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"Heute" zu Besuch in der Terror-Hochburg Europas

Seit den Anschlägen in Paris und Belgien ist der Brüsseler Stadtteil Molenbeek bekannt. Eine Reportage.

Heute Redaktion
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"Heute" wagte einen Lokalaugenschein in den gefährlichen Brüsseler Stadtteil Molenbeek-Saint-Jean. Sogar die Polizei hat das Problemviertel offenbar aufgegeben, traut sich nicht wirklich mehr rein.

Denn: In der Innenstadt und in den U-Bahnstationen sieht man häufig Militär mit Maschinenpistolen pa­t­rouil­lie­ren, beim Besuch im Problemviertel war hingegen keine einzige Polizeistreife oder Militär zu sehen.

Terroristen wurden hier radikalisiert

Seit den Anschlägen in Paris und Brüssel hat der Stadtteil traurige Berühmtheit erlangt: Zahlreiche Terroranschläge in ganz Europa hatten ihren Ausgangspunkt in Molenbeek, viele spätere Attentäter wurden hier radikalisiert. Auch der Paris-Attentäter Salah Abdeslam stammt aus Molenbeek, konnte dort gefasst werden. Die Arbeitslosenrate im Problembezirk ist dreimal höher als im Durchschnitt des Landes, ein Großteil der Bewohner sind Muslime.

Fotografieren unerwünscht

Vor unserem Besuch werden wir ausdrücklich gewarnt, nicht zu auffällig zu fotografieren: "Das wird hier nicht gerne gesehen und kann zu Problemen führen."

In wenigen Minuten gelangen wir mit der U-Bahn vom EU-Parlament nach Molenbeek. Wir steigen bei der Station "Comte de Vlandres (Graf von Flandern)" aus. Der Stadtteil wirkt auf den ersten Blick wie ein riesiger Bazar: Essen aus aller Welt und typische islamische Kleidungsstücke, wie Schleier und lange Kleider, und eine Menge Ramsch werden hier überall an Ständen und Tischen angeboten.

Es geht weiter auf eine heruntergekommene Einkaufsstraße: Hier findet man Schmuckhändler neben orientalischen Lebensmittelgeschäften, zahlreiche Bekleidungsgeschäfte, Banken mit arabischen Schriftzeichen und viele verschiedene Lokale. Vereinzelt gibt es hier auch westlich wirkende Shops.

Touristen werden genau beobachtet

Ausschließlich Männer sitzen in einem kleinen Gastgarten vor einem Lokal an einer Straßenkreuzung. Sie starren uns an. Wir überlegen kurz hier einzukehren, lassen es aber dann doch sein.

Beim Spaziergang durch den "verlorenen Stadtteil" fühlt man sich als Eindringling in einer Parallelwelt. Man spürt deutlich, dass man hier nicht hingehört, wird genauestens beobachtet. Angesprochen werden wir nicht. Bei der U-Bahnstation "Étangs Noirs" endet unser Besuch.

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Im Vorjahr kam es bei der Brüsseler U-Bahnstation Maalbeek zu einem blutigen Terroranschlag. Der Anschlagsort ist nur drei Kilometer von Molenbeek entfernt.

Probleme wurden jahrzehntelang ignoriert

Stefan Haböck, Pressesprecher des EU-Abgeordneten Paul Rübig in Brüssel, erklärt, wie Molenbeek zum Problembezirk wurde: "In den 60er Jahren holte Belgien viele Gastarbeiter aus Nordafrika. Probleme wie hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Ausbildungschancen und Radikalisierung wurden jahrzehntelang einfach ignoriert. Hier sieht man, wozu das Ignorieren von Problemen und Spannungen führen kann." Haböck fügt hinzu, dass Molenbeek zwar als Sinnbild dieser Entwicklung gilt – gleiche oder gar stärkere Probleme gibt es auch in anderen europäischen Städten, zum Beispiel in Paris.

Ermöglicht wurde der Lokalaugenschein in Brüssel vom oberösterreichischen EU-Abgeordneten Paul Rübig und der EVP-Fraktion im EU-Parlament.