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Italien entlässt berüchtigte Mafiabosse in Hausarrest

Heute Redaktion
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Rund 30 Mafiabosse, darunter auch richtige Schwerkaliber, wurden in Italien wegen der Ansteckungsgefahr mit Covid-19 aus dem Gefängnis entlassen und in den Hausarrest geschickt. Das ist nicht ungefährlich.

Italien ist von der Corona-Welle besonders schwer betroffen. Um die Ansteckungsgefahr in den chronisch überfüllten Gefängnissen zu entschärfen, wurden Strafen verkürzt und Häftlinge mit weniger schweren Vergehen in Hausarrest geschickt. Doch die Corona-Amnestie betrifft auch schwere Jungs: So wurde in den letzten Wochen rund 30 inhaftierte Mafia-Mitglieder in den Hausarrest entlassen – die meisten davon im hohen Alter und schwer krank, aber nicht alle.

Ein "Bin Laden"

Darunter ist etwa der verurteilte Camorra-Boss Pasquale Zagaria, der den Spitznamen "Bin Laden" trägt. Er galt als das "wirtschaftliche Hirn" des Kartells der Casalesi, eines Clans der neapolitanischen Camorra.

Der 60-jährige Zagaria war 2007 wegen Mafia-Verbrechen zu 20 Jahren Haft verurteilt worden und sass in Sassari auf Sardinien in Einzelhaft. Da er an Krebs erkrankt ist, entschied ein Gericht, dass seine gesundheitliche Versorgung in der Corona-Krise in der Strafanstalt nicht garantiert werden könne. Zagaria wurde jetzt von Sardinien zu Frau und Kindern in Brescia in der Lombardei geschickt – einem Corona-Hotspot des Landes.

Ein Mafiaboss von Palermo

Nach Hause darf auch der ebenfalls an Krebs erkrankte Mafiaboss von Palermo, Francesco Bonura (78). Der Gründer des Cosa-Nostra-Clans von Caltagirone war 2006 zu über 18 Jahren Haft verurteilt worden. In den 80ern war er fünf verschiedener Morde und einer "Lupara Bianca" (eine spurlos verschwundene Leiche) angeklagt, konnte sich aber lange aus der Affäre ziehen. Beobachter befürchten, dass er und viele andere in den Hausarrest entlassene Mafiosi schnell wieder Kontakt zum organisierten Verbrechen aufnehmen könnten. Seine Entlassung aus der Einzelhaft sei eine "nationale Schande", titelten italienische Medien.

Ein brutaler Geldeintreiber

Vincenzo Iannazzo (66), ein Boss der kalabrischen 'Ndrangheta, ebenfalls schwer krank, wurde letzte Woche in den Hausarrest nach Lamezia in Calabrien entlassen. Er war 2015 unter anderem wegen Erpressung, illegalen Waffenbesitzes und der Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung verurteilt worden. Dabei ging er bei seinen Schutzgelderpressungen so brutal vor, dass einige Unternehmer dem Boss Geld bezahlten, noch bevor er sie dazu aufforderte. Seine Anwälte hatten geltend gemacht, dass ihr Mandant im norditalienischen Gefängnis von Spoleto vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus nicht ausreichend geschützt sei.

Ein Verbindungsmann

Auch Rocco Santo Filippone (82) ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Seit 2006 saß der Verbindungsmann zwischen der sizilianischen Cosa Nostra und der 'Ndrangheta wegen der Ermordung von zwei Carabinieri sowie Bombenanschlägen in den 90ern ein. Letzte Woche wurde auch er in den Hausarrest entlassen – anders als seine Kollegen entschied das Gericht, dass Filippone "zu gebrechlich" sei, um eine Fussfessel zu tragen. Der Staatsanwalt, der den Mafiosi seiner Zeit verurteilt hatte, ist fassungslos und will gegen die Hafterleichterung vorgehen: Es gebe genug Beweise, wonach Filippone weiterhin Kontakt zur Cosa Nostra und der 'Ndrangheta habe, die er im Hausarrest wieder aktivieren könne.

Ein plötzlich entfallener Mafios-Passus

Die Hafterleichterungen für die Mafiabosse lösten in Italien einen Sturm der Entrüstung aus, von den Rechtsaussenparteien bis zu Opferverbänden. Die Regierung sei fahrlässig und gefährde die Sicherheit der Bürger, wenn sie Schwerkriminelle nach Hause verlege, so der Vorwurf. Die Regierung stellt sich auf den Standpunkt, dass wegen Corona in gewissen Fällen auch alternative Strafen infrage kämen. So sollten die notorisch überbelegten Gefängnisse nicht zu Infektionsherden werden.

Zu reden gab allerdings, dass ein Regierungsdekret die Mafiosi ursprünglich von Hafterleichterungen ausklammerte – ein Passus, der im Zirkularschreiben der Gefängnisbehörde dann aber weggefallen war, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt. Die weggefallene Ausnahme war ein gefundenes Fressen für die Anwälte der Mafiosi, die für ihre kranken Klienten jetzt erst recht Hafterleichterungen beantragten.

Bei Nitto Santapaola (81) zog dies jedoch nicht. Santapaola war in den 80er Jahren der unangefochtene Boss in Catania gewesen und wegen seiner Brutalität berüchtigt. Sein eigener Bruder sagte über ihn: "Er ist der grausamste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Adolf Hitler hat weniger Morde begangen als er. Nino brauchte das Morden". 1994 wurde Santapaola wegen zahlreicher Morde zu lebenslanger Haft verurteilt. Jetzt wies das Gericht in Mailand das Begehren um eine Hafterleichterung ab. Denn: In seiner lebenslanger Einzelhaft werde sich der 82-Jährige kaum mit dem Coronavirus anstecken.