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So brutal soll Kroatiens Polizei Migranten zurichten

Die kroatische Polizei steht medial zunehmend in der Kritik wegen brutaler Gewalt gegenüber den Flüchtlingen. Eingreifen wird international gefordert.

Heute Redaktion
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Mit größter Brutalität soll die kroatische Grenzpolizei bei den Push-Backs der Flüchtlinge vorgehen.
Mit größter Brutalität soll die kroatische Grenzpolizei bei den Push-Backs der Flüchtlinge vorgehen.
Dänischer Flüchtlingsrat

Die Abgeordnete der SPÖ Nurten Yilmaz reichte vergangene Woche gemeinsam mit ihrem Kollegen Helmut Brandstätter zum zweiten Mal einen Entschließungsantrag im österreichischen Nationalrat ein. In diesem verlangte sie mehr Engagement von Österreich im Kampf gegen die Menschenrechtsverletzungen an der kroatischen EU-Außengrenze. Dieser Antrag wurde jedoch von den Grünen und dem ÖVP-Parlamentsklub erneut abgelehnt, von den NEOS und Helmut Brandstätter aber unterstützt. Zwei Wochen zuvor war der Antrag bereits im Menschenrechtsausschuss abgewiesen worden.

Den Antrag habe Yilmaz vergangene Woche ein weiteres Mal eingebracht, weil sie "es wichtig fand, dass dieses Thema auch im Plenum behandelt wird".

So erläuterte sie: "Die Bilder, die ich in Bosnien gesehen habe, gehen mir nicht aus dem Kopf. Die Menschen leben im Dreck, im Schmutz und werden dann auch noch von der kroatischen Grenzpolizei geschlagen." Die Eindrücke sammelte sie bei ihrer Reise zu den betroffenen Gebieten der Balkanroute im letzten Winter. Yilmaz war damals gemeinsam mit dem Team der NGO SOS Balkanroute als erste und bislang einzige österreichische Nationalratsabgeordnete vor Ort, um sich ein Bild von der Situation zu machen.

Internationale Medien werden aufmerksam

Nun werden auch vermehrt internationale Medien aufmerksam auf die gewaltsamen Übergriffe gegen die Flüchtlinge. So berichtete zuletzt "The Guardian" über den brutalen Umgang der Polizisten mit den Migranten.

Sogar Vorfälle von sexueller Gewalt habe es gegeben. Der Zeitung wurden Bilder und medizinische Atteste von einer dänischen humanitären Organisation, dem Dänischen Flüchtlingsrat (Danish Refugee Council DRC), zugespielt, die die brutalen Übergriffe gegenüber dutzenden Flüchtlingen im Zeitraum zwischen dem 12. und 16. Oktober dokumentieren. Die Opfer der vermeintlich gewaltsam vorgehenden Polizei seien ausgepeitscht, ausgeraubt und in einem Fall sogar sexuell missbraucht worden. Auf Anfrage der Online-Redaktion, wurden die Fotos und einzelnen Schilderungen der Fälle auch der "Heute" zugeschickt. Umfassende, sehr detaillierte Berichte liegen der Redaktion vor.

"Widerwärtig" und "schockierend"

Mitarbeiter der verschiedenen Hilfsorganisationen vor Ort beschrieben die Lage als "widerwärtig" und "schockierend", so "Guardian". Charlotte Slente, Generalsekretärin des DRC  teilte in einem Statemen mit: "Über 75 Personen haben innerhalb einer Woche alle unabhängig von einander über unmenschliche Behandlung, brutale Schläge und sogar sexuellen Missbrauch berichtet."

Informationen des DRC zufolge haben sich diese Vorfälle auf kroatischem Boden bei Šiljkovača, unweit des Grenzüberganges, ereignet. Dort gibt es ein provisorisches Flüchtlingslager, in dem etwa 700 Migranten untergebracht sind.

Prellungen, Verletzungen, Frakturen, Brüche

Die Organisation berichtet über sichtbare Verletzungen, Prellungen und Schnittwunden, die die Folge der Gewalt der kroatischen Polizei seien. Ärzte im Camp Mirala (Velika Kladuša), die die Untersuchungen und Behandlungen der Migranten durchgeführt haben, berichteten, dass es sich um die schwersten Verletzungen handele, die sie je bei Migranten festgestellt hatten. Dabei wurden verschiedenste Verletzungen, Frakturen und Brüche diagnostiziert. Elf Menschen wurden wegen des Verdachts auf Knochenbrüche in Gesundheitseinrichtungen gebracht, wobei die Ergebnisse der Untersuchungen laut DRC noch ausstehen. Eine Person werde derzeit sogar medizinisch in einem Krankenhaus versorgt, eine Operation sei nötig.

