Die Bezahlkarte gilt seit 1. November 2024 in Niederösterreich und betrifft 1.035 Asylwerber – im November wurde das Modell flächendeckend in NÖ ausgerollt.
Nunmehr ohne Bargeld dürfen Asylwerber nur in bestimmten Geschäften einkaufen und sie bestreiten ihr tägliches Leben mit 5,71 Euro, kritisiert die Plattform #zusammenHaltNÖ. Erfahrungsberichte mit der Bezahlkarte würden zeigen, dass die Karte im Alltag Probleme verursache, weil es für Asylwerber schwieriger geworden sei, tägliche Bedürfnisse abzudecken, weil sie etwa nicht mehr im Sozialmarkt einkaufen können, öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr umfassend nutzen können und Medikamente nur eingeschränkt bekommen.
In mehreren Gesprächen mit Asylwerbern schildern diese ihre Erfahrungen mit der neuen Bezahlkarte – die Kritik ist dabei unterschiedlich ("Heute" berichtete).
Ein Syrer etwa schildert, dass das Geld, das täglich auf die Karte gebucht wird, für einen Tag nicht ausreiche – zudem sei sie auf bestimmte Geschäfte beschränkt. Vor allem sei es ein großes Problem, von seinem Wohnort nach St. Pölten zu fahren. Hier habe er Freunde und er müsse hier auch einen Deutschkurs besuchen. In Wien und St. Pölten habe er zudem Termine für sein Asylverfahren: "Leider können wir kein Ticket kaufen."
Ein ähnliches Problem mit Tickets erzählt ein 28-Jähriger aus Afghanistan: Auch seine Deutschkurs-Termine in St. Pölten seien schwierig zu absolvieren, weil "ich keine Fahrkarte kaufen konnte". Oft fühle er sich wie verloren, weil er keine Freunde besuchen könne: "Ich kann nichts tun und nicht arbeiten."
Eine Iranerin (30) schildert ein anderes Problem. Sie ist gesundheitlich angeschlagen (Schwierigkeiten mit dem Darm), für sie ist es mühsam an Medikamente in der Apotheke zu kommen.
Luise Karner, Verein "Miteinander Lilienfeld", sagt zur Einführung der Bezahlkarte: „In Lilienfeld und Traisen wurde in je einer Unterkunft die Bezahlkarte mit Anfang Juni 2024 im Probelauf implementiert. Unserer Meinung war die Umsetzung überstürzt. Die Menschen waren zwar von den Sozialarbeitern der Diakonie im Vorfeld informiert worden. Sie waren aber verunsichert. Das gesamte System schien fehleranfällig. Die Menschen bekamen ihren Betrag nicht zeitgerecht, sondern Tage verspätet. Unser Verein hat in dieser Anfangsphase die Betroffenen mit kleinen, finanziellen Beträgen für Essen und alltäglichen Bedarf unterstützt. Inzwischen, nachdem das System seit 4.11.2024 niederösterreichweit eingeführt ist, scheint es einigermaßen zu funktionieren. Trotzdem hat dieses System weiterhin grundsätzliche Mängel."
Die Plattform #zusammenHaltNÖ hat mehrere Vorschläge: Die Ausweitung der Bezahlkarte auf Sozialmärkte und kleine Geschäfte und die Karte sollte in Apotheken sowie für Öffi-Tickets genutzt werden können.
Der für Asyl zuständige Landesrat Christoph Luisser (FPÖ) sagte gegenüber dem "ORF NÖ" zur Kritik der NGO: "Uns ist es wichtig, klarzustellen, dass unser Fokus auf der Unterscheidung zwischen tatsächlich Hilfsbedürftigen und jenen liegt, die unsere Sozialsysteme ausnutzen. In diesem Zusammenhang erfüllt die Sachleistungskarte genau ihren Zweck. Unser Ziel ist und bleibt es, in Niederösterreich die illegale Zuwanderung in das Sozialsystem zu verhindern. Tatsächliche Flüchtlinge (vor Verfolgung) sind dankbar für Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung."
