Politik

Landeschef: "Impfpflicht behalten, Strafen aussetzen"

Der steirische Landeschef Hermann Schützenhöfer wird 70. Mit "Heute" hat er über die Impfpflicht, Postenbesetzungen und die neue/alte ÖVP gesprochen.

Tobias Kurakin
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Hermann Schützenhöfer im großen Interview mit <em>"Heute"</em>.
Hermann Schützenhöfer im großen Interview mit "Heute".
ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Nicht nur "Heute" feiert in diesen Tagen Geburtstag. Während unser Online-Portal 15-jähriges Jubiläum feiert, wird der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer am 29. Februar 70. Auch wenn sein Jubeltag auf den heuer nicht stattfindenden Schalttag fällt, will Schützenhöfer feiern. Zuvor hat er jedoch in einem ausführlichen Gespräch mit "Heute" über die Impfpflicht, Postenbesetzungen, Sebastian Kurz und seine eigene Partei gesprochen. 

"Heute": Herr Landeshauptmann Sie sind seit nun fast 52 Jahren in der Politik. Können Sie sich in all dieser Zeit an ähnlich turbulente Jahre erinnern die Österreich, begonnen mit den drei Bundespräsidentenwahlen 2016 über Ibiza bis hin zum Kanzlerkarussell gegen Ende des vergangenen Jahres durchgemacht hat?
Hermann Schützenhöfer: Nein, mit Sicherheit nicht. Ich kann mich erinnern, drei Tage nach meiner Angelobung zum Landeshauptmann kam es zur schrecklichen Amok-Fahrt in Graz. Wenige Monate danach herrschte an den Grenzen in Spielfeld und Radkersburg eine schreckliche Flüchtlingssituation. Aber so turbulent wie jetzt mit der Pandemie und manch anderem war es noch nie.

Diese permanente Aufgeregtheit, diese fast toxische Spaltung innerhalb der Gesellschaft, hat viele Auslöser – Corona ist einer davon. Jetzt hat die Bundesregierung am Mittwoch nahezu alle Maßnahmen zurückgenommen, ist der Druck zu groß geworden?
Davon habe ich mich nie leiten lassen, man muss in der Politik immer den Blick auf große Ganze behalten und darf nicht irgendwelchen Klientelen unterliegen. Faktum ist, dass viele Virologen und Ärzte sagen, dass wir eine Herdenimmunisierung haben, und das gibt Lichtblicke und Hoffnung. Ich warnte aber gemeinsam mit dem Bürgermeister von Wien vor einem Übereifer. Mit Blick auf die großen Öffnungsschritte, die von vielen sehr begrüßt werden, habe ich zugegebenermaßen Respekt, wenn nicht sogar etwas Bauchweh.

Hätten Sie noch zugewartet mit den Öffnungen?
Ja, ich weiß nicht genau, ob ich mit 5. März geöffnet hätte, aber wer wagt, gewinnt.

Wieso ausgerechnet jetzt, andere Länder haben schon vor Wochen geöffnet und die Infektionszahlen sind nicht deutlich zurückgegangen?
Mit Ausnahme von Wien, wo die Normalbettenstation noch immer mit mehreren Covid-Patienten belegt sind, ist die Frage der Belegungen auf Intensiv- und Normalbetten sehr stabil geworden, trotz Omikron. Daher können wir von einem geringeren Krankheitsverlauf ausgehen, das hat sich so gezeigt – daher kann man diese Maßnahmen mittragen.

Wie stark waren Sie persönlich in diese Entscheidungen eigebunden?
Naja, wie immer erfährt manches man aus den Medien, aber am Ende des Tages geht die Spitze der Bundesregierung auf die Landeshauptleute zu und bindet sie ein. Ich war also nicht besser oder schlechter eingebunden als andere Landeschefs.

Sprechen wir über das brisanteste Thema der Pandemie – die Impfpflicht. Soll sie noch kommen oder nicht?

