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"Life is Strange: True Colors" im Test – Gefühlskino

Ganz großes Gefühlskino liefert uns das neue "Life is Strange: True Colors". Die grandiose Reihe ist um ein neues emotionales Abenteuer reicher.

Rene Findenig
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    Der Spieler erlebt in "Life is Strange: True Colors" die Geschichte unserer neuen Heldin Alex Chen in einer bisher aus der Reihe nicht bekannten Stadt, erstmals gibt es zudem eine komplett deutsche Sprachausgabe...
    Der Spieler erlebt in "Life is Strange: True Colors" die Geschichte unserer neuen Heldin Alex Chen in einer bisher aus der Reihe nicht bekannten Stadt, erstmals gibt es zudem eine komplett deutsche Sprachausgabe...
    Square Enix

    Die Reihe "Life is Strange" steht für große Emotionen, authentische Geschichten, eindrucksvolle Charaktere und einen übersinnlichen Touch – Angst vor Tabus hat man dabei nicht. Die von Spielern wie Kritikern hochgejubelte Reihe bekommt nun ihr bisher bestes Abenteuer. "Life is Strange: True Colors" heißt der neueste Teil für PlayStation 5, PlayStation 4, Xbox Series X|S, Xbox One, PC und für Google Stadia sowie später im Jahr auch für die Nintendo Switch.

    Der Spieler erlebt die Geschichte unserer neuen Heldin Alex Chen in einer bisher aus der Reihe nicht bekannten Stadt, erstmals gibt es zudem eine komplett deutsche Sprachausgabe und erstmals wird ein "Life is Strange"-Game auch gleich komplett und nicht Episode für Episode veröffentlicht. Protagonistin Alex Chen, seit acht Jahren eigentlich in Portland beheimatet, zieht es zu Beginn des Abenteuers zurück in die Bergbaustadt Haven Springs.

    Dunkle Schatten über der schönen Stadt

    Im nur scheinbar verschlafenen Ort will sich Alex ein neues Leben aufbauen und wieder Kontakt mit ihrem Bruder Gabe aufnehmen, wobei es da einiges zu kitten gibt. Gabe zog es in das Gemeinde-Nest auf der Suche nach dem verschollenen Vater der Geschwister. Als ihr Bruder jedoch kurz nach ihrer Ankunft bei einem mysteriösen Unfall ums Leben kommt, stellt dies das Leben und Denken von Alex komplett auf den Kopf – und wirft auch dunkle Schatten auf die beschauliche Stadt.

    Zehn Stunden bei sehr zügiger Spielweise dauert das neue "Life is Strange", das dieses mal nicht ganz so langsam in die Gänge kommt wie seine Vorgänger. Schon im ersten Kapitel überschlagen sich die Ereignisse. Wobei die Hauptstory gar nicht so das große Highlight, sondern in einigen Belangen sogar vorhersehbar ist. Vielmehr begeistern die vielen, fantastisch umgesetzten Charaktere samt ihren Lebensgeschichten und die emotionale Achterbahnfahrt, die auch Hartgesottene mitnimmt.

    Keine Game fesselt sermaßen emotional

    Die übernatürliche Komponenten des Spiels ist zudem nun greifbarer als je zuvor (mit Ausnahme der Zurückrrede-Fähigkeit in "Before the Storm"): Statt Zeitreise- und Telekinese-Kräften geht es in "True Colors" um sichtbare Gefühle. Alex wahrt nämlich ein Geheimnis, das sie selbst als Fluch zu sehen scheint: Sie kann mit ihren empathischen Fähigkeiten die Emotionen anderer als farbige Auren um die Personen herum sehen und wird von ihnen selbst beeinflusst.

    Damit gar nicht zufrieden, versuchte Alex bisher, diese Fähigkeit zu verdrängen. Um allerdings hinter das Geheimnis des Todes ihres Bruders und auch jene der Stadt zu kommen, muss Alex ihren Fluch nun akzeptieren und Frieden mit sich selbst schließen. Was dabei so gut gefällt wie es traurig ist: Alex kann zwar den Schmerz, die Wut und die Verzweiflung der anderen Figuren nachfühlen und sehen, ihnen trotz ihrer Bemühungen aber nicht immer helfen. Nicht selten stellt sich neben Freude und Glück auch ein Gefühl der Hilfslosigkeit ein – kaum ein Game fesselt den Spieler emotional so wie "True Colors".

