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Kein Zölibat und weiblicher: So wird die Kirche

Heute Redaktion
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"Die Kirche wird in 20 Jahren weiblicher, jesuitischer und spiritueller sein - oder sie wird nicht mehr sein", davon sind Bestsellerautor Andreas Salcher ("Der talentierte Schüler und seine Feinde") und Johannes Huber, Arzt, Theologe und ehemals Sekretär von Kardinal Franz König, überzeugt. In ihrem Buch "Alles oder Nichts. Der große Wurf der Päpste", zeigen sie, wie sich die Katholische Kirche bis zum Jahr 2035 verändern wird.

"Die Kirche wird in 20 Jahren weiblicher, jesuitischer und spiritueller sein - oder sie wird nicht mehr sein", davon sind Bestsellerautor Andreas Salcher ("Der talentierte Schüler und seine Feinde") und Johannes Huber, Arzt, Theologe und ehemals Sekretär von Kardinal Franz König, überzeugt. In ihrem Buch "Alles oder Nichts. Der große Wurf der Päpste", zeigen die beiden, wie sich die Katholische Kirche bis zum Jahr 2035 verändern wird. 

Die Autoren saugen sich ihre für Katholiken teils radikalen Thesen nicht aus den Fingern. Stattdessen haben die beiden Hintergrundgespräche mit 80 Kirchen-Insidern geführt.

Eine der ersten großen Veränderungen werde zum Beispiel der Fall des Zölibats sein. Kaum jemand der von ihnen Interviewten glaube im Vatikan, dass es in 15 Jahren den Zölibat noch geben werde. Papst Franziskus wird dringend notwendige Veränderungen durchboxen oder zumindest anstoßen. Veränderungen, ohne die die Kirche keine Chance auf Überleben hat. 

Alles oder Nichts

Der große Wurf der Päpste

Andreas Salcher und Johannes Huber

ecowin Verlag

226 Seiten

Euro 21,95 (gebundene Ausgabe), Euro 17,99 (eBook)

Seit 19. September im Handel

Im Interview verriet Salcher Heute.at, wie der Islamische Staat Papst und Kirche beeinflusst und ob die Massen an Flüchtlingen, die momentan nach Europa kommen eine Gefahr für unsere Kultur bedeuten: 

 

Heute.at: Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Massenflucht aus Ländern wie Syrien, Irak, Afghanistan, wo die Menschen muslimisch geprägt sind, auf unsere (Glaubens-)Kultur auswirken?

 
Andreas Salcher: Eine der Kernthesen unseres Buches ist, dass die Welt in den nächsten 20 Jahren nicht von der Auseinandersetzung zwischen dem Islam und dem Christentum, sondern vom Krieg "Fundamentalismus gegen Aufklärung" geprägt sein wird. Dieser Krieg findet innerhalb und zwischen den Religionen statt und beherrscht auch die politische Auseinandersetzung, wie die aktuelle Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen in Österreich zeigt.

 

Heute.at: Wie werden fundamentalistische Organisationen, wie der "Islamische Staat" unsere Gesellschaft verändern? Wird es etwa zu radikaleren Gegenströmungen innerhalb der katholischen Kirche kommen? Oder ist ein Erstarken der Kirche als Folge denkbar?

Salcher: Auch, wenn es derzeit nach dem Gegenteil aussieht, bin ich überzeugt davon, dass der Fundamentalismus an seinen Wurzeln erkranken wird. Drei Gegenkräfte werden immer wirksamer:

1. Der technologische Fortschritt, der die Mauern um die archaischen Stammesgesellschaften brüchig macht.

2. Die Landflucht: Fundamentalismus funktioniert am besten in dörflich patriarchalischen Gesellschaften. Die Welt "verstädterte" aber.