Die Impfpflicht gibt es, sie ist schon in Kraft. Ich bin der Meinung, dass die Impfpflicht zu spät gekommen ist, ich habe mich schon im Sommer 2020 dafür ausgesprochen. Während der Delta-Welle hätten wir uns sicher leichter getan mit einer Impfpflicht und hätten uns einige Debatten erspart. Die Einstimmigkeit war aber damals noch nicht gegeben – erst am Achensee haben sich auch die sozialdemokratischen Landeshauptleute unter der Führung von Michael Ludwig für eine Impfpflicht ausgesprochen. Ich sage, sie ist zu spät gekommen, aber die Debatte, ob wir sie wieder abschaffen sollen, wenige Wochen, nachdem wir die Unterschrift vom Bundespräsidenten bekommen haben, ist zynisch.

Hat es schon zuvor im ersten oder Anfang des zweiten Pandemiejahres Gespräche hinter verschlossenen Türen über eine Impfpflicht gegeben?
Nein, konkrete Gespräche gab es nie. Ich habe sie immer wieder gefordert, aber die Bundesregierung ist darauf nicht eingegangen. Aber wie bei so vielem hat sich der Spieß letztendlich gedreht. Aber es ist in der Politik so, wie im ganzen Leben, es ist immer wieder von Entwicklungen abhängig und die konnte man nur selten voraussagen.

Soll man die Impfpflicht auch mit Strafen sanktionieren, also die zweite und dritte Phase scharfstellen?
Ich bin persönlich jedenfalls für die Impfpflicht – jetzt diskutieren wir intern schon, ob wir das wirklich mit Strafen sanktionieren soll, da bin ich selbst vorsichtig geworden. Jetzt haben wir eine Kommission aus zwei Medizinern und zwei Juristen, denen ich vertraue. Wenn die Kommission zu dem Schluss kommt, die Impfpflicht beizubehalten, was meine Meinung ist, und Strafen aussetzen, dann wäre ich sehr einverstanden.

Macht es sich die Politik da nicht etwas leicht? Immerhin hat sie alle Maßnahmen, die in der Bevölkerung unbeliebt waren, aufgehoben und über die kontroverse Impfpflicht darf eine Kommission entscheiden, die nie von einer Bevölkerung gewählt wurde und das auch nie werden wird.
So einfach mach' ich es mir nicht, denn die Fachkompetenz liegt ja bei den Ärzten. Wenn mir mein Arzt jetzt empfiehlt, dass ich mich gegen Pneumokokken impfen lassen soll, dann schau ich mir keinen Beipackzettel an, sondern sage „Na gut, impf ma“. Es gibt Situation, da darf sich die Politik nicht hinter Experten verstecken, es gibt aber auch Situationen, wo die Politik gut daran täte, auf sie  zu hören – die Pandemie ist so ein Fall.

Aber angenommen die Kommission empfiehlt das Aussetzen der Strafen – was bringt eine Impfpflicht ohne Strafe? Leute, die derzeit mit "Impfen macht frei"-Schildern und Judensternen durch die Straßen ziehen, werden sich ziemlich sicher nicht von einem nicht-sanktionierten Gesetzesbruch von ihrer Position abschrecken lassen und die nächste Impfstraße aufsuchen?
Das wäre zu schön, wenn es so wäre, aber das wird nicht der Fall sein. Ich kann aber nur sagen, Regeln sind da, um eingehalten zu werden. Ich habe die Debatte satt, macht etwas, was dann sowieso nicht eingehalten wird. Auf den Autobahnen gilt auch 130, trotzdem gibt es Personen, die 160 fahren, wenn sie nicht erwischt werden, haben sie Glück gehabt. Ansonsten zahlen sie Strafe oder können bei einem Unfall mit Personenschaden auch ihr ganzes Leben verpfuschen. Bei der Impfpflicht ist es das Gleiche, wir haben eine Regel und die ist einzuhalten. Wir hatten auch mal eine Wahlpflicht, die ich als Politiker erlebt habe, da wurde nie gestraft. Trotzdem war die Wahlbeteiligung stets hoch. Wir müssen hier immer abwiegen und auch den Ungeimpften Brücken bauen, aber es kommt der Zeitpunkt, wo sich die Mehrheit nicht mehr mit Maßnahmen herumschlagen will, weil so viele nicht geimpft sind.

