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Kosovo-Experte sagt, es "kann ganz unangenehm werden"

Im Kosovo ist es zur gewaltsamen Konfrontation zwischen serbischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Ein Experte schätzt nun die Lage ein.

Wolfgang Petritsch, ehemaliger EU-Sonderbeauftragter für den Kosovo, in der ORF-"ZIB2".
Wolfgang Petritsch, ehemaliger EU-Sonderbeauftragter für den Kosovo, in der ORF-"ZIB2".
Screenshot ORF

Ethnische Serben im Norden des Kosovos haben sich am Montag Zusammenstöße mit KFOR-Truppen geliefert. Sie versuchten, die Kontrolle über ein örtliches Regierungsgebäude zu übernehmen. Zuvor war es bereits zu Auseinandersetzungen mit der kosovarischen Polizei gekommen. Die Polizei teilte mit, Serben hätten sich am Morgen in den Gemeinden Zvecan, Leposavic und Zubin Potok versammelt. In Zvecan hätten sie versucht, sich mit Tränengas gewaltsam Zugang zu verschaffen. Die Polizei habe mit Tränengas reagiert.

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    Am Freitag kam es im Norden Kosovo zu einer Gewalt-Eskalation!
    Am Freitag kam es im Norden Kosovo zu einer Gewalt-Eskalation!
    STRINGER / AFP / picturedesk.com

    Bei den Zusammenstößen sind zahlreiche Soldaten der Nato-geführten Kosovo-Schutztruppe KFOR verletzt worden. Mehrere Uniformierte aus Italien und Ungarn erlitten in der Ortschaft Zvecan Knochenbrüche und Verbrennungen, teilte das KFOR-Kommando am Montagabend in Pristina mit. Das italienische Verteidigungsministerium sprach in einer Mitteilung von 14 verletzten Italienern des KFOR-Kontingents. Auch 20 ungarische KFOR-Soldaten seien unter den Verletzten, schrieb das Budapester Nachrichtenportal "hvg.hu" unter Berufung auf diplomatische Kreise. Seitdem ist die Lage angespannt.

    "Heißer Konflikt" statt "kaltem Frieden"

    Wolfgang Petritsch, ehemaliger EU-Sonderbeauftragter für den Kosovo, kennt die Brisanz der Lage wie kaum ein anderer. Und er war am späten Freitagabend zu Gast in der "ZIB2" bei ORF-Moderatorin Marie-Claire Zimmermann. Die Situation sei "sehr beunruhigend", so Petritsch, "der unmittelbare Anlass" sei die eine Seite, die Länge des Konflikts ohne Lösung sei aber "das eigentlich Bedauerliche". Petrisch selbst hatte zur Jahrtausendwende damit gerechnet, dass es auf lange Sicht einen "kalten Frieden" geben werde, man habe jetzt aber einen "heißen Konflikt". Dass es zu einem tatsächlichem Krieg kommen könnte, glaube er aber nicht, so Petritsch. Die Probleme seien aber eine Abwanderung junger Menschen und Protest-Eskalationen.

    Er sehe nicht, dass sich ein Krieg wie in der Ukraine bilden könnte, so Petritsch, sehr wohl aber einen "Nebenschauplatz, der ganz unangenehm werden kann". Man müsse darauf achten, dass man eine Blockbildung vermeide, weil das auch "eine willkommene Ablenkung" für Moskau sein könne, so Petrisch. Der scheinbar "endlose Konflikt" führe dazu, dass sich eine "Ökonomie der Krisen" entwickelt habe. Nur ein Problem sei etwa, dass der "längst überfällige" Gemeindeverband noch immer nicht entstanden sei, die Umsetzung bisher gescheitert sei und Pristina keine Vorschläge auf den Tisch gelegt habe. Der aktuelle Premierminister scheine auf Blockade zu setzen, das spiele Serbien in die Karten, so Petritsch. 

    Tränengas und Blendgranaten

    Zurück zu den Entwicklungen im Kosovo: KFOR-Solodaten riefen am schlimmsten Ausschreitungstag die Serben auf, den Weg für zwei Fahrzeuge der kosovarischen Spezialpolizei freizumachen. Dann hätten die Soldaten Tränengas und Blendgranaten eingesetzt, um die Beamten in den Fahrzeugen zu schützen und die Protestierenden zu vertreiben, erklärten Augenzeugen und örtliche Medien. Die ethnischen Serben hätten daraufhin mit Steinen und anderen Objekten geworfen. Ein Fahrzeug sei in Brand geraten. 

    In den vier Gemeinden waren im April vorgezogene Kommunalwahlen abgehalten worden, die von ethnischen Serben grösstenteils boykottiert wurden. Gewählt wurden nur ethnische Albaner oder Vertreter einer kleineren Minderheit. Im Norden des Kosovos bilden ethnische Serben eine Mehrheit.

    Neugewählte sollten Gebäude nicht betreten

    Angehörige dieser Mehrheit versuchten vergangene Woche, neugewählte Vertreter daran zu hindern, Stadtverwaltungsgebäude zu betreten. Die Polizei feuerte Tränengas ab, um die Menschenmenge zu vertreiben. Bei Zusammenstößen am Freitag wurden mehr als ein Dutzend ethnische Serben und fünf Angehörige der kosovarischen Polizei verletzt. Die USA und die EU warfen der kosovarischen Regierung vor, sich mithilfe der Polizei Zugang zu den Gebäuden verschafft zu haben.

    Serben fordern einem ihrer Politiker aus dem Norden des Kosovo zufolge den Rücktritt der neuen Bürgermeister, die "illegale und unrechtmäßige Sheriffs" seien. Zudem solle die Spezialpolizei die Gegend verlassen, sagte der örtliche Politiker Goran Rakic. Die Forderungen seien der von der Nato angeführten Kosovo-Truppe KFOR und Botschaften des Auslands übermittelt worden.

    KFOR ruft zu Friedensdialog auf

    Die Polizei und KFOR beschützten am Montag die Stadtverwaltungsgebäude in den vier Gemeinden. KFOR teilte mit, die Präsenz vor Ort sei verstärkt worden, um für ein sicheres Umfeld zu sorgen. Die Truppe rief die Konfliktparteien auf, keine Eskalation zu verursachen. Die Regierungen des Kosovos und Serbiens sollten sich an einem von der EU angeführten Dialog beteiligen, um auf Frieden hinzuarbeiten, hieß es.

    Der Kosovo und Serbien sind seit langem verfeindet. Der Kosovo hatte sich 2008 für unabhängig erklärt. Die serbische Regierung erkennt das nicht an. Das serbische Militär wurde am Freitag an der Grenze zum Kosovo in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.

    Kritik von serbischer Ministerpräsidentin

    Die serbische Ministerpräsidentin Ana Brnabic kritisierte den internationalen Umgang mit den Ereignissen im Kosovo. Die KFOR schütze nicht die Menschen, sondern diejenigen, die die Macht an sich gerissen hätten – offenbar eine Anspielung auf die neuen Bürgermeister. "Aber wir müssen den Frieden schützen", sagte sie.

    Der serbische Verteidigungsminister Milos Vucevic teilte mit, das Militär werde bereit sein, um "jede Aufgabe und jeden Befehl zu erfüllen". Er hoffe auf eine politische Lösung. Er warf der KFOR vor, "die Polizei vor unbewaffneten Menschen" zu schützen.

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