3. Die Bildung der Frauen: Das steigende Bildungsniveau der Menschen in den Städten entwickelt sich zum stärksten Gift gegen den Fundamentalismus. Der Analphabetismus geht auch in den islamischen Ländern zurück. Gebildetere Frauen erziehen ihre Töchter aufgeschlossener und diese lassen sich auch immer weniger in das für sie bis dahin einzig mögliche Lebenskonzept der Mutter, Köchin und Putzfrau zwingen.

Die Mehrheit der Muslime hatte schon lange erkannt, dass die Errichtung von mittelalterlichen Kalifaten Hirngespinste größenwahnsinniger Despoten sind, deren versuchte Durchsetzung primär das Blut muslimischer Männer, Frauen und Kinder kostet. Mit permanentem Terrorismus kann man einen Staat zerstören, ihn aber nicht auf Dauer regieren.

 

Heute.at: Ist zu befürchten, dass ein Papst wie Franziskus, zu "milde" ist als Gegen-Konzept für die radikalen islamischen Strömungen?

Salcher: Für die fundamentalistischen Islamisten bedeutete Franziskus eine große Bedrohung, weil er nicht als Feindbild des "Kreuzritters des christlichen Abendlandes" eignet, sondern sich im Gegenteil glaubhaft für die Versöhnung zwischen den Religionen einsetzt. Daher schrecken sie auch nicht vor seiner Ermordung zurück, wie der offenbar verhinderte Attentatsversuch 2015 im Jänner auf den Philippinen zeigt. Franziskus weiß, wie fatal es wäre, dem aggressiven Islamismus ein fundamentalistisches Christentum gegenüberzustellen.

 

Heute.at: Ist die schnelle Revolution im Bereich Technik ein "Feind" für spirituelle Konzepte, oder treibt sie die Menschen eher in Religion und Spiritualität?

Salcher: Das ständige Wachstum des menschlichen Gehirns und Bewusstseins ist ein Faktum. Das wird in den nächsten Jahren zu heute unvorstellbaren wissenschaftlichen Durchbrüchen, wie der Besiedelung des Mars, der Schaffung von künstlichen Leben oder einer Verdoppelung unserer Lebenserwartung führen. Das Einzige, was der technische Fortschritt nicht abdecken kann, ist das gerade im digitalen Zeitalter gewachsene spirituelle Bedürfnis des Menschen, der Wunsch nach tiefen seelischen Erlebnissen und Berührungen. Dort liegt die Chance für die Kirche. Sie muss einen Ausgleich mit den Erkenntnissen der Wissenschaft finden, ohne ihre Mystik und Transzendenz zu opfern. Die Kirche wird in 20 Jahren weiblicher, jesuitischer und spiritueller sein – oder sie wird nicht mehr sein.

 

Heute.at: Bis jetzt hat der Papst zum Thema muslimische Radikalisierung keine starken Akzente gesetzt. Als aktiver Vermittler sieht man ihn derzeit nicht. Grund? Kommt da vielleicht noch was?

Salcher: So weit ich weiß, tut der Papst alles, um verfolgten Christen in den Krisenregionen zu helfen und sie nicht zu gefährden. Doch wann immer sich eine Religion der Angst bemächtigte, greift jedes rationale Argument zu kurz. Die Kreuzritter haben die Botschaft von Jesus in der Bergpredigt  "Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen" während der Kreuzzüge mit dem Schlachtruf "Gott will es" in ihr blutiges Gegenteil verkehrt.

Es ist viel Blut geflossen, bis das Christentum diesen Irrweg erkannt hat. Ein Prozess, den manche islamische Länder, die Christen mit dem Tod bedrohen, wenn sie ihren Glauben ausüben, noch vor sich haben. Es steht zu hoffen das diese Entwicklung keine Jahrhunderte dauern wird. Alle Religionsführer, selbstverständlich auch Franziskus, tragen die Verantwortung, klarzustellen, dass es in keiner Religion dafür eine Rechtfertigung geben kann, Verbrechen wie Mord, Barbarbei und Unterdrückung Andersgläubiger oder Nichtgläubiger zu begehen.