Mit Ausnahme von Ihnen haben fast alle Politiker bis zu jenem Tag im November 2021 eine Impfpflicht stets kategorisch abgelehnt, um sie dann in einer Nacht und Nebel-Aktion doch einzuführen, ein größerer Vertrauensverlust ist wohl nicht möglich. Ist es nicht die Aufgabe der Politik mit den Menschen auf Augenhöhe zu reden und ihnen reinen Wein einzuschenken bzw. zu ihrem Wort zu stehen?
Manches, was gemacht wurde, ist sicherlich zu spät gekommen. Aber ich glaube nicht, dass mit dem Vertrauen der Menschen bewusst missbräuchlich umgegangen wurde. Ich glaube vielmehr, dass auch die Politik teilweise überrumpelt wurde, weil man nicht in die Zukunft blicken konnte.

Hermann Schützenhöfer fiel in der Pandemie insbesondere dadurch auf, dass er sich früh für eine Impfpflicht aussprach - damals waren alle noch dagegen, auch Ex-Gesundheitsminister Rudi Anschober.
Hermann Schützenhöfer fiel in der Pandemie insbesondere dadurch auf, dass er sich früh für eine Impfpflicht aussprach - damals waren alle noch dagegen, auch Ex-Gesundheitsminister Rudi Anschober.
Tobias Steinmaurer / picturedesk.com

Welche Rolle spielte hier der doppelte Altkanzler Sebastian Kurz, der die Pandemie für beendet erklärte, falsche Versprechen zu einem möglichen Sputnik-Kauf machte und letztlich das Steuerrad in der Pandemie aus der Hand gab, als er wusste, die Menschen verlieren die Geduld. War dieses Verhalten Ihrer Ansicht nach, eines Bundeskanzlers würdig?
Es ist vor allem Schnee von gestern, er ist nicht mehr Kanzler. Er hat die ÖVP in lichte Höhen bei Wahlen geführt, aber da und dort ist auch Sebastian Kurz Fehleinschätzungen erlegen. Ich bin fast doppelt so alt wie er und sage immer auf die Frage, ob die Bundesregierung Fehler gemacht hat, ja. Dort, wo gearbeitet wird, passieren immer Fehler. Wenn man aber fair bleibt, betrachtet man den Rahmen, in dem die Entscheidungen gefallen sind und dann würde man vermutlich mit einigen Politikern etwas anders umgehen.

Fehler wird in einer derartigen Situation jeder verzeihen, aber waren das bei Sebastian Kurz wirklich solche. Waren die Angriffe auf den ehemaligen Gesundheitsminister nicht mehr charakterliche Schwächen?
Nein, Sebastian Kurz hat einen guten Charakter. Ich werde auch sicherlich nichts Schlechtes über Rudi Anschober oder Wolfgang Mückstein sagen, aber es war nicht immer leicht, wenn man etwas ausgemacht hat. Manchmal hat es geheißen, die Verordnung kommt morgen, gekommen ist sie Wochen später. Jetzt heißt es vom Bund, man würde eine Hotline für die Impfbefreiungen einrichten, die letztlich wieder an den Ländern hängen blieb – da fühlt man sich ehrlich etwas gefoppt.

Was ist die Zwischenbilanz der Hotline?
Es melden sich sehr wenige, am ersten Tag waren es nur etwa 500. Darunter sind auch Personen, die ehrliche Sorge haben, beispielsweise eine Frau, deren zwei Schwestern an Thrombosen verstorben sind, diese Menschen muss man ernst nehmen, da ist die Hotline gut. Aber ein Gros der Ungeimpften erliegt Verschwörungstheorien aus dem Internet, aber auch die dürfen wir nicht verteufeln, denn vom Verteufeln holt man sich nichts und niemanden.