Die Bezahlkarte für Asylwerber mache das System der Grundversorgung effizienter und gerechter, denn sie stelle sicher, dass jene Menschen mit Sachleistungen unterstützt werden, die unsere Unterstützung brauchen, heißt es seitens der ÖVP Niederösterreich. "Wer Schutz sucht, der sucht Sicherheit, aber sicherlich kein Bargeld oder ein bestimmtes Geschäft. Insofern ist auch die Kritik daran, dass man mit der Bezahlkarte nicht in arabischen Geschäften einkaufen könne, völlig absurd!", so VPNÖ-Landesgeschäftsführer Matthias Zauner.
Alexandra Eichenauer-Knoll vom Verein Herzverstand in Hainfeld schildert zwei Beispiele vom Verlust der Grundversorgung: "Wir hatten zwei junge Menschen, deren Abschiebung aufgrund ihrer Geschichte eigentlich unmöglich war. Trotzdem wurden negative Bescheide ausgestellt. In beiden Fällen absolvierten die Betroffenen gerade eine Ausbildung und es konnte zumindest eine Wohnlösung gefunden werden. Unser Verein übernahm die Grundversorgung über mehrere Monate, ich gab ihnen 50 Euro pro Person und Woche."
Herr A. aus Afghanistan ist 24 Jahre alt: "Ich bin 2019 nach Österreich gekommen und habe bis Juni 2021 den Hauptschulabschluss gemacht. Im August 2021 bekam ich wieder ein "Negativ" vom Bundesverwaltungsgericht (BVWG). Am 15. August 2021 haben die Taliban Kabul eingenommen. Daraufhin wurden alle Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt. Trotzdem bekam ich ab September 2021 keine Grundversorgung. Im gleichen Monat begann ich in St. Pölten die Ausbildung zum Pflegeassistenten und Fachsozialbetreuer mit dem Schwerpunkt Altenpflege. Zum Glück konnte ich bei Alexandra und Franz in Hainfeld wohnen. Franz hat mir das Schulgeld bezahlt und auch Taschengeld gegeben. Ab März 2022 bekam ich wieder Grundversorgung. Heute arbeite ich in Wien als Hauskrankenpfleger beim Wiener Roten Kreuz."
Herr H. aus Ägypten ist 36 Jahre alt und lebt seit Herbst 2022 in Österreich. Er hat Tourismus-Management studiert, spricht Deutsch auf A2-Niveau, Englisch und Arabisch, hilft ehrenamtlich beim Fremdenverkehrsverein und beim Roten Kreuz (Tafel Österreich) und war auch bei gemeinnützigen Arbeiten in der Gemeinde engagiert. Er erhielt im April 2024 einen zweiten negativen Bescheid, ohne vorher zu einem Interview geladen worden zu sein, heißt es seitens der NGO. Es wurde jedoch dem weiteren Antrag, wieder in das Asylverfahren aufgenommen zu werden (sogenannte aufschiebende Wirkung) stattgegeben. Seit 1. September 2024 bekommt er wieder Grundversorgung.
Er berichtet: "Als ich die Entscheidung über den Ausschluss aus dem Grundversorgungssystem einschließlich Krankenversicherung und Unterbringung erhielt, fühlte ich, dass alles rund um mich dunkel wurde. Ich wusste nicht, wohin ich gehen oder was ich tun sollte. Ich bekam Zuspruch durch Menschen vom örtlichen Verein und sie halfen mir auch finanziell bei meinem Einspruch gegen den negativen Bescheid. Ich konnte vier Monate privat bei Mitgliedern des Vereins wohnen. Sich obdachlos zu fühlen, ist ein sehr schlechtes und entmutigendes Gefühl. Aber es gab Hoffnung durch die Unterstützung meiner österreichischen Freunde. Am Ende wurde meine Berufung angenommen und ich bin wieder in die Grundversorgung."