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Schwerkranker: "Ich wurde wie eine Ware behandelt"

Heute Redaktion
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Nach dem Krankentransport-Zwischenfall fühlt sich Boris M. gekränkt.
Nach dem Krankentransport-Zwischenfall fühlt sich Boris M. gekränkt.
Bild: Sabine Hertel

Weil Boris M. (53) bei einem Krankentransport keine Luft bekam, erlitt er eine Panikattacke. Die Folge war ein Polizeieinsatz. M. wirft dem Lenker vor, fahrlässig gehandelt zu haben. Fahrer und Firma verteidigen sich.

"Die Krankheit, die mein Mann hat, haben vielleicht sieben Menschen unter einer Million", sagt die Frau von Boris M. Die Juristin ist langjährige Lebensgefährtin des 53-Jährigen. Zusammen mit einer Pflegerin kümmert sie sich um ihren Mann, der mittlerweile ein Pflegestufe 7-Patient ist: Vor rund fünf Jahren wurde bei ihm Polyneuropathie diagnostiziert, aus der sich die sekundäre Erkrankung Amyloidose entwickelte. Damals fing es mit dem Gefühl verbrannter Fußsohlen an, heute ist sein Muskelgewebe verkümmert.

"Ich drohte zu ersticken und er ignorierte mich"

Seit Jahren wird M. von WGKK-Fahrtendiensten zwecks stationärer Behandlung ins Wilhelminenspital (Ottakring) gefahren. Bis auf Verspätungen soll sonst nie etwas nennenswertes vorgefallen sein. Dann kam es jedoch zu einer Eskalation, die der Fahrer des Fahrtendienstes, laut M. mit seinem Verhalten provoziert hätte.

Bei einer Fahrt im Mai fiel ihm gleich auf, dass es im Fahrzeug ungewöhnlich heiß war – an jenem Tag herrschten Temperaturen über 25 Grad. Im Auto wäre die Luft still gestanden, erinnert sich M. Er fragte ob das Fahrzeug keine Klimaanlage hätte. "Defekt", wäre die Antwort des Fahrers gewesen. "Dann lassen Sie wenigstens etwas Luft rein", erwiderte M. "Die Fensterheber funktionieren auch nicht", informierte ihn der Mitarbeiter.

Als es M. zu stickig, heiß und beengend wurde, bat er den Fahrer stehen zu bleiben – dieser fuhr vorerst weiter: "Es war wie ersticken und er fängt an mit mir zu diskutieren, stellte mich wie ein kleines Kind hin, das nicht weiß, was es will: `Wir wären ja gleich da`, meinte er. Das ging über zehn Minuten so weiter."

Panikattacke wird zum Fall für die Polizei

Der Fahrer bleibt kurz vor Ankunft tatsächlich stehen, zu diesem Zeitpunkt (ca. 15-20 Minuten Fahrt) hat sich die Nervosität von Boris M. aufgrund der Erstickungserscheinungen in eine Panikattacke gesteigert: "Erst als ich ihn angeschrien hab, hat er es kapiert, dass ich nicht mehr mit ihm weiterfahren will". Der Zwischenfall wurde an die Zentrale gemeldet, die raten dem Fahrer die Polizei zu rufen.

Fahrer verteidigt sich

Nachdem sich Boris M. an die Ombudsstelle der WGKK und die Fahrdienstzentrale wandte, folgte eine Stellungnahme des Fahrers. Darin widerspricht er seinem Fahrgast in aller Deutlichkeit: Demnach wird ein Szenario vermittelt, wonach der Fahrgast erst eineinhalb Kilometer vor dem Wilhelminenspital in Atemnot geriet und in einem plötzlichen Anfall dem Lenker sadistisches Verhalten vorwarf. "Kurz vor dem Ziel sagte er zu mir, dass ich das Fenster öffnen soll, er bekäme keine Luft. Er schrie, er würde mich anzeigen, da ich ihm frische Luft verweigere. Er bezichtigte mich der Lüge – die Fensterheber seien gar nicht defekt", so das Verteidigungs-Plädoyer des Fahrers.