Noch einmal zu Sebastian Kurz. Letztlich hat sich der ehemalige Bundeskanzler aus der Politik verabschiedet. Als Kurz zur Seite trat, dürften Sie keine unwesentliche Rolle eingenommen haben, insbesondere Werner Kogler lobte Sie immer wieder dafür, dass hier eine Art steirische Achse entstand, die letztlich dafür sorgte, dass Kurz den Rückzug antrat – sind Sie für den Kurz-Rücktritt verantwortlich?
Da würde ich meinen Einfluss überschätzen. Ich habe viele Gespräche geführt und irgendwann war klar, das packen wir schwer, aber das hat Sebastian Kurz dann auch erkannt und dann die Reißleine gezogen.

Wer waren "wir"?
Die Landeshauptleute und die Menschen guten Willens, die Sebastian Kurz kritisch und konstruktiv begleitet haben.

Das Bild war damals sehr spannend, denn einen Tag vor dem Sidestep gab es Beteuerungsbekundungen von Ministern und Landeshauptleute. 24 Stunden später war er aber nicht mehr Kanzler. Haben Sie hier nicht etwas nachgeholfen?
Richtig ist, dass es sicher eine Frage des Alters war. Die Alten können den Jungen dann doch ab und an mehr nahelegen, da sie mit ihrer Lebenserfahrung schon mehr mitgenommen haben. Es geht mir nicht darum, besserwisserisch zu agieren, sondern zu erkennen, dass sie Fehler, die andere schon gemacht haben, nicht ebenfalls machen. Ich habe Sebastian Kurz immer wieder Ratschläge erteilt, ihm aber die Handlungsfreiheit überlassen.

Hermann Schützenhöfer nutzte 2019 den Rückenwind des Erfolges von Sebastian Kurz, danach trennten sich jedoch die Wege der beiden ÖVP-Politiker.
Hermann Schützenhöfer nutzte 2019 den Rückenwind des Erfolges von Sebastian Kurz, danach trennten sich jedoch die Wege der beiden ÖVP-Politiker.
ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Was waren das für Entscheidungen und hat er immer auf Sie gehört?
Das waren insbesondere Ratschläge über Parteigrenzen hinaus, die den Umgang mit dem politischen Mitbewerber betrafen. Ich habe ihm immer wieder gesagt, er muss auch den Widerspruch zulassen. Gerade am Anfang war das schwierig, da war er sehr fokussiert auf seine Koalition. Letztlich war er ja selber stark sozialisiert als JVP-Chef im tiefroten Wien.

Michael Häupl meinte unlängst, Kurz hätten die notwendigen Überzeugungen gefehlt, um lange in der Politik zu bestehen, würden Sie zustimmen?
Nein, da würde ich nicht zustimmen. Ich schätze Michael Häupl sehr, aber er hat sich gern auf Sebastian Kurz eingeschossen und ihn als Sozifresser betitelt. Wahrscheinlich sind dafür aber auch die unterschiedlichen Generationen, aus denen beide stammen, aufeinandergeprallt. Da ist Michael Ludwig anders, er zeigt sich dialogfähiger. Auch er hatte vorab immer wieder Probleme mit Sebastian Kurz, aber mit Karl Nehammer herrscht eine gute Gesprächsbasis.

