Szene

Grandioser Lindemann mit faden Sex-Provokationen

Rammstein-Frontmann Till Lindemann gastierte am Samstag mit seinem Solo-Projekt Lindemann im Wiener Gasometer.

Heute Redaktion
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Der 57-jährige Sänger scheint trotz neuem Album und dazugehöriger Welttournee mit Rammstein noch nicht ganz ausgelastet zu sein. Nützt er doch die Zeit, bevor es mit Rammstein heuer nach Nordamerika geht, dafür, sich seiner zweiten Band Lindemann zu widmen.

Mit dem am 22. November 2019 erschienenen, zweiten Album "F&M" ging Lindemann, bei denen der schwedische Multiinstrumentalist Peter Tägtgren das musikalische Zepter schwingt, nun auf die erste, nicht jugendfreie Live-Tour.

Nicht ganz jugendfrei

Trotz der Auflage, dass man unter 18 Jahren auch in Begleitung eines Erwachsenen nicht ins Konzert durfte, platzte das Gasometer am Samstag aus allen Nähten und war auch schon bei den beiden optisch, inhaltlich als auch akustisch sehr passenden Vorgruppen Jadu und Aestethic Perfection gut gefüllt.

Warum es Minderjährigen nicht gestattet war, sich Lindemann live zu geben, wurde bereits gegen Ende der ersten Nummer "Skills in Pills" klar. Auf der überdimensionalen Leinwand, die hinter den komplett in weiß gekleideten Protagonisten aufgespannt war, untermalten bunte Visuals die musikalischen Darbietungen. Nach Aufnahmen, in denen Lindemann und Tägtgren mit verzerrten Grimassen zahlreiche Pillen schluckten, wurden auch Großaufnahmen von weiblichen Genitalien und eines Rektums gezeigt, in die ebenfalls bunte Pillen gesteckt wurden.

Diese Visuals zogen sich durch das rund anderthalb Stunden dauernde Set. Bei "Fat" sah man Lindemann beim eingeölten Nahkampf mit zwei nackten, dicken Frauen in einem aufblasbaren Plantschbecken, bei "Allesfresser" wurde eine Freakshow bei einer dekadenten Fressorgie gezeigt. Sexuell explizite Videoclips liefen dann wieder bei "Knebel" und "Golden Shower" über die Leinwand. Bei ersterem wurde das Publikum durch Oralsex-Szenen aus dem eigentlich zensurierten Video zu "Knebel" in den Bann des Gezeigten gezogen. Pornostar Charlotte Satre spielt neben Lindemann in dem Clip die Hauptrolle. Bei "Golden Shower" standen, wie der Name schon sagt, Natursektspiele im optischen Mittelpunkt. In Großaufnahme wurde eine Vagina samt Klitoris-Piercing gezeigt, deren Schamlippen (vermutlich) mittels Fön zum Flattern gebracht wurden.

Nicht wirklich provozierend

Wer daran jetzt irgendwas Skandalöses oder Anstößiges zu bekriteln hat, der dürfte vergessen haben, dass die österreichische Musikgeschichte mit Stefan Weber und seiner Kult-Kapelle Drahdiwaberl eine legendäre Band vorzuweisen hat, bei der es oftmals zu Live-Sex auf der Bühne gekommen ist. Und das schon vor über 30 Jahren. In Zeiten, in denen jedem 12-Jährigen dank eines Smartphones die unendlichen Weiten der Internet-Pornografie offenstehen, sollte das keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken.

In einer längeren Szene, die auf der Leinwand zu sehen war, saß Lindemann auf einer roten Ledercouch. Über seinem Schoss lag eine nackte Frau, die sich als Non-Native-Speaker an seinem Gedicht "Ich bin nicht böse" versuchte. Bei jedem Fehler die Aussprache betreffend gab es von Lindemann einen festen Klaps auf den nackten Hintern.

Das Publikum, das die Show vom ersten Moment an abfeierte, wurde an einigen Punkten ebenfalls miteinbezogen. Bei "Allesfresser" wurden von der Bühne aus ein paar Torten in die Menge geschmissen, bei "Blut" wurden die ersten paar Reihen dank roter Beleuchtung und ein bisschen Wasser mit "Blut" beduscht. Mittels Schleuder flogen während der Nummer "Fish On" echte tote Fische ins Publikum. Die wurden dann auch wieder brav retourniert, einer davon verfehlte Till Lindemann nur äußerst knapp.

Auch hier gibt es zahlreiche Beispiele, speziell aus dem Bereich des extremen Metals, bei denen diese Dinge konsequenter und vor allem grausiger durchgezogen wurden. Mayhem schmissen schon abgetrennte Sauschädeln ins Publikum, da war Lindemann noch Leistungsschwimmer in der damaligen DDR. Und Torten ins Publikum schmeißen schafft sogar DJ Aoki.

Rundum großartiges Konzerterlebnis

Diese Vergleiche sollen das künstlerische Gesamtkonzept des Auftritts keinesfalls schmälern. Denn Lindemann setzten mit ihren Provokationen im Schatten der großen Rammstein dort an, wo die große Band dank ihrer Verpflichtung dem Mainstream gegenüber nicht mehr hinkommen. Und den Leuten scheint es zu gefallen. Darüberhinaus liefert Peter Tägtgren qualitativ hochwertige Musik, die auch ohne das optische Umfeld mehr als nur eine Daseinsberechtigung hätte. Das Konzerterlebnis als solches war ein rundum großartiges, denn es wurde von der ersten Minute an unterhalten.

Natürlich klingt das ganze aufgrund von Lindemanns prägnantem Sprechgesang immer auch ein bisschen nach Rammstein. Und zwar nach einer etwas abwechslungsreicheren, frischeren Version davon. Mit "Gummi" wurde das Publikum kurz nach 23 Uhr glücklich und zufrieden in die Samstagnacht geschickt.