Prügel und sexueller Missbrauch

Wegen eines Vorfalles kamen vier festgenommene Migranten vor Gericht, berichtet "The Guardian". Folgendes war zuvor passiert: Am 12. Oktober überquerten fünf Afghanen, darunter zwei Minderjährige, die kroatische Grenze in der Nähe der Siedlung Šturlić. Am selben Tag hielt ein uniformierter Polizist sie in der Nähe von Novo Selo an und verständigte zwei weitere Polizisten. Einer der Migranten entkam, die anderen vier wurden festgenommen und zu einer Polizeistation gebracht.

Zwei Tage später wurden sie vor Gericht gebracht, wo sie "als Zeugen in dem gegen das fünfte Mitglied der Gruppe (den Geflohenen) eingeleiteten Verfahren" aussagen sollten, da jenem gewalttätiges Verhalten gegenüber der Polizei vorgeworfen worden war.

Gefesselt, geschlagen, gedemütigt

Die Migranten berichteten, dass die Polizisten, die sie zwei Tage zuvor festgenommen hatten, sie danach an einen unbekannten Ort brachten, wo sie zehn bewaffneten Männern übergeben wurden - schwarz gekleidet mit Sturmhauben über dem Kopf, Armeestiefeln und mit Taschenlampen auf der Stirn. Die Polizisten nahmen ihnen das Geld ab. Daraufhin wurden sie von den zehn Maskierten in einem Van irgendwohin gefahren und dazu genötigt, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen - ihre Kleidung wurde verbrannt. Anschließend wurden sie gezwungen, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen. Sie wurden gefesselt und die Männer stellten sich auf ihre Hände, um sie daran zu hindern, sich zu wehren. Dann wurden die Opfer der brutalen Gewalt geschlagen, getreten, gepeitscht und verprügelt. Laut der kroatischen Zeitung "24 Sata", welcher die detaillierte Dokumentation des DRC ebenso vorliegt, haben die Polizisten die Opfer mindestens 15 Minuten lang misshandelt. Einer der misshandelten Männer berichtete sogar, dass er mit einem Ast vergewaltigt worden sei, während die anderen maskierten Männer lachten und sich darüber lustig machten. Anschließend sei der Mann minutenlang geschlagen worden.

Medizinische Aufzeichnungen bestätigen, dass die Verletzungen der Migranten unter anderem von Peitschen stammen, so "The Guardian". Auch die Vergewaltigung mit dem Ast konnte medizinisch bestätigt werden. "Nie zuvor habe ich so etwas gesehen", sagte der behandelne Arzt Mustafa Hodžić "The Guaridan" gegenüber.

Kein Einzelfall

"The Guardian" schreibt über einen weiteren ähnlichen Vorfall. Ein pakistanischer Migrant berichtete, dass er und zwei weitere Flüchtlinge in der Nähe des kroatischen Bahnhofs Blata abgefangen wurden. Die Polizei soll auch ihnen befohlen haben, sich nackt auszuziehen, bevor sie anschließend mit einem Van zu einer Art Garage gebracht wurden, wo fünf weitere Migranten darauf "warteten", nach Bosnien zurückgeschickt zu werden. Dort erwarteten auch sie ganz in schwarz gekleidete Männer.

Die Migranten wurden von zwei Polizisten mit Schlagstöcken geschlagen, der dritte habe Selfies von sich und den gedemütigten, nicht bekleideten Männern gemacht. Doch damit nahm die Demütigung aber noch kein Ende. Der pakistanische Flüchtling sagt aus: "Die ersten vier von uns waren auf dem Boden und wir lagen nebeneinander – nackt und geschlagen. Die anderen vier wurden dazu gezwungen sich auf uns zu legen, wie wenn Baumstämme gestapelt werden. 20 Minuten lang lagen wir regungslos so da. Der letzte war minderjährig." Als jener versuchte auf die Frage, woher er komme, zu antworten, dass er minderjährig sei, wurde er geschlagen. Nachdem er sich auf Befehl ausgezogen hatte, wurde er sogar noch heftiger geschlagen. Eines der Opfer sei nach den Prügeln sogar ohnmächtig geworden, so der Bericht.

Vor dem Push-Back nach Bosnien hätten die Polizisten zu den Flüchtlingen gesagt, dass es ihnen egal sei, woher sie kämen und wohin sie nun gingen, aber sie würden sicher nicht nach Kroatien gehen. "Jetzt habt ihr alle Arme und Beine noch, weil wir vorsichtig dabei waren, wie wir euch geschlagen haben. Das nächste Mal wird es schlimmer sein."

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    Warnung!
    Warnung!
    (Bild: heute.at)

    Forderungen

    Nicht zum ersten Mal berichtet "The Guardian" über die Gewalttaten an der bosnisch-kroatischen Grenze. Auch der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge hat die kroatische Regierung bereits gebeten, eine unabhängige Einschätzung der Lage an der Grenze durchführen zu lassen.