Apropos Gesprächsbasis zwischen ÖVP und SPÖ. Sie galten schon unter türkis-blau als stiller Kritiker der Regierung und haben selbst 2019, obwohl eine Koalition mit der FPÖ, aber auch mit den Neos und den Grünen möglich war, weiter mit der SPÖ koaliert, wieso?
Ich bin ein alter Großkoalitionär. Für mich ist es wichtig, dass ÖVP und SPÖ nicht ausgedient haben, wenn sie begreifen, dass das, was sie in Bünden und Organisationen abbilden, nur noch ein kleiner Teil der Realität innerhalb der Bevölkerung ist. Wenn man das akzeptiert, hat man schon die halbe Maut. Dieses Kapitel ist aber nicht ganz aufgearbeitet in den Großparteien. Ich habe auch immer gesagt, dass schwarz-grün charmant wäre, das ist sich aber leider nicht ausgegangen. Mit Mario Kunsasek (FPÖ) habe ich zwar kein Problem, aber ansonsten ist diese Partei so durchgetaktet mit immer den gleichen Anträgen und Strukturen von Bundes- über Landes- bis hin zur Gemeindeebene – da gibt’s immer die gleichen Regeln. Wir fahren mit ÖVP und SPÖ ganz gut. Ich sag immer, das ist wie in einer Ehe – es braucht eine gute Streitkultur, die muss aber im Wohnzimmer und nicht am Hauptplatz stattfinden. Im Bund ist das derzeit anders, auch wegen der U-Ausschüsse. Außerdem hätte ich Franz Voves, der stark dafür verantwortlich war, dass ich Landeshauptmann wurde, nicht in die Augen schauen können, wenn ich nach 2019 nicht mit der SPÖ weiterregiert hätten.

Ihre Treue zur Großen Koalition ist ehrenvoll, trotzdem haben Sie 2019 die Koalition vorzeitig aufgekündigt und zu einem taktisch guten Zeitpunkt für Sie Neuwahlen ausgerufen – das ist dann doch ein leichter Bruch in dieser Linie als überzeugter Reformpartner?
Da kann man jetzt sicher darüber streiten. Ich habe gesehen, dass die SPÖ frühzeitig in einen Wahlkampfmodus gegangen ist. Ich habe Michael Schickhofer einen vorgezogenen Termin vorgeschlagen, den er abgelehnt hat, die FPÖ ist aber mitgegangen. Letztlich haben wir uns jedenfalls Kosten erspart und für das Land war es besser, aber auch für die ÖVP – so ehrlich muss ich sein.

Mit dem ehemaligen SPÖ-Landeshautmann Franz Voves startete Hermann Schützenhöfer 2010 eine Reformpartnerschaft.
Mit dem ehemaligen SPÖ-Landeshautmann Franz Voves startete Hermann Schützenhöfer 2010 eine Reformpartnerschaft.
MARKUS LEODOLTER / APA / picturedesk.com

Letztlich auch für die Pandemie, das hat man aber nicht wissen können.
Das hat man nicht wissen können, richtig. Wir haben auch 2015 die Wahlen von Herbst auf Mai vorverlegt, das letztlich dafür sorgte, dass die Flüchtlingsthematik nicht so ein großes Thema war, wie sie vier Monate später gewesen wäre. Wir wollten die Wahl ohne parteipolitische Wirrungen abhalten.

SPÖ, ÖVP und FPÖ waren im Mai damals bei der ersten Hochrechnung komplett gleich auf. Über den Abend sind die Großparteien haarscharf noch als Erste und Zweite durchs Ziel gegangen. Über den Sommer kletterte die FPÖ bundesweit auf 38 Prozent in Umfragen und hätte vermutlich auch in der Steiermark gewonnen. Also wieder ein taktischer Wahlgang?

Da will ich nicht widersprechen. Wir haben gesehen, dass die FPÖ auf dem Vormarsch ist und haben gewählt. Ich glaube, hätten wir im September gewählt, wären die Freiheitlichen stärkste Kraft geworden.

Bei der Landtagswahl hatte nur die FPÖ in Person von Mario Kunasek zu lachen, die Großparteien verloren viele Stimmen und retteten einen knappen Wahlsieg gerade noch über die Ziellinie.
Bei der Landtagswahl hatte nur die FPÖ in Person von Mario Kunasek zu lachen, die Großparteien verloren viele Stimmen und retteten einen knappen Wahlsieg gerade noch über die Ziellinie.
ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com

