Österreich

Kinderpsychiater führten sich auf wie Terroristen

Heute Redaktion
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Nach dem Bekanntwerden von zweifelhaften Therapiemethoden an der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation hat die medizin-historische Kommission ihren Bericht vorgelegt - mit einem vernichtenden Urteil über die verstorbene Psychiaterin Maria Nowak-Vogl, die von 1954 bis 1987 die Station leitete.

Nach dem Bekanntwerden von  zweifelhaften Therapiemethoden  an der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation hat die medizin-historische Kommission ihren Bericht vorgelegt - mit einem vernichtenden Urteil über die verstorbene Psychiaterin Maria Nowak-Vogl, die von 1954 bis 1987 die Station leitete.

Man habe festgestellt, so der Zeithistoriker Horst Schreiber. Auf der Station ist "sexualisierte, psychische, physische und strukturelle Gewalt" ausgeübt worden. Ein "Klima der Bedrohung" habe geherrscht, die Kinder wurden beschimpft, verhöhnt, gedemütigt, erniedrigt, kalt abgeduscht und geschlagen. Sie wurden auf der Kinderbeobachtungsstation als "sexuell gestörte Wesen" abgestempelt und "mitschuldig gesprochen", so Schreiber. Anschließend seien sie über Gutachten Nowak-Vogls Kinderheimen zugeteilt worden.

Über 100 Fälle pro Jahr

Der Vorsitzende der Kommission, Günther Sperk, berichtete, dass in den 33 Jahren 3.650 Krankengeschichten von Kindern aus Tirol, Vorarlberg, Südtirol, Salzburg, Bayern oder anderen Regionen wie der Schweiz dokumentiert sind. 88 frühere Patienten der Beobachtungsstation hätten sich bisher bei der Opferschutzstelle des Landes gemeldet, 66 Betroffene bei der Telefonhotline der Medizinischen Universität Innsbruck. Nowak-Vogl sei Teil eines "landesweiten Systems" gewesen.

Versuchskaninchen für ein Medikament

Schreiber berichtete von "schmerzhaften Injektionen" und Verabreichungen zur Disziplinierung. Auch das Tiermedikament Epiphysan ist verabreicht worden. Nowak-Vogl verwendete es zur Behandlung von "Hypersexualität". Sie wollte insbesondere das sexuelle Verhalten der Kinder kontrollieren. Der Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger sprach von einem "völlig sinnlosen Einsatz" von Epiphysan. Besonders verwerflich sei, dass Nowak-Vogl die Verabreichung als Studie mit ihr anvertrauten, schutzlosen Kindern durchgeführt habe. Nebenwirkungen habe das Mittel keine ausgelöst.

Ohne jede Kontrolle agiert

Die Leiterin der Kinderbeobachtungsstelle habe über Jahrzehnte eine "Macht-und Schlüsselstellung" innerhalb der regionalen Fürsorgeerziehung und Kinderpsychiatrie innegehabt. Sie sei "exklusive Gutachterin und Behandlerin" der als schwierig geltenden Heim- und Pflegekindern, vorwiegend aus unteren Schichten, gewesen, erklärten die Verantwortlichen. Nowak-Vogl habe eine "umfassende Deutungsmacht" besessen. Die Politik habe keine "irgendwie geartete Kontrolle" ausgeübt, kritisierte Historiker Schreiber.

Die Kommissionsverantwortlichen kündigten unterdessen eine Fortsetzung der Forschungsarbeiten an. Man stehe in Kontakt mit öffentlichen Fördergebern, das Land Tirol, die Med-Uni sowie die Universität Innsbruck würden sich daran beteiligen.