Klimaschutz

Kromp-Kolb: "Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und tun"

Für Pessimismus sei es zu spät, sagt Forscherin Helga Kromp-Kolb im "Heute"-Interview. Klimaschutz gelinge nur dann, wenn alle an einem Strang ziehen.

Lydia Matzka-Saboi
Die Pionierin der Klimaforschung, Helga Kromp-Kolb, spricht im großen <em>"Heute"</em>-Interview über Systemwandel, Klimaangst und Aktivismus.
Die Pionierin der Klimaforschung, Helga Kromp-Kolb, spricht im großen "Heute"-Interview über Systemwandel, Klimaangst und Aktivismus.
Christopher Mavric

Helga Kromp-Kolb (74) ist die Grande Dame der Klimaforschung in Österreich. Von pessimistischem Jammern hält sie nichts. Für sie gibt es nur ein "energisches Nach-vorne-Schreiten". "Für Pessimismus ist es zu spät" lautet auch der Titel ihres neuen Buches, das gerade frisch im Molden Verlag erschienen ist (26,- Euro).

"Wir stehen meines Erachtens an einem Scheideweg", sagt Helga Kromp-Kolb. Der "bequemere Weg des Augenverschließens" führe in eine Klimakatastrophe. Der andere könne eine bessere Welt herbeiführen, ist die Klimaforscherin überzeugt.

"Man muss beide Optionen kennen, um eine gute Entscheidung treffen zu können. Ich bekenne aber freimütig, dass es keine Wahl gibt. Die Katastrophe kann niemand wünschen, daher gibt es nur ein energisches Nach-vorne-Schreiten. Pessimismus lähmt – das können wir uns nicht mehr leisten", sagt Kromp-Kolb.

Wie schaffen Sie es, optimistisch zu bleiben, in Anbetracht der Faktenlage? Kromp-Kolb: "Ich würde nicht sagen, dass ich optimistisch in die Zukunft schaue. Was ich sagen will ist – Schreckstarre ist tödlich. Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und tun; erfreulicherweise etwa dasselbe, wenn wir die Katastrophe für unvermeidbar halten, aber möglichst gut durchkommen wollen, wie wenn wir ihr Eintreten verhindern wollen."

Warum es sich noch immer lohnt, weiterzukämpfen, beschreibt Helga Kromp-Kolb in ihrem neuen Buch "Für Pessimismus ist es zu spät".
Warum es sich noch immer lohnt, weiterzukämpfen, beschreibt Helga Kromp-Kolb in ihrem neuen Buch "Für Pessimismus ist es zu spät".
Molden Verlag

Migration und Instabilität von Regierungen

2023 ist auf dem Kurs, das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen zu werden. Das teilte der EU-Klimawandeldienst Copernicus kürzlich mit. Einem Sommer mit Rekordtemperaturen folgte ein ungewöhnlich heißer Herbst. Waldbrände, Hitze, Dürre, Stürme, Überschwemmungen – wir alle erleben gerade die ersten dramatischen Auswirkungen der Erderhitzung, und das ist erst der Anfang. Und dennoch machen wir gefühlt weiter wie bisher, läuten die Alarmglocken nicht laut genug?

Kromp-Kolb: "Offenbar verstehen noch zu wenig Menschen, dass der Klimawandel nicht nur eine Frage veränderter Temperaturen und Niederschläge ist, sondern dass diese Änderungen dramatische gesellschaftliche Auswirkungen haben und weiterhin haben werden. Unerträgliche Hitze oder wiederholte, wetterbedingte Missernten etwa führen zu Migration, Migration zu Instabilität von Regierungen – auch in Europa – und politische Instabilitäten können die Daseinsvorsorge in Frage stellen, was wiederum Migration, jedenfalls aber politische Instabilität befördert. Dies nur ein Beispiel für den Teufelskreis, in den wir geraten."

Die Wissenschaft warnt seit Jahrzehnten genau davor, was wir jetzt erleben, warum machen wir‘s dann nicht einfach?

Mächtige Partikularinteressen, die vom gegenwärtigen Energiesystem, vom gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzsystem profitieren, haben kein Interesse an Veränderung. Dabei geht es weniger um einzelne Personen, es sind die Strukturen und Systeme, die sich der Änderung widersetzen. Das müsste noch wesentlich deutlicher gesagt werden, damit eine Bereitschaft besteht, die Systeme zu verändern.

Kromp-Kolb: "Bundeskanzlerin Merkel etwa, eine Physikerin, hatte in den frühen Regierungsjahren zu erkennen gegeben, dass sie verstanden hat, was auf dem Spiel steht. Und doch hat sie sich später dem Druck der Automobillobby gebeugt – nicht nur das, sie hat erreicht, dass sich andere europäische Länder ebenfalls beugen. Mehr Transparenz in Politik und Verwaltung wäre ein wichtiger Schritt aus dieser Blockade."