Zurück zur ÖVP und Ihnen. Sie sprachen sich in den 1980er Jahren für eine Ganztagsschule, gegen ÖVP-Parteilinie aus, auch ein Mindestlohn stand mal auf Ihrer Agenda, auch alles andere als eine typisch schwarze Forderung. Was macht Sie denn zu einem Politiker der Volkspartei?
Ich bin hier sicherlich stark von meiner Kindheit geprägt als Bauernsohn. Mein Vater war Alleinverdiener und meine Mutter Hausfrau, das war eine glückliche, aber karge Jugend. Da hat es keine Diskussion gegeben, wo man hingehört – das war automatisch die ÖVP. Ich bin auf in einem Pfarrhof geboren und habe aus Gesprächen mit Kaplänen für mich beschlossen, dass die katholische Soziallehre mein Fels in der Brandung wurde und bis heute geblieben ist. Politiker denken derzeit zu oft an die nächste Schlagzeile, aber nicht mehr an den Inhalt, das ist eine schlechte Entwicklung der Gegenwart. Ich möchte das tun, was meine Grundsätze sind.

Die christlich-soziale Politik ist aber in den letzten Jahren stark in den Hintergrund gerückt. Ich erinnere nur an den "Vollgas geben"-Sager vom Ex-Kanzler bei Verhandlungen mit der katholischen Kirche, die die Drohung beinhaltete Steuerprivilegien zu streichen. Ist das christlich-sozial?
Nein, das sind Fakten aus dem Zusammenleben zwischen Administrationen. Das Katholische innerhalb der ÖVP lebt und man kann es noch gut mitgestalten, vor allem bei uns in der Steiermark. Ausdrücke, die in den Chats gefallen sind, sind jedoch mehr als überflüssig, das kann man nicht rechtfertigen, aber auch nicht ändern.

Ist die ÖVP aber noch immer die gleiche Partei, in die Sie vor 52 Jahren eingetreten sind?
Das ist eine sehr spannende Frage. Von den im Grundsatzprogramm formulierten Grundsätzen schon. Für mich ist das Grundsatzprogramm der ÖVP Salzburg aus dem Jahr 1972 das beste Grundsatzprogramm, weil das Christlich-Soziale hier im Zentrum stand. Spätere Programme haben das etwas verwässert. Letztlich kommt es aber immer auf die Personen drauf an, die an der Spitze stehen. Da war Sebastian Kurz als Katholik und Kirchengeher dem damaligen Programm näher als andere. Aber aus Sicht der Bevölkerung hat sich die ÖVP von der Mitte in Richtung rechts der Mitte entwickelt.

Sind Sie auch abgedriftet?
Nein, ich glaube, es ist sowieso schwierig. Die Aufgabe eines Politikers ist immer im Rahmen der demokratischen Spielregeln und Grundsätze noch immer seine Überzeugungen aufrechtzuerhalten und durchzusetzen. Das beginnt bei einer menschlichen Flüchtlingspolitik, die aber auch auf den Säulen des Rechtsstaates basieren muss und geht noch viel weiter.

Die ÖVP hat sich gewandelt, auch wegen Sebastian Kurz.
Die ÖVP hat sich gewandelt, auch wegen Sebastian Kurz.
BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com

Ist die ÖVP schwarz oder türkis?
Die steirische ÖVP ist jedenfalls weiß-grün. Ich halte nichts davon, dass hier und da immer einer von uns, wie man so schön sagt, sitzen muss. Ich habe selbst eine rote Amtsdirektorin und bekennende Sozialdemokraten im Landesrechnungshof. Da war ich früher auch anders, aber wenn man den Zenit des politischen Lebens überschritten hat, wird man gerechter. Ich denk mir nicht mehr, wo könnte denn der oder die dazugehören, sondern, ich denke mir, wie kann man den oder die bekommen, dass sie in Grundsatzfragen mitarbeitet – das hat sich jedenfalls geändert.

