Österreich

Wien zahlt 52 Millionen an misshandelte Heimkinder

Heute Redaktion
Teilen
Symbolfoto
Symbolfoto
Bild: imago stock & people

Tausende Kinder und Jugendliche wurden über Jahrzehnte hinweg in Wiener Heimen körperlich und psychisch misshandelt. Die Fälle reichen bis ins Jahr 1945 zurück.

Das Ausmaß des Missbrauchs in Einrichtungen der Wiener Jugendwohlfahrt erschüttert sogar die Experten der Opferhilfe "Weißer Ring". Neun Jahre dauerte es, bis das Gremium die Tausenden Fälle abgearbeitet hatte. Nun liegt der Abschlussbericht an die Stadt Wien vor.

Als man 2010 damit begann, sich mit dem Unrecht, das Kindern in Kinderheimen oder bei Pflegeeltern von Kriegsende 1945 bis zur Jahrtausendwende geschehen war, aufzuarbeiten, ging man noch von einer Gesamtdauer von knapp einem Jahr und einem Budgetbedarf von etwa 2 Millionen Euro aus. Die Zahl der Meldungen überstieg jedoch alle Erwartungen um ein Vielfaches.

Insgesamt 2.384 Betroffene erhielten finanzielle Hilfeleistung. Allen Betroffenen wurde auch Psychotherapie angeboten. Von den genehmigten rund 144.400 Einheiten wurde knapp die Hälfte auch tatsächlich in Anspruch genommen. Das Budget des Projekts wurde deshalb schrittweise auf 52,53 Millionen Euro aufgestockt.

Der "Weiße Ring" ist Österreichs einzige allgemeine Opferhilfe-Einrichtung, die allen Opfern krimineller Handlungen jeglicher Form offensteht.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz (BMVRDJ) betreibt der Weiße Ring den aus ganz Österreich gebührenfrei und rund um die Uhr erreichbaren Opfer-Notruf 0800 112 112.

"Opfer haben Unfassbares erlebt"

Viele Opfer leiden heute noch an den Folgen multipler

Erfahrungen von physischer, psychischer und sexueller Gewalt: "Das Aufwachsen in einem sadistischen Umfeld und gewalttätigen Klima sowie der Missbrauch von Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnissen in Institutionen und [...] von Pflegefamilien haben die psychosozialen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder erheblich beschränkt bzw. beeinträchtigt, mitunter sogar nachhaltig zerstört", heißt es im Abschlussbericht.

Aufgrund schlechter Schulbildung und niedriger oder fehlender Berufsausbildung in den Heimen hätte ein Großteil der Betroffenen bis heute noch mit finanziellen Problemen zu kämpfen, viele würden am Rande des Existenzminimums leben.

Mehr lesen: Heimopfer fordert endlich gerechte Entschädigung >>

"Die Opfer haben Unfassbares erlebt, es ist unsere Pflicht als Stadt, unsere Verantwortung wahrzunehmen, geschehenes Unrecht ohne Relativierung anzuerkennen und uns dafür aufrichtig und zutiefst zu entschuldigen", reagiert Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) auf den Abschlussbericht.

Jugendstadtrat Jürgen Czernohorszky fügt hinzu: "Es handelt sich hier um ein Kapitel in der Geschichte unserer Stadt, das nie hätte geschrieben werden dürfen."

Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit

Aufgrund der Vorfälle hat sich die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen mittlerweile drastisch verändert. Anstatt der geschlossenen Systeme großer Heime, werden sie in Krisenzentren und familienähnlichen Wohngemeinschaften untergebracht. Auch Pflegeeltern würden sorgfältig ausgewählt und ausgebildet, informiert der "Weiße Ring".

"Es ist für uns heute schwer zu verstehen, wie unsere Institution, die dem Kinderschutz verpflichtet ist, so vielen Kindern und Jugendlichen so unfassbares Leid zufügen konnte", so Johannes Köhler, der Leiter der Wiener Kinder- und Jugendhilfe.

Ein zentraler Punkt des Projekts war und ist dabei die – sehr oft zum ersten Mal im Rahmen erlebte – Anerkennung der erlittenen Gewalt. Für "Weißer Ring"-Präsident Udo Jesionek war die zügige Aufarbeitung aller Fälle deshalb eine Herzensangelegenheit: "Ich hoffe, dass wir durch unsere Tätigkeit dazu beitragen konnten, ein Zeichen der Anerkennung des großen Leides zu setzen, das ihnen widerfahren ist."