    Keine Tabus, dafür viele Tränen

    Auch Tabus kennt das Spiel wieder keine und spricht Themen wie Trauer um geliebte Menschen, aber auch ihre Schuldgefühle, nicht anstelle des Opfers gewesen zu sein, so offen wie glaubhaft an. Wirkten bisher die Beteiligten in "Life is Strange" oft jugendlich (und sie tun es zum Teil auch im neuen Part), so gibt es in den Dialogen und Geschehnissen keine weichgespülten Stories mehr, sondern knallharte Dramen und Tragödien. Spürt man die Verzweiflung einer demenzerkrankten Frau, die sich an etwas zu erinnern versucht, kommen unweigerlich die Tränen.

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    "Gute Laune"-Lösungen gibt es indes kaum, wie im echten Leben eben. So können wir die Betroffene etwa an den Tod eines Menschen erinnern, der sie selbst bestürzen und beschämen wird – oder die Dame verzweifelt im Ungewissen lassen. Dass es keinen "richtigen" Weg gibt, ist genau das, was "Life is Strange: True Colors" so richtig macht. Und alle Nebenstränge der Handlung, derer es Dutzende gibt, kommen trotz der überschaubaren Länge des Spiels nicht zu kurz. Unserer Titelheldin ist es nun zudem auch möglich, sich persönlich besser zu entfalten, etwa Romanzen mit Mann oder Frau einzugehen.

    Bekannter Gameplay-Mix ohne große Neuerungen

    Beim Gameplay erwartet die Spieler der bereits bekannte Mix aus Erkundung, Dialogen mit den NPCs und Entscheidungsmöglichkeiten, wobei mit der Empathie-Gabe auch ein neuer Dreh dazukommt. Freier als bisher kann man nun die Fähigkeit, Emotionen zu sehen, nicht nur in bestimmten Spielsituationen, sondern fast jederzeit und auf jedermann anwenden. Damit erfährt man nicht nur mehr von der Hintergrundgeschichte, sondern soll dadurch auch ganz neue Dialog-Optionen freischalten und möglicherweise die Handlung in eine ganz andere Richtung treiben können.

    Trotzdem gibt es für "Life is Strange"-Kenner wenig bis keinerlei Neuerungen beim eigentlichen Gameplay: Man erkundet in fast vorgegebener Weise verschiedene abgegrenzte Gebiete, unterhält sich mit den NPCs und nimmt sich ihrer Sorgen an. Gebaut wird auf die großen Stärken der Serie: Glaubhafte Charaktere, emotionale Storys mit Plot-Twists, interessante Dialoge und eine wunderschöne Grafik. Im Detail gibt es auch mehr Möglichkeiten, die Spielwelt abseits der Missionsziele zu erleben: So kann Alex auch einfach Geschäfte aufsuchen und dort stöbern oder auch nur in einem Kaffeehaus chillen.

    Ein emotionales Meisterwerk in Spielform

    Spielerisch abwechslungsreich und viel Material für wiederholte Spieldurchgänge sind die Auswirkungen durch Dialog- und Aktions-Entscheidungen, die wieder zu Wendungen im Gameverlauf und sogar zu verschiedenen, dieses Mal durchaus sehr unterschiedlichen Enden des Spiels führen. Dass das Game erstmals mit deutscher Vertonung spielbar ist, liegt nun an einem bunten Mix an neuen Sprechern wie Allround-Talent Lin Gothoni oder Musiker Nick Forsberg, die sensationell gute Arbeit leisten.

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    Die Musik passt perfekt dazu, das ist man aus einem "Life is Strange" gewohnt: Originaltracks wechseln wieder mit linzenzierten Stücken ab und sind wahnsinnig gut auf die jeweilige Spielsituation abgestimmt. Die Grafik wiederum wurde noch ein Stück detaillierter, die Animationen und die Mimik sind noch flüssiger und besser, das Spiel verliert aber keineswegs seinen ganz eigenen Mix aus fast handgezeichnet wirkenden Szenerien mit Charakteren, die einem Hollywood-Animationsstreifen entsprungen sein könnten. "Life is Strange: True Colors" ist ein Meisterwerk, das zwar spielerisch wenig aufregend bleibt, dafür aber mit seiner Handlung emotional bewegt – und manchmal sogar erschüttert.