Eine junge Bettlerin ist am Mittwoch im Wiener Straflandesgericht wegen versuchten gewerbsmäßigen schweren Betrugs zu sechs Monaten bedingter Haft verurteilt worden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Christof Dunst, für den keine Tatbestandsmäßigkeit gegeben war, erbat Bedenkzeit.
Die 20-Jährige hatte Anfang Juni einen betagten Mann angesprochen, indem sie ihn von der Straße aus durch das geöffnete Fenster seiner im Erdgeschoß gelegenen Wohnung anlächelte: "Darf ich zu Ihnen kommen?" Der 90-Jährige verneinte, ging aber zu der jungen Frau und ließ sich vor dem Haus von ihr erklären, es gebe einen Todesfall in ihrer Familie und sie habe kein Geld zum Heimfahren. Mit der Begründung, sie habe ihm leidgetan, weil sie weinte, gab er ihr 100 Euro.
Am nächsten Tag erschien die Frau wieder vor dem Fenster des an Alzheimer leidenden Mannes. Diesmal erzählte sie, sie werde delogiert, weil sie die Miete nicht bezahlen könne. Sie erhielt 110 Euro, wurde aber wenig später verhaftet: Nachbarn des 90-Jährigen hatten die Szene beobachtet und seine im selben Haus wohnhafte Tochter alarmiert. Die Bettlerin - eine gebürtige Wienerin - wanderte für fünf Tage in U-Haft. Das gesamte Geld, das bekommen hatte, wurde bei ihr sichergestellt.
Opfer erlitt wegen Vorfalles Nervenzusammenbruch, jetzt in Lebensgefahr
"Die Dame wäre wiedergekommen. Ich bin wirklich entsetzt, dass man alte Leute so ausnimmt", schimpfte die Tochter des 90-Jährigen nun im Zeugenstand. Ihr Vater habe "aufgrund dieses Desasters einen Nervenzusammenbruch bekommen und liegt seither im Spital. Er ist in Lebensgefahr", schluchzte die Frau.
Der Verteidiger wies daraufhin, das bei seiner Mandantin durchaus eine Notsituation vorlag, als sie um Geld gebeten hatte: Die bei ihrer Mutter wohnhafte 20-Jährige war von dieser rausgeworfen worden, weil die Mutter mit dem Freund des Mädchens nicht einverstanden war. Zudem hatte die junge Frau gerade ihren Job als Reinigungskraft verloren, weil ihre Firma in den Konkurs ging.
Erfundene Geschichten "bei Bettlern und Anwälten regelmäßig der Fall"
"Insofern lag keine Täuschungshandlung vor. Sie hat das Geld ja wirklich dringend gebraucht", argumentierte der Anwalt. Die Geschichten, die sie dem 90-Jährigen täuschte, hätten zwar nicht ganz gestimmt, das sei bei Bettlern und anderen Berufsgruppen aber regelmäßig der Fall. "Die Hälfte der Wiener Strafverteidiger müsste dann auch hier sitzen, weil sie irgendwelche G'schichteln erzählen", stellte Dunst fest.