Österreich

Passanten griffen Wiener Anti-Erdogan-Demo an

Eine Kurdendemo in Wien wurde Samstagnachmittag von Passanten attackiert. Teilnehmer mussten sich mit Menschenketten vor Angriffen schützen.

Heute Redaktion
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In Wien hat am Samstagnachmittag eine Demonstration gegen den türkischen Militäreinsatz in der nordsyrischen Region Afrin stattgefunden. Es kam dabei laut Beobachtern zu mehreren gewaltsamen Zwischenfällen.
In Wien hat am Samstagnachmittag eine Demonstration gegen den türkischen Militäreinsatz in der nordsyrischen Region Afrin stattgefunden. Es kam dabei laut Beobachtern zu mehreren gewaltsamen Zwischenfällen.
Bild: picturedesk.com

Die Kurdendemo in Wien protestierte am Samstagnachmittag gegen den Militäreinsatz der Türkei in der nordsyrischen Region Afrin. 3.000 Teilnehmer zogen dabei von der Staatsoper am Karlsplatz über den Schwarzenbergplatz und die Prinz-Eugen-Straße zur türkischen Botschaft. Skandiert wurden Sprüche wie "Terrorist, Diktator und Faschist" gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Im Demozug waren Fahnen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und mit dem Konterfei des inhaftierten Anführers der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sehen. Am Weg zur türkischen Botschaft wurden die Demonstranten mehrmals von Passanten, mutmaßlich von Erdogan-Unterstützern, angegriffen.

Die Polizei bestätigte mehrere Vorfälle, der Demozug sei von Beamten abgeschirmt worden. Zudem bildeten die Teilnehmer Menschenketten aus Angst vor weiteren Angriffen. Ob es zu Anzeigen oder Festnahmen kam, war vorerst noch nicht bekannt.

Worum geht es in Afrin?

Mit Bodentruppen und Kampfflugzeugen hat die Türkei die von Kurden beherrschte Region Afrin im Nordwesten Syriens angegriffen. Die "Operation Olivenzweig" ist das jüngste Kapitel des jahrzehntealten Konflikts zwischen Ankara und kurdischen Rebellen.

Die Türkei möchte eine 30 Kilometer breite "Sicherheitszone" in Afrin schaffen. Laut Präsident Recep Tayyip Erdogan ist der Militäreinsatz wichtig für die Sicherheit der Türkei und die territoriale Integrität Syriens.

Die Türkei möchte mit dem Einsatz eine Miliz mit schätzungsweise 8.000 bis 10.000 Kämpfern aus Afrin vertreiben, die Verbindungen zur YPG hat. Die syrisch-kurdische Organisation hat Gebiete im Norden Syriens unter ihrer Kontrolle und hat sich als effektiv beim Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat erwiesen.

YPG, PYD, PKK und SDF

Nach türkischer Darstellung ist die YPG eine terroristische Organisation, die mit der in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden ist. Die PKK kämpft in der Türkei für kurdische Autonomie. Der Aufstand der PKK hat seit 1984 etwa 40.000 Menschen das Leben gekostet. 2015 brach ein Friedensprozess ab und der Konflikt flackerte erneut auf, unter anderem mit Bombenanschlägen in Städten.

Die YPG und ihr politisches Pendant PYD streben nach eigenen Angaben regionale Autonomie in einem föderalisierten Syrien an. Sie hat fast 25 Prozent des syrischen Territoriums unter ihrer Kontrolle und nennt dieses Gebiet Rojava. Es beinhaltet drei "Regionen": Afrin, Kobane und Cizire. PKK, YPG und PYD betrachten Abdullah Öcalan als ihren Führer. Der Kurde sitzt auf einer türkischen Insel in Haft.

