Szene

Kulturpalast

Land: D, Genre: Film + Theater

Heute Redaktion
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Bild: Kein Anbieter

Wir begeben uns haarscharf an die Grenze der Peinlichkeit, um ein Gefühl auszuloten: die Scham. Woher kommt sie? Verändert sie sich über die Zeit? Welche Rolle spielt dabei die Kunst? Zu Gast bei Pegah Ferydoni auf dem Sofa: die auf den ersten Blick sehr schamlos wirkenden Hamburger Musikerinnen von "Schnipo Schranke". Auch ihr neues Album lässt wieder kaum eine Körperflüssigkeit unthematisiert. Gibt es etwas, wofür sich die beiden schämen? Rot anlaufen angesichts der allgemeinen Schamlosigkeit würde vermutlich ein Besucher aus den 50er Jahren, wenn er sich in unsere heutige Zeit verirren würde: Anzügliche Liedtexte, Nackte überall auf Magazinen, Bühnen und Plakaten. Und im Netz: Youporn-Videos mit Celebrities, die sich seltsamerweise nicht schämen - sondern eher noch stolz sind. Hat uns die Welle der Liberalität, die in den 60ern über uns hereinbrach, schamlos gemacht? Die Ausstellung "Die innere Haut - Kunst und Scham" im Marta Herford geht dieser Frage nach und beginnt ganz am Anfang: Bei "Adam und Eva", kurz bevor Eva in den Apfel beißt - und das Drama seinen Lauf nimmt. Ab diesem Moment empfinden Adam und Eva ihre Blöße zum ersten Mal als peinlich. Und ab da werden sie zu selbstreflexiven, eigenständigen Menschen. Die Geburtsstunde der Scham fällt also zusammen mit der Geburtsstunde der Zivilisation. Die Ausstellung in Herford schlägt den Bogen von Albrecht Dürers Darstellung des Paradieses bis zu dem radikalen Konzeptkünstler Santiago Sierra. Er stellt Veteranen aus den Kriegen im Irak, in Afghanistan und in Nordirland wie Schuljungen in die Ecke und fragt: Sollten sich diese Helden vielleicht lieber schämen für das, was sie begangen haben? Und falls ja - warum tun das in der Regel nicht? Worüber schämt man sich heute noch? Das lotet das Performance-Kollektiv "She She Pop" in seinem Stück "50 Shades of shame" aus. Schnell wird klar: Gerade weil wir von so vielen nackten und vermeintlich schönen Körperbildern umgeben sind, wächst unsere Scham ins Unermessliche. Denn während man sich früher nur für seinen Körper schämte, wenn er nackt war, schämen sich die meisten heute ununterbrochen für den eigenen Körper - weil er eben nicht perfekt ist. Wir leben also in einer viel schamhafteren Gesellschaft als wir denken. Das zeigt auch der neue, von der Schauspielerin Nora Tschirner mitproduzierte Dokumentarfilm "Embrace". Darin geht die australische Ex-Bodybuilderin Taryn Brumfitt in die Offensive und versucht zahlreiche Frauen zu überzeugen, zu ihrem nicht genormten Normalkörper zu stehen. Denn 91 Prozent aller Frauen, sagt der Film, schämen sich für ihren Körper. Da soll noch mal jemand behaupten, wir lebten in schamlosen Zeiten.