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Janukowitsch ist gestürzt, Timoschenko tritt zu Wahl...

Heute Redaktion
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Bild: ANDREW KRAVCHENKO (EPA)

Stunde Null in Kiew: Im ukrainischen Machtkampf riss das Parlament die Kontrolle an sich. Präsident Viktor Janukowitsch verweigerte zwar den Rücktritt, aber er hat kaum noch Rückhalt. Seine Erzfeindin Julia Timoschenko kam aus der Haft frei - und will Staatschefin werden. In Kiew kontrollierte die Opposition alle wichtigen Objekte, die Sicherheitskräfte gelobten, nicht mehr einzugreifen.

- und will Staatschefin werden. Am Abend präsentierte sie sich dem Volk. In Kiew kontrollierte die Opposition alle wichtigen Objekte, die Sicherheitskräfte gelobten, nicht mehr einzugreifen.

Janukowitsch verweigert Rücktritt

Das ukrainische Parlament hat die Entlassung der Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko aus der Haft in einer Klinik in Charkow (Charkiw) angeordnet und den Präsidenten Viktor Janukowitsch für abgesetzt erklärt. Das Abgeordnetenhaus in Kiew kündigte am Samstag für den 25. Mai die Wahl eines neuen Staatschefs an. Janukowitsch erklärte die Beschlüsse für "gesetzwidrig". Er werde nicht zurücktreten und auch nicht das Land verlassen, sagte er im TV.

Parlament übernahm die Macht  

Das Parlament erklärte, Janukowitsch könne seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Zeitgleich mit der Europawahl am 25. Mai solle daher eine vorgezogene Präsidentschaftswahl stattfinden. Alexander Turtschinow wurde zum Parlamentspräsidenten gewählt, Arsen Awakow zum Innenminister. Beide sind Vertraute Timoschenkos. Turtschinow teilte später mit, Janukowitsch habe ein Flugzeug nach Russland nehmen wollen, sei aber daran gehindert worden. Er halte sich nahe der östlichen Stadt Donezk "versteckt".

Heer will nicht in Chaos eingreifen  

Angesichts der Entwicklungen zweifelten Verantwortliche mehrerer prorussischer Regionen im Osten und Süden der Ukraine die Legitimität des Parlaments an. Die Vertreter örtlicher Regierungen und Parlamente beklagten in Charkow eine "Lähmung der Zentralmacht". Die ukrainischen Sicherheitskräfte inklusive der Armee hatten zuvor Janukowitsch die Gefolgschaft gekündigt. Der Osten der Ukraine gilt als überwiegend russlandfreundlich, der Westen als vornehmlich proeuropäisch.

Russland rückte von Machthaber ab  

Janukowitschs Schutzmacht Russland rückte am Samstagnachmittag erstmals öffentlich von ihm ab. Die jüngsten Ereignisse im Nachbarland seien Beweis für den Machtverlust des Staatschefs, meinte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Alexej Puschkow, in Moskau. Außenminister Sergej Lawrow warf der Opposition vor, gegen das am Freitag geschlossene Abkommen zu verstoßen. Er forderte Deutschland, Polen und Frankreich auf, für dessen Einhaltung zu sorgen.

Freilassung Timoschenkos begrüßt  

Noch am Freitag hatten sich Janukowitsch und die Oppositionsführer unter Vermittlung des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seinen Kollegen aus Polen und Frankreich, Radoslaw Sikorski und Laurent Fabius, auf eine Übergangsregierung und eine Verfassungsänderung geeinigt. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) begrüßten die Freilassung Timoschenkos.

Obama und Putin in Alarmbereitschaft 

US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Wladimir Putin berieten am Samstagnachmittag in einem Telefongespräch über die Krise in der Ukraine. Sie seien sich einig gewesen, dass den Vereinbarungen nun schnell Taten folgen müssten, sagte ein ranghoher US-Regierungsvertreter. Das Außenministerium in Moskau erklärte später, die ukrainische Opposition habe keine einzige ihrer Verpflichtungen erfüllt und neue Forderungen aufgestellt.

"Tag der offenen Tür" im Präsidentenpalast  

Janukowitschs Residenz Meschigorje bei Kiew war am Samstag verlassen, Wachleute ließen Schaulustige zu einem "Tag der offenen Tür" herein. "Ein trauriges Ende für einen Präsidenten", meinte der russische Staatsduma-Abgeordnete Puschkow in Moskau angesichts der TV-Bilder.

"Selbstverteidigungskräfte" auf den Straßen  

Timoschenko verließ am frühen Abend nach mehr als zweieinhalb Jahren das Gefängnis in Charkow und landete bald darauf in Kiew, wo die Regierungsgegner die Kontrolle übernommen haben. "Selbstverteidigungskräfte" in Räuberzivil mit Schutzhelmen und erbeuteten Polizeischilden schützten die wichtigsten Objekte wie Parlament, den Regierungssitz und die Präsidialkanzlei vor Übergriffen. Die Sicherheitsorgane des Innenministeriums liefen zur Opposition über. Die Armee erklärte, sie werde sich nicht in den Machtkampf einmischen.

Timoschenko kandidiert bei der Wahl  

Timoschenko erklärte, sie wollte bei der nächsten Präsidentenwahl kandidieren. Im Februar 2010 hatte sie die Präsidentenwahl gegen Janukowitsch verloren. "Die Diktatur ist gestürzt", verkündete die 53-Jährige. EU-Parlamentschef Martin Schulz nannte die Freilassung der Ex-Regierungschefin einen "historischen Augenblick für die Ukraine und für Europa". Zur gleichen Zeit laufen in der EU von 22. bis 25. Mai die Europawahlen. Oppositionspolitiker Vitali Klitschko, der den Widerstand auf dem Maidan in Kiew monatelang angeführt hatte, sprach von einem "politischen K.o." für Janukowitsch. Am Maidan wurde Timoschenko am späten Samstagabend wie eine Volksheldin empfangen.

Übergangsregierung wurde ernannt  

Die Oberste Rada in Kiew wählte mit großer Mehrheit den früheren Vizeregierungschef Alexander Turtschinow zum neuen Parlamentspräsidenten. Er ist ein Vertrauter Timoschenkos. Der bisherige Rada-Chef Wladimir Rybak hatte zuvor seinen Rücktritt erklärt. Turtschinow soll bis zur Ernennung einer Übergangsregierung die Kabinettsarbeit steuern. Zum Innenminister wurde der Oppositionelle Arsen Awakow bestimmt, Generalstaatsanwalt Viktor Pschonka hingegen entlassen. Viele TV-Sender übertrugen die Sitzung.

Janukowitschs Kabinett auf der Flucht  

Experten wiesen darauf hin, dass der Staatschef trotz des Parlamentsbeschlusses formal weiter im Amt sei. Ein juristisch korrektes Amtsenthebungsverfahren müsse mehrere Hürden überwinden. Mehrere Kabinettsmitglieder sollen ins Ausland geflohen sein, darunter der vom Parlament abgesetzte Innenminister Witali Sachartschenko.

"Maidan kontrolliert ganz Kiew"  

Bei blutigen Zusammenstößen von Regierungsgegnern mit der Polizei in Kiew waren in den vergangenen Tagen auf beiden Seiten mindestens 77 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. "Wir fordern den sofortigen Rücktritt des Präsidenten", sagte der Kommandant des Unabhängigkeitsplatzes (Maidan), Andrej Parubij. "Jetzt kontrolliert der Maidan ganz Kiew." In westlichen Regionen hatten Regierungsgegner schon zuvor die Kontrolle über Verwaltungsgebäude übernommen.