    Das DRC habe der Europäischen Kommission nach Angaben des "Guardian" einen ausführlichen Bericht vorgelegt, wobei jene den Vorfall erst untersuchen müsse, so die Zeitung.

    '"Die kroatische Regierung und die Europäische Kommission müssen handeln, um der systematischen Gewaltanwendung Einhalt zu gebieten", fordert DRC-Generalsektretärin Slente in dem der "Heute" zugeschickten Statement.

    '"Menschen so zu behandeln (…) kann und soll von keinem europäischen Land oder einer EU-Institution akzeptiert werden. Es muss dringend dafür gesorgt werden, dass unabhängige Grenzüberwachungsmechanismen eingeführt werden, um derartigen Missbrauch zu verhindern."

    Politisches "Statement" aus Kroatien

    Bislang kamen weder die kroatische Polizei noch das kroatische Innenministerium einer Bitte des "Guardian" um Stellungnahme nach. Indes äußerte sich der kroatische Innenminister Davor Božinović aber im Rahmen einer Pressekonferenz am Mittwoch (unter anderem auch) zu den Anschuldigungen gegen die kroatische Grenzpolizei.

    Das kroatische Medium "N1" zitierte das Statement des Innenministers. Jenem zufolge hätte die entsprechende Zeitung und der zuständige Journalist bereits "zahlreiche Artikel veröffentlicht, in denen die kroatische Polizei wegen gesetzwidriger Aktivitäten beschuldigt wurde, und interessanterweise nie etwas darüber gesagt, wie die kroatische Polizei human handelt, wie viele Menschen oder Schwangere sie gerettet hat. Kein Wort darüber." Diese Erklärung lieferte Božinović, recht viel mehr hatte er nicht zu sagen.

    Außerdem versuchte er zu erklären, dass sich frühere Anschuldigungen bereits als "gegenstandslos" erwiesen hätten. "Die jetzigen [Anschuldigungen] habe ich noch nicht gesehen, aber ich bin mir sicher, dass die kroatische Polizei alle nötigen Ermittlungsmaßnahmen ergreifen wird, um (...) diese Anschuldigungen zu beseitigen (…)." Man habe ja gesehen, dass sich jene Anschuldigungen wiederholen, ungeachtet dessen, "wie oft sie auch dementiert" worden seien.

    Kritik aus Österreich

    Auch die SOS Balkanroute stellte zuletzt fest, dass "die Gewalt an den europäischen Außengrenzen von Tag zu Tag schlimmer" wird. Wie die Organisation auf Facebook schreibt, seien "diese  Zustände unhaltbar und ein Rechtsbruch aller europäischen Werte und Menschenrechtskonventionen."

    Der Obmann des Vereins verwies auf die dramatische Lage und warnte: "Sollte die Politik weiterhin zusehen und nicht glaubwürdig, mit konkreter Hilfestellung einschreiten und intervenieren, wird Bosnien diesen Winter zu einem großen Moria werden."

    Zuletzt berichtete die Organisation, über eigene Erfahrungen, die ihre Helfer vor Ort gemacht haben. Die Brutalität der europäischen Asylpolitik mache demnach in Velika Kladuša auch "vor Familien, Frauen und Kindern nicht Halt":

    Unter anderem habe eine schwangere Afghanin dem Beitrag zufolge erzählt, was ihr widerfahren sei: "Die kroatische Grenzpolizei hat uns beim Versuch des Grenzübetritts alles weggenommen: die Reisepässe, das Geld und sogar die Milch für das Baby." Dennoch hoffe die Frau, dass ihre "Kinder irgendwann eine sichere Zukunft haben".

    "Armutszeugnis für Europa"

    Auch über die Gründe, es nach Europa schaffen zu wollen, wurde gesprochen. So zitiert die SOS Balkanroute die Betroffenen: "In Bosnien gibt es Nichts, kein Camp, kein Platz, keine Versorgung. Wir haben hier Null Rechte. Aber was sollen wir tun außer es immer wieder versuchen?"

    Die Forderungen jener, die den Ernst der Lage bereits erkannt haben und sich um Veränderung bemühen, sind die gleichen. Wie auch der DRC fordern weitere Organisationen und einzelne Politiker das Eingreifen Europas bzw. Österreichs. Die jetzige Situation sei ein "Armutszeugnis für Europa und auch für Österreich".

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      Polizeigewalt gegenüber fliehenden Menschen.<br>
      Polizeigewalt gegenüber fliehenden Menschen.
      FB SOS Balkanroute
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        JESSICA GOW / AFP / picturedesk.com