Aber wenn es egal ist, von wo Leute kommen, wieso ist Heinz Fassmann nicht mehr Bildungsminister, sondern der Steirer Martin Polaschek?
Die Frage ist frech, weil Martin Polaschek ist nicht Bildungsminister geworden, weil er Steirer ist, sondern weil er qualifiziert ist. Am Vortag ist Karl Nehammer auf mich zugekommen und hat gefragt, ob ich jemanden hätte, der Heinz Fassmann beerbt, der kein brennendes Interesse am Job mehr hat. Die Steiermark hat die zweitmeisten Unis außerhalb der Bundeshauptstadt und ist bei der Forschungsquote gemeinsam mit Baden-Württemberg an der europäischen Spitze, da habe ich mir schon gedacht, da hätten wir jemanden. Und Martin Polaschek ist kein Parteimitglied der ÖVP, der hat schon genug über die Volkspartei geschimpft. Er ist ein sehr kritischer, aufgeweckter und kluger Mann, der auch im Schulbereich Expertise aufweist, da bin ich froh, dass wir ihn haben. Das habe ich auch dem Kanzler gesagt, als mich anrief, ob die Steiermark wen für diesen Posten hätte.

Aber wieso muss der Kanzler fragen, ob die Steiermark wen hätte, wieso kann er nicht fragen, ob sie Bundesland-unabhängig jemanden kennen würden?
Das wird er sich schon gefragt haben. Aber jeder Kanzler, der die ÖVP übernommen hat, wird darauf achten, dass die Länder gut eingebunden sind. Hätte Karl Nehammer aber statt Martin Polaschek aus Bruck an der Mur, Hansi Huber aus Oberwart genommen, wäre das für mich auch ok gewesen, das ist nicht mehr mein Hauptthema.

Der Vorarlberger-Grüne Johannes Rauch, immerhin selbst ein Landespolitiker, hat nun gefordert, dass sich die Bundesregierung beim Gesetz zur Informationsfreiheit über die Länder hinwegsetzen sollte, ist der Föderalismus in großen Reformprojekten etwas zu behäbig?
Über das kann man reden. Ich bin der Letzte, der den Föderalismus bedingungslos verteidigt. Aber die Pandemie hat uns dann schon gezeigt, dass es wichtig ist, dass die Länder mithelfen und auch selbst anpacken. Man denke nur daran, wenn die Ärzte in den Bundesländern nie mitgemacht hätten. Wenn es darauf ankommt, sind die Länder einfach näher am Bürger. Trotzdem gibt es Punkte, wo auch ich als Landeshauptmann sage, da ist der Föderalismus nicht mehr zeitgemäß – beispielsweise beim Spitalsbau.

2015 wurde Hermann Schützenhöfer zum Landeshauptmann gewählt, ein Foto aus der Vergangenheit.
2015 wurde Hermann Schützenhöfer zum Landeshauptmann gewählt, ein Foto aus der Vergangenheit.
Franz Neumayr / picturedesk.com

Konkret zum Informationsfreiheitsgesetz: soll sich der Bund hier durchsetzen?
Ich glaube schon, dass wir hier mitreden sollen, aber am Ende sticht Ober Unter.

Zum Schluss noch etwas Persönliches. Sie haben am Schalttag Geburtstag – Corona-Maßnahmen sind weder am 28. Februar noch am 1. März alle gefallen, kurz darauf jedoch schon – wie und vor allem wann werden Sie feiern?
Also eigentlich war eine große Feier von der Partei ausgerechnet am 5. März geplant, die haben wir aber schon vor geraumer Zeit in den Mai verschoben. Ansonsten feiere ich gemeinsam mit meiner Familie am 28. Februar.

Der 70. Geburtstag ist ein Tag, den Bürgerinnen und Bürger schon in der Pension verbringen, wie lange bleiben Sie noch in der Politik?
Es geht in dieser Zeit sicher um Kontinuität zwischen Älteren und Jüngeren. Alle erwarten derzeit das erlösende Ja des Bundespräsidenten zu einer weiteren Kandidatur, wenn ich nochmals kandidiere, wäre ich nach Ablauf der Legislaturperiode jünger als der Bundespräsident jetzt. Ich werde das aber zeitgerecht bekanntgeben und fühle mich derzeit fit und entschlossen, noch einiges für die Steiermark zu sagen.

Apropos Alexander Van der Bellen, wollen Sie einmal Bundespräsident werden?
Nein, das sind nicht meine Schuhe.

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