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Lokführer: "Ich hab es vermasselt, möchte sterben"

Heute Redaktion
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Bild: Screenshot YouTube/Facebook

Beim schwersten Eisenbahnunglück in Spanien seit mehr als 40 Jahren wurden rund 170 Fahrgäste verletzt. 71der 78 Todesopfer konnten bisher identifiziert werden. Am Freitag wurde bekannt, dass der Lokführer schon am Donnerstag am Krankenbett festgenommen worden ist. Der Mann wird von der spanischen Eisenbahninfrastruktur-Behörde Adif für den Unfall verantwortlich gemacht. Er soll vier Kilometer zu spät gebremst haben.

 71der 78 Todesopfer konnten bisher identifiziert werden. Am Freitag wurde bekannt, dass der Lokführer schon am Donnerstag am Krankenbett festgenommen worden ist. Der Mann wird von der spanischen Eisenbahninfrastruktur-Behörde Adif für den Unfall verantwortlich gemacht. Er soll vier Kilometer zu spät gebremst haben.

Die Polizei nahm den 52-jährigen Eisenbahner Francisco noch im Krankenhausbett unter dem Vorwurf der Fahrlässigkeit fest, wie die Behörden am Freitag mitteilten. Nach bisherigen Erkenntnissen fuhr er am Mittwochabend seinen Zug in einer Tempo-80-Zone vier Kilometer vor der Einfahrt in die Station in Santiago de Compostela mit 190 Kilometer pro Stunde ins Unglück.

Francisco, der beim Unfall mit einer Kopfverletzung davongekommen war, sei bereits am Donnerstag festgenommen worden, sagte der Chef der Polizei der Autonomen Region Galicien, Jaime Iglesias. Er werde "einer Straftat in Zusammenhang mit dem Unglück" verdächtigt und solle bald als Beschuldigter vor dem Ermittlungsrichter aussagen.

Neben der Vernehmung des Lokführers soll die Auswertung des Fahrtenschreibers den Ermittlern Aufschlüsse zur Klärung des schwersten Eisenbahnunglücks in Spanien seit mehr als 40 Jahren geben. 

Vier Kilometer zu spät gebremst

Die Eisenbahn-Behörde macht den Lokführer für das Unglück verantwortlich. Er hätte am Mittwochabend den Bremsvorgang gemäß den Sicherheitsvorschriften schon vier Kilometer vor der Unglücksstelle beginnen müssen, erklärte Adif-Präsident Gonzalo Ferre. "Das ist ja die Aufgabe des Lokführers: die Geschwindigkeit zu kontrollieren. Sonst wäre er Passagier", sagte er.

Lokführer: Tote gehen "auf mein Gewisssen"

Der Lokführer und sein Assistent überlebten das Unglück nahezu unverletzt. Nach Informationen der Zeitung "El Pais" soll der Lokführer unmittelbar nach der Katastrophe über Funk der Leitstelle im Bahnhof von Santiago gesagt haben: "Ich hoffe, es gibt keine Toten, denn die gingen auf mein Gewissen." Laut einem Bericht der Zeitung "El Mundo soll er kurz danach "Ich habe es vermasselt, ich möchte sterben" gesagt haben.

Lokführer prahlte auf Facebook mit Tacho-Bild

Der Lokführer wird am Freitag befragt. Er raste mit 190 km/h durch die Kurve, die nur 80 vertragen hätte. Der Mann prahlt gerne mit seiner Raserei. Schon 2012 postete er ein Foto seines Tachos auf Facebook. Damals war er mit genau 190 km/h unterwegs, der Geschwindigkeit, mit der der Zug am Mittwoch aus den Gleisen sprang.

Schon mehr als ein Jahr auf dieser Strecke unterwegs

Gewerkschaften nahmen den erfahrenen Lokführer aber in Schutz und erklärten: Schuld war das ungeeignete Tempokontrollsystem. Über den Grund der überhöhten Geschwindigkeit, mit der der Zug in die Kurve vier Kilometer vor dem Bahnhof des Wallfahrtsortes eingebogen sein soll, wurde zunächst nichts bekannt. Der Unglückszug wurde am Morgen vor dem Unfall inspiziert. Renfe-Präsident Julio Gomez-Pomar bezeichnete den Lokführer als erfahren und wies darauf hin, dass der Mann seit mehr als einem Jahr auf der Unglücksstrecke im Dienst gewesen sei.

Die Lokführer-Gewerkschaft (SEMAF) brachte eine Debatte mit der Behauptung ins Rollen, die Tragödie hätte mit dem modernen ERTMS-Tempokontrollsystem an der Unglücksstelle verhindert werden können. Da die 2011 eingeweihte Hochgeschwindigkeitsstrecke aber vier Kilometer vor Santiago - kurz vor der Unfallstelle - ende, sei das ältere ASFA-System im Einsatz gewesen, das den Zug beim Überschreiten der erlaubten Geschwindigkeit nicht immer automatisch abbremse, klagte SEMAF-Generalsekretär Juan Jesus Fraile im Radio. "Ideal wäre es gewesen, wenn man die Hochgeschwindigkeitsstrecke bis Santiago fertiggebaut hätte", sagte er.

Die Eisenbahninfrastruktur-Behörde ADIF wies die Vorwürfe zurück. Im städtischen Raum und bei der Stationseinfahrt sei das ASFA das geeignete System, hieß es. Polizei- und Eisenbahnexperten untersuchen die Unfallursache. Einen Anschlag schlossen die Ermittler schnell aus.

Die Katastrophe nahe der Pilgerstadt Santiago de Compostela war das erste tödliche Unglück auf einer Strecke des spanischen Hochgeschwindigkeitsnetzes.

3-tägige Staatstrauer in Spanien

Der Wallfahrtsort, der das Ziel des Jakobsweges bildet, sagte alle Feiern zu Ehren des Heiligen Jakobs an diesem Wochenende ab. Die traditionelle Zeremonie ist das wichtigste Fest des Jahres in Santiago. Ministerpräsident Mariano Rajoy ordnete für ganz Spanien eine offizielle Trauer von drei Tagen an.

Das Katastrophe war das drittschwerste Bahnunglück in der spanischen Geschichte. 1944 kamen bei einer Zugkollision bei Leon im Norden des Landes wahrscheinlich mehr als 500 Menschen ums Leben; die Zensur der Franco-Diktatur bezifferte die Zahl der Opfer auf 78. Im Jahr 1972 forderte ein Zugsunglück in Andalusien 86 Menschenleben.