Ukraine

"Noch mehr überrascht ist sicherlich Wladimir Putin"

Wladimir Putin habe sich in seinem Ukraine-Angriffskrieg massiv überschätzt, sagt der Historiker Timothy Garton Ash. Es drohe ein jahrelanger Krieg.

Rene Findenig
Teilen
Putin habe sich mit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine massiv überschätzt, sagt ein Historiker.
Putin habe sich mit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine massiv überschätzt, sagt ein Historiker.
REUTERS

Der Ukraine-Krieg sei "Zeitenwende", hatte der Historiker Timothy Garton Ash bereits kurz nach Kriegsbeginn erklärt, am späten Mittwochabend analysierte er die Situation in der Ukraine bei Moderator Armin Wolf in der ORF-"ZiB 2" erneut. "Ich glaube, wir sind alle überrascht gewesen", so Ash zu "Effektivität, Mut und Dauerhaftigkeit" des ukrainischen Widerstands gegen die russischen Invasoren. "Noch mehr überrascht ist sicherlich Wladimir Putin", so Ash, "selbstverständlich", "völlig klar", habe sich Putin mit seinem Angriffskrieg überschätzt.

Alle aktuellen Entwicklungen zum Ukraine-Krieg im LIVE-TICKER >

Man müssen nun den Ukrainer helfen, damit er, Putin, noch mehr Überraschungen bekomme, so der Historiker. Selbst Putin wisse vermutlich momentan nicht, so Ash, was das neue Kriegsziel sei, nachdem man die Ukraine nicht blitzschnell einnehmen konnte. Ursprünglich habe Putin eine "unterworfene Ukraine" mit russischer Führung geplant, das könne er nun aber nicht mehr. Es sei möglich, dass sich Putin deshalb etwa bei der Eroberung der Landbrücke in der Ukraine vorerst zurückziehe, dann bekomme man einen "gefrorenen Konflikt", so Ash.

"Ob er sich diese Lösung selber verkaufen kann"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski könne sicherlich nicht akzeptieren, "dass so viel Territorium durch Raub preisgegeben" werde, Putin wiederum könne dies nutzen, um dem russischen Volk einen Erfolg verkaufen zu können. Die Frage sei allerdings, "ob er sich diese Lösung selber verkaufen kann", so der Historiker. Für die Ukraine gebe es zumindest eine Langzeitperspektive zur Konsolidierung im europäischen Rahmen mit einem EU-Beitritt, so Ash. Das wäre nicht nur positiv für die Ukraine, sondern auch für die EU wegen einer strategischen Perspektive für die Osterweiterung.

Die EU tue aber nicht genug bei den Sanktionen gegen Russland, auch weil man die Energieabhängigkeit nicht reduziert habe, so Ash. Jetzt stehe man vor der Situation, wenn ein Österreicher seine Heizrechnung bezahle, zahle er direkt auf Wladimir Putins Kriegskonto ein: "Das ist eine tragische Situation." So schnell wie möglich sollten wir deshalb bei Kohle und Öl ein Embargo einführen, auch wenn es schwierig sei, so der Historiker. Die wirtschaftlichen Kosten seien dabei beträchtlich, die moralischen, wenn man es nicht tue, aber auch, so Ash.

In der Ukraine droht ein "frozen conflict"

Von einem "frozen conflict", also einem drohenden jahrelangen Krieg, sprach in der ORF-"ZiB 2" auch Generalmajor Bruno Hofbauer. Seit dem 26. März sei klar, dass die russische Armee nicht die ukrainischen Hauptstädte einnehmen könne und sich deshalb nun auf den Süden konzentriere, so der Militärexperte. Der russischen Bevölkerung erkläre man, dass man es sowieso auf den Donbas abgesehen habe, stimmen dürfte aber vielmehr, dass sich die russischen Kräfte so abgenutzt hätten, dass man die anderen Truppen in Richtung Süden abziehen müsse.

1/15
Gehe zur Galerie
    Es ist Tag 41 im Ukraine-Krieg und nach dem Butscha-Massaker werden immer mehr schreckliche Details zur Bluttat bekannt.
    Es ist Tag 41 im Ukraine-Krieg und nach dem Butscha-Massaker werden immer mehr schreckliche Details zur Bluttat bekannt.
    Sipa Press / Action Press/Sipa / picturedesk.com

    Heißt das, ein Großangriff auf Kiew ist abgesagt? "Aus unserer Sicht sind die Kräfte notwendig, um die Ziele im Süden zu erreichen", so Hofbauer. Man spreche dabei nun als Ziel vor allem von dem Gebiet, das schon zum größten Teil in russischer Hand sei, von Kherson über Mariupol bis nach Donezk und Luhansk. Der Generalmajor ging in der Sendung davon aus, dass "dort russische Satellitenstaaten entstehen" sollen. Vorstöße Richtung Odessa hätten vorerst keine Erfolge für die russische Armee gebracht, so Hofbauer.

    Massaker als "Folge einer Verzweiflungsaktion"

    Zum Massaker in Butscha habe der Generalmajor als Soldat "keine Erklärung". "Ich möchte hier nur soviel sagen, dass dieses Massaker unabhängig von außen untersucht werden muss und dann zu entscheiden ist, wie weiter vorzugehen ist", so Hofbauer. Aus den Informationen, die Hofbauer bisher vorliegen würden, könne man davon ausgehen, "dass die russische Armee dafür verantwortlich ist", so Hofbauer. Für einen "Befehl von oben", solche Massaker zu verüben, lägen derzeit aber keine Anzeichen vor. Hofbauer sah das Massaker als "Folge einer Verzweiflungsaktion", bei der Kommandanten die Kontrolle über ihre Truppen verloren hätten.