"Für den Lenker war es eine bedrohliche Situation"

Der Arbeitgeber stellte sich schützend vor seinen Fahrer und wiederholte sinngemäß dessen Stellungnahme: "Dem Ersuchen des Fahrgastes, ihn sofort aussteigen zu lassen, kam unser Lenker natürlich nach. Aber auch danach ging es mit den Schimpftiraden weiter inkl. den Behauptungen, dass unser Lenker lüge, der Fensterheber nicht defekt sei etc."

M. fühlt sich erneut wie ein Kleinkind behandelt: "Wieder werden mir Wörter in den Mund gelegt, ich bin laut geworden, aber beschimpft habe ich ihn ganz sicher nicht."

Weiters heißt es im Schreiben, dass die "Fensterheber noch am selben Tag in der hauseigenen Werkstatt repariert" worden wären. "Es liegt in der Natur der Sache, dass bei 125 Fahrzeugen nicht vorhersehbare Defekte auftreten", so der Sprecher. Aber wieso ist die Panikattacke eines Schwerkranken ein Anlass für die Polizei? Weil die "Situation bedrohlich" wurde, so die Antwort des Unternehmenssprechers. "Aus der Sorge heraus, ungerechtfertigt angezeigt zu werden", erklärt er.

"Vielleicht sollte ich den Fahrer wirklich Anzeigen. Wegen Nötigung oder weil er mein Leben in Gefahr gebracht hat. Aber im Ernst, was würde eine Anzeige bringen? Ich wollte nur, dass der Typ endlich die Fahrt abbricht", so der 53-Jährige im "Heute"-Gespräch.

Gekränkt

M. war zuerst nur auf den Fahrer wütend, jetzt will er mit den Fahrtendiensten nichts mehr zu tun haben. Zu tief sitzt die Kränkung: "Die Art wie sie mit diesem Zwischenfall umgegangen sind, hat mir nur gezeigt, welchen Respekt man mir entgegenbringt. Es ist nicht leicht mit mir, aber das habe ich nicht verdient." Beim letzten Termin wurde er von Frau und Pflegerin zur stationären Behandlung gebracht.

"Es kann passieren, dass sich Fahrer und Fahrgast nicht verstehen"

Den Fahrern eines Krankentransports wird einiges abverlangt. Sie müssen den Umgang mit ihren hilfsbedürftigen Fahrgästen beherrschen und im strapaziösen Wiener Stadtverkehr die Nerven bewahren. In einer Stellungnahme bemühte sich daher Haller Mobil – leitendes Unternehmen der Zentrale – um Verständnis für die Arbeit der Fahrtendienste: "Wir haben eine Zufriedenheitsquote von 98% und so ist es nicht völlig auszuschließen, dass sehr vereinzelt Menschen aufeinandertreffen, die miteinander nicht können oder wollen. Die Arbeiten von unseren Fahrern sind grundsätzlich physisch schwierig, als auch psychisch herausfordernd, sodass sich auch diese vereinzelt in einem angespannten Zustand befinden können."

Nicht symptomatisch

Auch die Wiener Pflege-, und Patientenanwaltschaft (WPPA) beschäftigt sich mit Konfliktsituationen bei Krankentransporten: "Von 2016 bis dato gab es unter dem Titel `Beschwerden bezüglich Fährtendienste` 30 Beschwerden. Dies ist im Vergleich zu der großen Anzahl jährlich durchgeführter Fahrtendienste keine hohe Beschwerdefrequenz."

"Die Beschwerden betrafen, das Verhalten der Fahrer, lange Wartezeiten auf den Transport und im überwiegenden Anteil - ca. 50 Prozent der Fälle - die Ablehnung von Bewilligen für die Kostenübernahme des Fahrtendienstes", so die Sprecherin der WPPA.

Laut Haller-Mobil werden jährlich 500.000 Krankentransporte durchgeführt. Bei insgesamt 30 dokumentierten Beschwerden in fast drei Jahren dürfte der Zwischenfall im Mai eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein. Ebenfalls konnten seitens der Arbeiterkammer keine Auffälligkeiten registriert werden, die auf unzufriedene Fahrer hinweisen würden.

"Herr M. kann sich bei uns melden"

Patientenanwältin Sigrid Pilz betonte dennoch, dass die (Beschwerde)-Statistiken nur bedingt repräsentativ sind. "Die Betroffenen müssten sich selbst an uns wenden und das tun nicht alle", so Pilz. Sie riet Boris M. an, sich zu melden; die WPPA würde sich den Fall ansehen.