Auch die westlichen Verbündeten der Türkei, darunter die USA, betrachten die PKK als Terrorgruppe. Washington hat gleichwohl die von der YPG dominierte militante kurdische Allianz Demokratische Kräfte Syriens (SDF) direkt und logistisch unterstützt, damit sie den IS bekämpft. Dies hat Ankara verärgert und die Beziehungen zu Washington belastet, obwohl beide Länder Mitglieder der Nato sind. Die YPG hat bestritten, separatistisch zu sein. Die SDF erklärte am Montag, die türkische Offensive gebe "dem IS einen Raum zum Atmen".

Warum greift die Türkei gerade jetzt an?

Die Türkei hat seit Langem gewarnt, dass sie keinen "Terror-Korridor" an ihrer Grenze zu Syrien dulden werde. 2016 begann sie eine grenzüberschreitende Operation mit Kämpfern der syrischen Opposition im nordsyrischen Dsharabulus. Dabei wurde der IS von der türkischen Grenze und aus einem beinahe 2.000 Quadratkilometer großen Gebiet vertrieben. Die Operation zielte aber auch darauf ab, zu verhindern, dass die YPG die Kantone Afrin und Kobane verbindet.

Das andere Ziel der Türkei: Sie will verhindern, dass die YPG sich nach Westen ausbreitet. Die Türkei hat zwischen Idlib und Afrin Truppen und gepanzerte Fahrzeuge stationiert. Kurz vor dem Angriff auf Afrin hatte das US-Militär angekündigt, eine 30.000 Mitglieder starke Grenztruppe mit kurdischen Kämpfern zu schaffen, die Nordsyrien sichern soll. Dies hat türkische Spitzenpolitiker verärgert, die erklärten, US-Waffen für syrische Kurden würden gegen die Türkei eingesetzt.

US-Außenminister Rex Tillerson hat gesagt, die Haltung seiner Regierung sei falsch dargestellt worden. Die USA sprächen mit der Türkei und anderen auch über die Möglichkeit, an der syrischen Grenze eine Sicherheitszone einzurichten – als Reaktion auf die türkischen Sorgen wegen einer kurdischen Enklave, wie er am Montag erklärte. Die Pufferzone, auf die die Türkei seit 2012 pocht, könnte näher denn je sein. Um Dsharabulus gibt es bereits eine.

Die Risiken

Der Angriff auf Afrin birgt das Risiko, ein relativ friedliches Gebiet in Syrien zu destabilisieren, wo Zivilisten Zuflucht gefunden haben. Er könnte den seit sieben Jahren andauernden Bürgerkrieg noch komplizierter machen. Die Türkei könnte ihren Einsatz entlang der Grenze zu Syrien ausdehnen. Berichten zufolge ist es im Osten bereits zu Zusammenstößen gekommen.

Auch der Konflikt in der Türkei könnte sich verschärfen und zu einer weiteren Polarisierung in einem zerrissenen Land führen, wo pro-kurdische Politiker und viele andere wegen Terrorismus-Vorwürfen festgenommen worden sind.

Die Reaktionen

Die USA haben die Türkei aufgefordert, Zurückhaltung zu üben, und angekündigt, auf absehbare Zeit in den Kurdengebieten militärisch präsent zu bleiben. Diese anhaltende Unterstützung hat türkische Spitzenpolitiker verärgert, die sich entsetzt darüber geäussert haben, dass die USA sich entschieden haben, beim Kampf gegen den IS mit den Kurden zusammenzuarbeiten statt mit der Türkei.

Die Europäische Union hat die Türkei gewarnt, dass ihre Offensive die syrischen Friedensgespräche in Genf untergraben könne. Russland hat Truppen aus Afrin abgezogen, jüngst aber die Beziehungen zur YPG gestärkt. Die Türkei hat mit Russland militärische Vereinbarungen und Handelsvereinbarungen getroffen und damit Fragen bezüglich ihrer Nato-Mitgliedschaft aufgeworfen.

Die syrische Regierung in Damaskus hat angekündigt, türkische Kampfjets abzuschießen, die in dem Land Angriffe fliegen. Die beiden Regierungen stehen einander seit Jahren feindselig gegenüber. (red/gux/mlr/ap)