Österreich

Briefe an einsame Frau (89) – auch Ex-Kanzler schrieb

Der Wiener Lokalbesitzer Gerald Bayer rief auf Facebook dazu auf, einer älteren Wienerin Briefe zu schreiben, um sie vor der Einsamkeit zu bewahren.

Heute Redaktion
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Jeden Tag betrat Zita Hradezky (89) das Wiener Lokal "Ulrich" im 7. Bezirk, um sich ein Gläschen Prosecco zu gönnen und mit dem Besitzer, den Angestellten und Gästen zu plaudern. Hradezky kennt das Lokal wie keine andere. Jahrzehntelang war sie Wirtin vom "Spatzennest", das heute das "Ulrich" ist.

Eine lieb gewonnene Tradition, die im März jäh endete. Aufgrund der Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung des Coronavirus, bleiben die Türen des Lokals seit 15. März für Gäste geschlossen.

"Nahrung für Kopf und Seele"

"Plötzlich saß Frau Hradezky alleine in ihrer Wohnung", erzählt Gerald Bayer, Inhaber vom "Ulrich", der ihr täglich eine warme Speise vorbei bringt. "Wir haben uns Sorgen gemacht, dass sie vereinsamen könnte", so Bayer. Dabei kam ihm die Idee mit der Briefaktion.

Auf der Facebook-Seite des Lokals rief er dazu auf, der 89-Jährigen Briefe zu schicken. "Sie braucht dringend Nahrung für Kopf und Seele!" Frau Hradezky wurde nicht eingeweiht.

Erster Brief von Alt-Bundeskanzler

Es dauerte nicht lange und der erste Brief traf ein. "Er war von Alfred Gusenbauer, er brachte das Schreiben persönlich vorbei", erzählt Bayer. Der SPÖ-Alt-Bundeskanzler wohnt seit Jahrzehnten im Grätzl.

Seitdem flattern täglich fünf bis acht Briefe ins Haus. "Jeden Nachmittag setzen wir uns auf ein Gläschen Prosecco 'zusammen', dabei lese ich ihr die Briefe vor", erzählt Bayer. Mit Sicherheitsabstand wohlgemerkt – während Frau Hradezky in der Wohnung bleibt, sitzt Bayer im Stiegenhaus.

Lokal bedankt sich bei Absender

"Sie wusste ja nichts von der Aktion und hat am Anfang gedacht, ich habe die Briefe selber geschrieben", lacht der Lokalbesitzer. "Mittlerweile glaubt sie mir auch, dass die Schreiben echt sind und freut sich jedes Mal". 30 Briefe sind bislang eingetroffen, darunter auch liebe Zeilen aus Hamburg. "Die Absender sind ganz unterschiedlich, manche kennen Frau Hradezky, andere sind ihr noch nie begegnet".

Wer der Pensionistin auch schreiben möchte: Einfach Brief an ULRICH z.H. Frau Hradezky, St.Ulrichsplatz 1, 1070 Wien adressieren. "Absender nicht vergessen drauf zu schreiben, dann laden wir Dich auch auf ein Glaserl 'House Bubbles' ein. Idealerweise mit Frau Hradezky", so Bayer.