Österreich

NYT sprach mit Angehörigen der Lastwagen-Todesopfer

Heute Redaktion
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71 Leichen von Flüchtlingen fand die österreichische Polizei am 27. August 2015 im Laderaum eines Kühllastwagens auf der Autobahn bei Nickelsdorf im Burgenland. Sie erstickten gut 90 Minuten, nachdem sie in den Lkw eingesperrt wurden. Nun, nach Wochen, ist erst gut die Hälfte der Opfer der Tragödie identfiziert. Die "New York Times" hat sich auf die Suche nach den Angehörigen gemacht.

hat sich auf die Suche nach den Angehörigen gemacht.

Die bisher identifizierten Opfer stammen aus den Städten Quamischli und Deir ez-Zor in Syrien sowie Erbil und Sulaimaniyya in der irakischen autonomen Region Kurdistan. Bis auf wenige der Flüchtlinge reisten sie ohne Pass. "Sie waren nicht hilflos und naiv", erklärten nun Angehörige der Zeitung. Mehr als ein Dutzend der Angehörigen-Familien merkten an, dass die Flüchtlinge wohlhabende und gebildete Menschen waren.

"Sie bezahlten viel Geld, um das Risiko der Flucht möglich gering zu halten", so die Angehörigen. Laut Bericht starben viele der Flüchtlinge mit Geld in ihren Taschen. Die Familien klagen nun an, dass die Schlepper selbst die relativ sicheren Flüchtlinge derart einschüchtern und manipulieren, dass die Verzweiflungstaten wie das Eingesperrt-Werden in einen Kühllaster in Kauf nehmen würden.

"Gut gebildet, vorsichtig"

"Er war gut gebildet und sehr vorsichtig, und er hat sehr oft mit den Leuten gesprochen, die diese Flucht geplant hatten. Es war jedem klar: Steig niemals in einen Laster", erzählt Hassan Khalid (30) aus Erbil über seinen Bruder Hussein (34), der mit einem weiteren Bruder in dem Lastwagen starb. In Deutschland wollte er seinen Doktor in Architektur abschließen, wovon er kurz entfernt war.

In Telefonaten hatte Hussein seine Familie über die Flucht informiert: Um fast 1.600 Euro pro Person hatte er eine sichere Schiffsfahrt von der Türkei nach Griechenland organisiert, von dort kämpften sich die Flüchtlinge ohne Schlepperhilfe nach Belgrad durch. Weil Ungarn die Grenzkontrollen verschärft hatte, sollte die letzte Etappe der Flucht wieder über einen Schlepper erfolgen. Hussein zahlte wieder rund 1.600 Euro pro Person an einen Mann namens Karwan el-Sulmani, der eine Autofahrt nach Deutschland versprach.

Tausende Euro verlangt

Mit rund 4.000 Euro in der Tasche stieg Hussein schließlich in den Laster ein - für die Angehörigen völlig unverständlich, warum sich die Pläne in letzter Sekunde so geändert hatten. 90 Minuten später war er und alle anderen 70 Flüchtlinge tot. Auch andere Familien berichteten, dass für die letzte Route Beträge über 4.000 Euro geflossen seien.

"Mein Sohn war selbst Lkw-Fahrer. Er hätte gewusst, dass er das nicht überleben kann", klagt der Vater von Shwan Jamal Hussein (23), der ebenfalls im Laster starb. Der Vater selbst zahlte über 10.000 Euro, um an Land von der Türkei über Bulgarien nach Deutschland zu kommen. Sie alle mussten komfortable Häuser in Sulaimaniyya wegen des Krieges hinter sich lassen. Und allen ist unklar, warum ihre Angehörigen in den Lkw stiegen.

In allen Fällen kam es am 25. August zum letzten Kontakt, in dem jeder Flüchtling von einer Weiterreise per Auto erzählte. Was bis zum Tod in den folgenden Stunden geschah, ist mysteriös.