wer dein Publikum ist und wie und wo es deinen Film sieht. Jetzt, wo es so viele verschiedene Vertriebskanäle gibt und wo Filme teilweise für 99 Cent angeboten werden, woher bezieht der 'kleine' Filmemacher sein Einkommen?"

Eine Möglichkeit, seine eigenen Projekte zu realisieren, glaubte Perry nach der Aufmerksamkeit für sein hochgelobtes Debüt "IMPOLEX" (2009) sowie dem Nachfolger "The Colour Wheel" (2011) beim Bezahlsender HBO zu finden, der mit aufwendig produzierten TV- und Mini-Serien zunehmend dem Kino Konkurrenz macht. Doch Perrys Serienprojekt "The Traditions" sei nach einem Jahr Arbeit in der Versenkung verschwunden, weil die Entscheidungsträger die Initiative des Kreativteams, junge, TV-unerfahrene Regisseure mit Projekten zu betrauen, nicht mittragen wollte. "So ist das eben in Bürogebäuden mit 15 Stockwerken", sagte Perry, "wo in den Stockwerken 10 bis 15 die Entscheidungen getroffen werden, mit denen man in den Stöcken eins bis neun leben muss."

Problem Streaming

Auch Streaming-Plattformen wie Netflix, die Regisseuren ein großes Publikum versprechen und Nutzern Filme und Serien zu einem monatlichen Fixpreis als Abo anbieten, sind für Perry und Granik nicht nur verheißungsvoll. "Einerseits ist diese Art von demokratischer Rezeption spannend, andererseits frage ich mich, ob der Preis für den einzelnen Film dann irgendwann so gering ist, dass es sich niemand von uns mehr leisten kann, einen Film zu drehen", meinte Granik, die wie auch Perry das Problem in dem Überangebot sieht.

Indio"Es verstärkt einmal mehr die Bedeutung dessen, was in punkto Presse, Verleih und Marketing zwischen der Filmpremiere und der Kundenrezeption passiert", so Perry, denn: "Wenn mein Film als einer von 300 an einem Tag neu auf der Plattform auftaucht, kann der Nutzer entweder sagen: 'Oh, den wollte ich schon sehen, seitdem ich bei seiner Sundance-Premiere was darüber gelesen habe', oder: 'Oh, schon wieder so ein Indie-Film mit Schauspielern, die ich kenne, aber von dem ich noch nie gehört habe'."