Gesundheit

Migräne-Patient: "Ich wollte mir den Kopf abreißen"

Bei seinem ersten Migräne-Anfall war M. sechs Jahre alt. Nichts half gegen die Schmerzen. "Meinen Eltern sagte ich, dass ich nicht mehr leben möchte."

20 Minuten
Teilen
Ein Migränepatient erzählt über seine Erfahrungen.
Ein Migränepatient erzählt über seine Erfahrungen.
iStock

"Als ich zum ersten Mal eine Migräne-Attacke hatte, war ich mit meiner Familie am Strand. Da war ich sechs Jahre alt. Es war ein unerträglicher Schmerz. Als würde etwas von innen gegen meinen Kopf hämmern. Ich verstand gar nicht, was los war. Grelles Licht, Lärm und starke Gerüche verstärkten den Schmerz, und ich musste mich zu Hause mehrmals übergeben", erzählt M. aus der Schweiz gegenüber "20 Minuten".

Jahrelang kämpfte er gegen die Migräne. Heute ist er 27 und die Anfälle sind seltener geworden. "Meine Eltern gingen mit mir zum Kinderarzt. Er verschrieb mir Schmerztabletten, doch sie nützten nicht viel: Bei jedem Erbrechen wurden sie wieder aus meinem Körper gespült. Und Zäpchen, naja, die wollte ich nicht."

"Am liebsten wäre ich gestorben."

"Da der Arzt keine Ursache für meine wiederkehrenden Kopfschmerzen fand, musste ich in die Röhre, um zu schauen, ob vielleicht ein Gehirntumor die Schmerzen verursacht. Zum Glück war da aber kein Tumor. Auch meine Gehirnwellen wurden untersucht, da man eine Form von epileptischer Störung vermutete. Auch das konnte ausgeschlossen werden. Ich musste die Schmerzen einfach aussitzen", erzählt M.

"Manchmal waren sie so stark, dass ich am liebsten gestorben wäre. Ich wollte mir den Kopf abreißen! Meinen Eltern sagte ich, dass ich nicht mehr leben möchte. Das ständige Erbrechen liess mich manchmal aus lauter Erschöpfung einschlafen. Am Morgen darauf waren die Schmerzen meist weg, und ich fühlte mich wie neugeboren.

"Meine Schwester nannte mich den 'Kopfwehmann'."

An meinem ersten Schultag sagte ich meiner Lehrerin, dass ich ab und an wegen meines starken Kopfwehs früher nach Hause müsse. Damals hatte ich ein- bis zweimal pro Woche Migräne. Sie hatte Verständnis dafür. Anders als meine Schulkameraden. Ich wurde zwar nie direkt gemobbt, aber ich musste mir immer wieder Sprüche anhören, dass ja nur Mädchen Kopfweh hätten. Das war schlimm für mich. Meine Schwester nannte mich den 'Kopfwehmann'.

Stunden bevor meine Migräne einsetzte, musste ich gähnen, und gleichzeitig war ich aufgedreht. Vor allem am Montag und am Donnerstag. Komisch, oder? Stress in der Schule hatte ich nicht. Im Gegenteil: Ich ging sehr gerne dorthin und fühlte mich eher unter- als überfordert.

Ein Kinderneurologe stellte die Diagnose Migräne. Da war ich neun. Mein Kopfweh konnte aber auch er nicht lindern. Als Migräne-Vorbeugung bekam ich versuchsweise Betablocker verschrieben. Leider nützte auch das nichts.

"Manchmal bekam ich bereits Kopfweh, wenn ich Süßigkeiten roch."

An den Geburtstagsfeiern von meinen Kollegen ass ich vielleicht ein oder zwei Kekse, während die anderen herzhaft zulangten. Denn Glukosesirup und gewisse Zusatzstoffe lösten bei mir die Migräne aus. Manchmal bekam ich bereits Kopfweh, wenn ich am Kiosk vorbeiging und die Süßigkeiten roch! Also versuchte ich, starken Gerüchen aus dem Weg zu gehen. Lange Zeit konnte ich deswegen kein Parfüm und kein Deo tragen. Ganz übel waren die Duftbäume in den Autos: als würde mir der Geruch direkt ins Gehirn stechen! Das war schrecklich.

Meine Eltern schickten mich auf Empfehlung des Neurologen zu einem Psychiater. Vielleicht würde er mir helfen können, dachten sie sich. Ich war ein paar Mal bei ihm, aber gebracht hat es leider nicht viel. Als Kind verstand ich auch noch nicht, dass meine Gefühlswelt Einfluss auf meinen Körper haben könnte.

Ich war etwa elf Jahre alt, als ich meinen Eltern sagte, dass ich genug von all den Untersuchungen hatte. Nichts half mir! Meine Eltern ließen aber nicht locker. Verständlicherweise wollten sie alles unternehmen, um meine Schmerzen zu lindern.

Da die Schulmedizin mir nicht helfen konnte, versuchte ich es unter anderem mit Lichttherapie, Homöopathie, Handauflegen und schliesslich mit Akupressur: Die Behandlung mit den Druckpunkten auf meinem Nacken und im Gesicht half mir, die Schmerzen besser auszuhalten. Endlich konnte ich mich entspannen.

"Sport als Ausgleich tut mir gut."

Dann, ich war etwa zwölf Jahre alt und ging in die Oberstufe, wurden die Migräne-Attacken seltener. Seit der Pubertät habe ich vielleicht noch ein- oder zweimal im Jahr Migräne.

Heute kann ich zwar Parfüms und Deos tragen, aber geruchsempfindlich bin ich noch immer. Auch Gesprächslärm, wie auf Familienfeiern, können bei mir noch heute Kopfschmerzen auslösen.

Rückblickend denke ich, dass meine Migräne stark durch psychosomatische Faktoren ausgelöst wurde: Als Kind hatte ich zu hohe Anforderungen an mich – dieser Stress löste wohl die Kopfschmerzen aus. Ein Perfektionist bin ich noch immer. Aber heute weiß ich, dass mir Sport als Ausgleich guttut. Zwischendurch meditiere ich sogar.

Die vielen Arzt- und Spitalbesuche als Kind haben mich geprägt, auch in meiner Berufswahl: Ich bin im letzten Jahr meines Medizinstudiums."