Klimapolitik und Klimaschutzgesetz

"Das Regierungsprogramm hat große Erwartungen geweckt", sagt Helga Kromp-Kolb. "Ob es seitens des damaligen Kanzlers hinsichtlich Klimaschutz nie ernst genommen wurde, oder ob er sich den Weg offenhalten wollte, ein in Europa führender Klimakanzler zu werden, weiß ich nicht. Klar ist, dass jetzt den Bemühungen um eine konsequente Umsetzung der Klimavorhaben systematisch Widerstand entgegengesetzt wird. So macht Österreich zwar Fortschritte, aber sie sind zu langsam und zu klein, gemessen an den Zielen, die erreicht werden müssen."

Man darf aber die Klimapolitik nicht nur an der Bundespolitik festmachen. In manchen Bundesländern geht deutlich mehr weiter und viele Städte und Gemeinden sind der Bundespolitik weit voraus.

Was würde Österreich benötigen, um eine echte Vorreiterrolle im Klimaschutz einzunehmen? "Es fehlt nur der Wille", sagt Kromp-Kolb. "Die Konzepte liegen vor, es ist ziemlich klar, was wie umgesetzt werden kann. Mit einer klaren, parteienübergreifenden Klimaansage – ähnlich der von allen getragenen Absage an die Kernenergie – käme vieles in Gang, z.B. in punkto Ausbildung von Fachkräften oder Errichtung heimischer Produktionsstätten für Erneuerbare Energien, das jetzt aus Unsicherheit nicht angegangen wird."

Warum ist in diesem Zusammenhang auch ein Klimaschutzgesetz wichtig? "Ein Sprinter, der eine Rekordmarke knacken will, muss im Training wissen, ob er sich verbessert und ob die Verbesserung schnell genug geht", sagt Kromp-Kolb. "Dazu braucht er einen Trainingsplan und muss in gewissen Abständen seine Leistung überprüfen. Daraus kann er ableiten, ob er gut unterwegs ist, oder ob er andere Trainingsmaßnahmen setzen muss. Dasselbe leistet das Klimaschutzgesetz für die Erreichung des Pariser Klimaziels. Wer sich gegen ein solches wehrt, hat keine ernste Absicht, das Ziel zu erreichen."

"Klimaschutz wird nur dann gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen", sagt Helga Kromp-Kolb. "Wir brauchen die Wirtschaft, die Politik – im Grunde genommen alle. Und das ist gut so: Es schafft Gemeinschaft, wenn wir zusammen an der Lösung eines Problems arbeiten, es bringt uns eine Gesellschaftsform, in der alle ein besseres Leben haben können."
"Klimaschutz wird nur dann gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen", sagt Helga Kromp-Kolb. "Wir brauchen die Wirtschaft, die Politik – im Grunde genommen alle. Und das ist gut so: Es schafft Gemeinschaft, wenn wir zusammen an der Lösung eines Problems arbeiten, es bringt uns eine Gesellschaftsform, in der alle ein besseres Leben haben können."
Christopher Mavric

"Wir sind der Zukunft nicht hilflos ausgeliefert"

Viele Menschen wenden sich ab (aus Angst, Egoismus, Hedonismus etc.) oder ziehen sich zurück, was halten Sie davon? Kromp-Kolb: "Das löst die Probleme eben nicht. Keine und keiner ist zu klein oder zu unbedeutend, um nicht ihren, seinen Beitrag leisten zu können. Und niemand soll sich einbilden, dass er/sie von der Katastrophe nicht betroffen sein wird."

Leiden Sie manchmal an Klimaangst? "Das beste Mittel gegen Angst ist, aktiv zu werden. Wir wissen nicht, welchen Stein wir möglicherweise mit einer kleinen Handlung, mit wenigen Worten ins Rollen bringen können. Aber selbst wenn unsere Tat keine großen Kreise zieht: Wir haben sie gesetzt und sie bestärkt uns darin, dass wir handlungsfähig sind. Wir sind der Zukunft nicht hilflos ausgeliefert", sagt Kromp-Kolb.

Als Wissenschafterin unterstützt Helga-Kromp-Kolb die Aktionen der Letzten Generation. Schaden die Blockaden dem Klimaschutz nicht mehr, als dass sie der Sache nützen? "Ich stelle mich hinter die Forderungen der verschiedenen Aktivist:innengruppen – die Forderungen sind Teile dessen, was aus wissenschaftlicher Sicht zur Erreichung des vom Parlament beschlossenen Klimaziels erforderlich ist", erklärt Kromp-Kolb. "Ob spezifische Aktionen der Sache nützen oder schaden, kann wissenschaftlich derzeit noch nicht eindeutig belegt werden. Unbestritten ist, dass das Klimathema ohne diese Aktionen wahrscheinlich wegen der ständig wachsenden Zahl an kurzfristigeren Themen wie Teuerung, Ukrainekrieg, Energieknappheit, Nahostkonflikt längst aus dem politischen und medialen Blickfeld verschwunden wäre."

Vielen lieben Dank für das Gespräch!

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    Zahlreiche Starkregenereignisse haben im Sommer - wie hier im Bild im Raum Hochburg-Ach in Oberösterreich - zu Hochwasser, Überschwemmungen und Vermurungen geführt.
    Zahlreiche Starkregenereignisse haben im Sommer - wie hier im Bild im Raum Hochburg-Ach in Oberösterreich - zu Hochwasser, Überschwemmungen und Vermurungen geführt.
    MANFRED FESL / APA / picturedesk.com